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Fakten zur Aufführung 

MAZEPPA
(Pjotr Iljitsch Tschaikowsky)
24. Februar 2013
(Premiere)

Komische Oper Berlin


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Mit Karacho in die S/M-Schleife

Die Komische Oper Berlin hat sich eines weitgehend unbekannten Werkes eines vielgeliebten Komponisten mit der überhaupt ersten Berliner Inszenierung dieser Oper angenommen: Mazeppa von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky. Basierend auf dem Poem Poltawa von Alexander Puschkin, handelt Tschaikowskys Oper von einer ungewöhnlichen, von der Norm abweichenden Liebe, die von vornherein untergangsgefährdet scheint: Der bejahrte Kosakenführer Mazeppa und die blutjunge Gutsbesitzerstochter Maria entdecken ihre gegenseitige leidenschaftliche Liebe. Maria verlässt nach einem Streit mit den Eltern das Haus ihrer Kindheit und auch den sie liebenden und um sie werbenden Jugendfreund Andrej und wird sich Mazeppa anschließen – auf Gedeih und Verderb. Mazeppa jedoch ist mit seiner ganzen Existenz auf eine Revolte seiner Kosakeneinheit für die Unabhängigkeit der Ukraine vom russischen Zarenreich unter Peter I. fixiert. Marias rachsüchtiger Vater denunziert nun Mazeppa wegen geplanten Landesverrats, und die nachfolgenden Intrigen und Machtkämpfe zermürben schließlich diese zwischen den Fronten stehende Liebe. Das Ineinandergreifen von privaten Wünschen und politischen Handlungszwängen ist von nun an der Gegenstand des Geschehens, das am Ende in Wahnsinn und Tod mündet.

Tschaikowskys Mazeppa ist so ganz anders als seine Erfolgsopern Eugen Onegin und Pique Dame, in denen der jeweilige politische oder gesamtgesellschaftliche Hintergrund kaum angesprochen wird und stattdessen die zwischenmenschlichen und mehr privaten Motivationen und Verwicklungen im Zentrum dieser Individualtragödien stehen. Auch der Wechsel von ariosen Gesängen, rezitativen Elementen und großen Ensemble- und Chorszenen machen in ihren Kontrasten diese beiden Werke angenehm kompatibel. Nicht so Mazeppa. Hier herrscht massiv und nahezu ausnahmslos Monumentalität vor. Schier endlose Chor-Tableaus oder aber individuelle Gesänge, die sich gleichsam „trompetend“ gegen die immer wieder forcierten Blechbläsereinsätze durchsetzen müssen, geben ein einförmiges, kraftmeierndes Klangbild, das sich erst gegen Ende eines langen Abends auflöst, wenn Maria im Wahnsinn dem tödlich verwundeten, nun „feindlichen“ Jugendfreund Andrej ein der Realität entrücktes Schlaflied singt. Da schiebt sich dann süße – oder sollte man vielleicht besser sagen: süßliche? – Schwermut als Erlösung über die ausgedehnte, schier endlos erscheinende orchestrale Extase.

Eine szenische Umsetzung scheint da ein schwer realisierbares Vorhaben. Eine historisierend folkloristische Aufbereitung stand nicht zur Debatte, denn sie würde das Werk auch nur in die Mottenkiste bannen. Der flämische Schauspielregisseur Ivo van Hove, der sich hier erstmals in Berlin als Musiktheaterregisseur vorstellt, hat sich vor einem Jahr in der Berliner Schaubühne mit einer Inszenierung von Christopher Marlowes Drama Edward II. in der Hauptstadt eingeführt. Dabei zeigte er ein totales Desinteresse am Stück, seinen Personen und ihren sowohl zwischenmenschlichen als auch politischen Konflikten, aber ein manisches Interesse an in die Gegenwart eines imaginierten modernen Gefängnismilieus verlegten, fortwährenden Gewaltexzessen, die in dieser Platzierung überhaupt nicht mit der Stückvorlage korrespondierten. Die Komische Oper kündigt ihn nun kühn als „einen der renommiertesten Regisseure Europas“ an.

Im Verbund mit dem holländischen Szenografen Jan Versweyvelt und dem polnischen Kostümbildner Wojciech Dziedzic arrangierte er hier die Sänger und die Chormassen in eine bunkerähnliche Mehrzweckhalle hinein, die nach Bedarf abwechselnd als Empfangshalle in einem Gutshaus, als Wartezimmer und dann wieder als Folterort oder Leichenzwischenlager fungiert. Das Geschehen ist hier – wie sollte es auch anders sein – in einer unscharf fixierten Allerweltsgegenwart verortet, in der Second-Hand-Klamotten sowie grüne oder khakifarbene Kampfanzüge das Bild dominieren.

Die Akteure werden ohne szenisch einsehbare Motivation oder nachvollziehbare Zusammenhänge im Eiltempo auf die Bühne geschwemmt, nehmen dort Aufstellung oder lagern sich symmetrisch, singen meist frontal wie in einer Schulaula oder auf einem Exerzierplatz zum Publikum, recken gleichförmig und emphatisch moderne Kampfwaffen in die Höhe. Bilder von äußerstem Stumpfsinn und inszenatorischer Hilflosigkeit.

Die Musik, so vor allem das pathetische sinfonische Tongemälde Die Schlacht bei Poltawa, wird von verwackelten, verschwommenen Amateuraufnahmen gegenwärtiger Kriegs- und Folterexzesse, Gefangenenabschlachtungen oder vom Elend der Flüchtlingslager überlagert.

Und da bekanntlich eine optische Bombardierung der Sinne die gleichzeitige akustische Wahrnehmung an den Rand drängt, wird hier die Musik zum Film-Score degradiert. Weil der Regie offensichtlich wieder nichts an einer individuell differenzierenden Figurenführung liegt, bleibt den Sängern nur, in affektive gestische Allgemeinplätze zu fliehen.

Der neue Chefdirigent des Hauses Henrik Nádási und der Chordirektor André Kellinghaus leisten einerseits vorzügliche Arbeit, ergeben sich aber auch ganz der auftrumpfenden Monstrosität des Werkes, statt nach Differenzierungen in Dynamik und Klangbild zu suchen. Der englische Bariton Robert Hayward als Mazeppa agiert durchweg in zynischer Landsknechtmanier, die seine Liebe zu Maria unglaubwürdig erscheinen lässt. Sein Stimmmaterial klingt spröde und abgenutzt, eng in der Höhe, unsicher in der Fokussierung, mulmend und unkultiviert. Die polnische Altistin Agnes Zwierko als Marias Mutter in modernem Pelzmantel und selbstherrlich auftrumpfender Gestaltung demonstriert die monumentale Durchschlagskraft ihres olympioniken Stimmmaterials. Die aus Litauen stammende Sopranistin Asmik Grigorian als Maria gibt in optischer Erscheinung eine nüchterne, moderne und selbstbewusste Frau mit Bürstenhaarschnitt, die die Seelenqualen ihrer Rolle mit nassforscher Gebärde kaum glaubhaft machen kann, aber später mit wundervollem Gesang in ihrer Schlussszene dann musikalisch vollauf überzeugt.

Großartig auch die Stimme des tschechischen Tenors Ales Briscein vom Nationaltheater Prag als Marias Jugendliebe Andrej, ein lyrischer Tenor von großer stimmlicher Strahlkraft, lyrischem Schmelz und dennoch kerniger Grundierung. Der bemerkenswerte Aplomb der Aufführung, eine diesem Haus grundsätzlich eigene Engagiertheit können nicht über die Fragwürdigkeit des Gesamtunternehmens hinwegsehen lassen, über das ungebrochen fortwährende Fortissimo in der musikalischen Konzeption ebenso wie über die völlige Unzulänglichkeit der Inszenierung und über die klischeehafte Lächerlichkeit des optischen Bildes. Ein Musiktheaterabend, der nicht auf Klarheit und Differenziertheit, sondern auf dumpfe Überwältigung zielt und das aufnahmebereite Publikum in eine sadomasochistische Position laviert.

Das Publikum der Premiere scheint gespalten: Die Fans der Phonstärken jubeln. Die Solisten, der Chor und das Orchester werden mit frenetischem Beifall bedacht. Das Regie-Team erntet erwartungsgemäß gleichermaßen Bravos und massive Buhs. Die Sänger reckten beim Applaus siegesbewusst ihre geballten Faust empor, als gelte es, den Siegestriumph bei einem gelungenen Sport-Match zu bekunden. Gewonnen ist hier aber nichts.

Joachim Stargard





Fotos: Monika Rittershaus