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Fakten zur Aufführung 

MATSUKAZE
(Toshio Hosokawa)
1. Februar 2013
(Wiederaufnahme)

Staatsoper im Schiller-Theater, Berlin


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Vom Schlaf am Fuß einer Kiefer

Das Libretto von Hannah Dübgen erzählt eine hierzulande sehr fremdartig erscheinende Geschichte, die auf ein altjapanisches Nô-Spiel von Zeami aus dem 15. Jahrhundert zurückgeht. Nacherzählbares Geschehen und lyrisch reflektierende Passagen wechseln oder gehen ineinander über. Aus diesem Spannungsfeld zwischen deutlich erfassbaren Handlungsvorgängen und meditativ-poetischem Überbau oder auch Traumhaftem bezieht das Werk seinen Reiz.

Zum Geschehen dieses sonst hierzulande noch unbekannten Werkes: Ein Wandermönch stößt an einer einsam stehenden Kiefer am Meeresstrand auf ein Schild mit der Aufschrift der Namen zweier Frauen, die hier begraben wurden, und auf ein kurzes Abschiedsgedicht. Mit Hilfe der Erzählung eines Fischers aus der Gegend erfährt er mehr: Zwei arme Salzschöpferinnen, die hier vor langer Zeit lebten, liebten zugleich einen Edelmann aus der fernen Hauptstadt. Als der nach drei Jahren in die Stadt zurückbeordert wurde, hinterließ er einige Kleidungsstücke und das Versprechen baldiger Rückkehr. Doch die Schwestern erfuhren wenig später von seinem unverhofften Tod. Sie verzehrten sich in ihrer unerfüllten Liebe nach ihm, alterten und starben schließlich am Fuß der Kiefer. Doch ihre unruhigen Seelen sind über ihren Tod hinaus auf der Suche nach Erlösung.

Im Traum des Mönchs sind sie wieder lebendig und beschwören ihn, sie in seine Gebete einzuschließen und auf diese Weise ihren ruhelos irrenden Seelen Linderung, wenn nicht gar Erlösung zu verschaffen. Als der Mönch gegen Morgen nach unruhigem Schlaf erwacht, bleibt ihm von seinem Traum nur eine vage Erinnerung, ein Schattenspiel im aufkommenden Wind und im Lichtwechsel des anbrechenden neuen Tages.

Die Musik zu dieser librettistischen Vorlage schrieb der Japaner Toshio Hosokawa und nutzte dabei ebenso Klangelemente japanischer Tradition wie das Vokabular der westeuropäischen Avantgarde. Flöte, Trommeln und vielfältiges Schlagwerk verbinden sich mit weichem Streicherklang und der Exotik metallener japanischer Windglöckchen. Eingewoben in den Klangteppich sind naturalistische Wind- und Wellengeräusche von variierender Heftigkeit.

Als Regisseurin dieser 2011 in Brüssel uraufgeführten und kurz danach auch in Luxemburg, Warschau und in drei Aufführungen an der Berliner Staatsoper vorgestellten Bühnenproduktion inszeniert Sasha Waltz. Nun also eine Wiederaufnahme in drei Vorstellungen in Berlin. Hingebungsvolle Ausführende sind die zwei Dutzend Tänzer ihrer eigenen, in Berlin angesiedelten Tanzkompanie Sasha Waltz & Guests sowie vier in den choreografierten Ablauf eingebundene Sänger. Genau genommen also keine Staatsopernproduktion, sondern ein mit beachtlichem Werbeaufwand angekündigtes Gastspiel.

Waltz erzählt kaum entzifferbar die vorgegebene Geschichte, deren Konturen folglich auch nicht wahrnehmbar sind. Sie sei an „Bewegungsqualitäten“ und dem „Wechsel von Körperzuständen“ interessiert. Sie habe „erst einmal mit den Elementen der Bäume, des Wassers, des Windes und der Vögel gearbeitet“. So bleibt das Geschehen auf der Bühne abstrakt, eine schier endlose Schleife von bewegungsgesteuerten Affekten. Sie arbeitet mit einem eigenen Kanon von gestisch-tänzerischen Versatzstücken, von wechselnden Energieschüben, die selbstversunken vor sich hin mäandern. Hier weiß sie sich vermutlich seelenverwandt mit den theatralen Ritualen des klassischen Nô-Theaters, das sich szenisch ebenso über seine eigenen geheim erscheinenden Codes und Rituale mitteilt.

Unterstützt wird die Choreografin und Regisseurin mit ihren Intentionen kongenial durch einen leeren Bühnenraum samt einschwebendem abstrakten Holzgerüst von Pia Maier Schriever und den konzeptionell schwer zuzuordnenden Schlabber-Look-Kostümen von Christine Birkle sowie partiell eingesetzten kleinen weißen Halbmasken – als einsames Nô-Theater-Zitat. Eine für die PR-Konzeption sehr wirkungsvoll fotografierte Bühneninstallation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, die schwebende weißgewandete Frauenkörper hinter schwarzen, unsymmetrisch gespannten Wollfäden gleich einem Spinnenetz postiert, tauchen in der tatsächlichen Aufführung nicht auf.

Beachtliche Leistungen vollbringen Barbara Hannigan und Charlotte Hellekant als die zugleich sängerisch und tänzerisch virtuos agierenden unglücklichen Schwestern Matsukaze und Murasame, während Frode Olsen ein statisch agierender Mönch mit offensichtlich geplantem Tremolo-Gesang ist. Der Chor, das Vocalconsort Berlin, und die Staatskapelle Berlin unter der musikalischen Leitung von David Robert Coleman präsentieren die ungewohnten klanglichen Anforderungen auf zu erwartendem hohen Niveau.

Das Publikum nimmt die mit äußerster Emphase und bewundernswertem Körpereinsatz präsentierte Darbietung größtenteils respektvoll-anerkennend entgegen. Interessant wäre sicherlich auch eine ganz andere, deutlicher mit den Möglichkeiten einer überschaubaren Handlungsführung operierende Inszenierung dieser poetischen Werkvorgabe.

Joachim Stargard





Fotos: Bernd Uhlig