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Fakten zur Aufführung 

KATJA KABANOWA
(Leoš Janáĉek)
9. Februar 2014
(Premierre am 25. Januar 2014)

Staatsoper Berlin


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Gefrorene Gefühle

Vor gut zwei Jahren brachte die Berliner Staatsoper Leoš Janáĉeks Sträflingsdrama Aus einem Totenhaus in der Regie von Patrice Chéreau als Koproduktion mit verschiedenen Festivals und Opernhäusern heraus. Am Pult der Staatskapelle stand Sir Simon Rattle, und er ist auch der Initiator der jetzigen Neuinszenierung von Katja Kabanowa. Sie ist wiederum keine Originalarbeit für die Staatsoper, sondern die Übernahme von Andrea Breths Brüsseler Inszenierung aus dem Jahr 2010 – weil sich der ursprüngliche Plan, die Oper von einem neuen Team realisieren zu lassen, zerschlug.

Nun also haben die Berliner Gelegenheit, die Sichtweise der Regisseurin kennenzulernen. Sie ist vor allem eines: düster und hoffnungslos. Die Bühne, ausgestattet von Annette Murschetz, ist ein trostloser Flecken mit ein bisschen Mobiliar, die Natur grau und vermüllt, die Wolga nicht sichtbar und auch die Kostüme von Silke Willret und Marc Weeger sind trist und farblos. Die Menschen, die hier leben, tragen vorwiegend unsympathische Züge, von angenehmen Charaktereigenschaften keine Spur. Breth, die große Theatermacherin, die erst in den letzten Jahren zur Oper gefunden hat, zeigt eine zutiefst verrohte, gefühlslose, bigotte Gesellschaft. Mit schonungslosem Blick lotet sie jede Figur in ihren Regungen penibel aus, selbst eine Nebenrolle wie die alte Zugehfrau Glascha erhält Beachtung. Der Kaufmann Dikoj vertreibt sich die Langeweile am Fernseher, wenn er sich nicht gerade beim brutalen Sex mit der hemmungslos willigen Kabanicha vergnügt. Die gibt sich ansonsten knallhart, macht ihrer Schwiegertochter das Leben zur Hölle und umsorgt Sohn Tichon besitzergreifend in keinesfalls nur mütterlicher Weise, wenn sie ihn auf intimste Weise wäscht. Tichon selber ist ein Ehemann ohne Rückgrat und Boris, ein hübscher, aber schwächlicher Liebhaber. Selbst bei dem jungen Paar Varvara und Kudrjasch, den Hoffnungsträgern auf eine bessere Zukunft, geht es zuvörderst um schnelle Triebbefriedigung, nicht um tiefere Empfindungen. Die allein sind Katja vorbehalten, und an ihnen scheitert sie. Ihre Liebe zu Boris ist der letzte Versuch, sich gegen die Verhältnisse aufzubäumen. Breth findet für Katjas Isolation plakative Bilder. Zu Beginn sitzt die junge Frau in einem Kühlschrank, ausgeschlossen von der übrigen Welt. Später wird sie sich nicht, wie im Original, in der Wolga ertränken, sondern sich in einer Badewanne am äußersten Bühnenrand die Pulsadern aufschneiden. Ein einsamer Tod, der von niemandem beachtet wird. Denn gleich daneben vollziehen Frauen in schwarzer Kluft ungerührt religiöse Handlungen.

Katja wird von Eva-Maria Westbroek verkörpert. Ihr gelingt eine Totalidentifikation mit der Rolle, die sich in hochemotionalem, zu Herzen gehendem Gesang und beklemmenden Ausdrucksnuancen entlädt. Einen auffallend schönen, unverbraucht frischen Mezzosopran schenkt Anna Lapkovskaja der Warwara. Auch Florian Hoffmann gefällt durch seinen mühelos geführten, jugendlich-schlanken Tenor. Deborah Polaski verleiht der Kabanicha ihre große Persönlichkeit und einen nach wie vor intakten hochdramatischen Sopran. Pavel Černoch und Stephan Rügamer sind die beiden Männer in Katjas Leben, ersterer mit Belcantoglanz in der Stimme, der zweite mit scharfem Charaktertenor. Pavlo Hunkas Dikoj poltert mit Bassgewalt und für die Kleinstrolle des Kuligin ist sogar Roman Trekel aufgeboten.

Was Andrea Breth ihren Protagonisten verwehrt, macht Sir Simon Rattle in seinem aufwühlenden Dirigat aufs Dringlichste deutlich. Dass nämlich unter den erstarrten Hüllen Emotionen brodeln und es so etwas wie Glücksmomente im Leben gibt, spiegelt sich im Brodeln des Orchesters und in den zärtlich aufblühenden Streichern wider. Die Musik setzt Schichten frei, sie spricht eine andere, tiefer gehende Sprache als die bedrückende Inszenierung.

In der ausverkauften Nachmittagsaufführung geht es nach dem Schlussakkord hoch her. Es gibt lautstarke Ablehnung gegenüber der Inszenierung, die jedoch schnell von zustimmenden Bravos für die Solisten übertönt wird und sich bei Eva-Maria Westbroek und Sir Simon Rattle zu Ovationen steigern.

Karin Coper

Fotos: Bernd Uhlig