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Fakten zur Aufführung 

HINTERM HORIZONT
2. Mai 2011 (100. Vorstellung)
(Premiere: 13. Januar 2011)

Berlin, Theater am Potsdamer Platz

Points of Honor                      

Musik

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Audiobeitrag

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie den Audiobeitrag unseres Korrespondenten Michael S. Zerban zum Musical Hinterm Horizont.

 
 

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Lebenswerk mit Ostalgie

Die Trennung und Wiedervereinigung Deutschlands ist ein ernstes Thema. Da verstehen die Deutschen keinen Spaß. Zu viel Leid ist mit der Mauer, die ein Land in zwei Welten teilte, verbunden. Eine ganze Generation ist mit der Indoktrination groß geworden, dass man Mauern nicht einreißen könne. Der Besuch der Mauer gehörte für Schülerinnen und Schüler der Bundesrepublik Deutschland zum Pflichtprogramm, um den Unrechtsstaat der Deutschen Demokratischen Republik in seiner ganzen Härte zu demonstrieren. Aber es gab ihn, den Rufer in der Wüste, der mit lässigen Songs gegen die Teilung ansang. Von der ostdeutschen Jugend als Held gefeiert, von vielen westdeutschen Jugendlichen belächelt. Sein Engagement wirkte in der ihm eigenen Überdrehtheit oft genug als „Masche“, in die Medien zu kommen. Trotzdem steht Udo Lindenberg heute wie kaum ein anderer als Synonym für den Kampf um die Wiedervereinigung. Da liegt es nahe, sein Lebenswerk zu würdigen. Aber muss es gerade die leichte Muse sein, ein Musical? Seit Anfang dieses Jahres wissen wir: Es muss. Regisseur Ulrich Waller und Autor Thomas Brussig haben mit Udo Lindenberg eine Geschichte geschrieben, die so facettenreich daherkommt wie das pralle Leben. 30 Lindenberg-Songs wurden verarbeitet, um die sich die Geschichte webt.

Retrospektiv erzählt Jessy Schmidt, das Mädchen aus Ost-Berlin, einer Journalistin von ihrer Jugend. Mitgliedschaft in der Freien Deutschen Jugend, die erste Begegnung mit Lindenberg, die gemeinsame Nacht, die Trennung. Das Wiedersehen nach dem Fall der Mauer, nachdem der Rocker erfahren hat, dass Jessy „Inoffizielle Mitarbeiterin“ der Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik war, und letztlich doch ein Happy-End. In diesem Rahmen werden die Befindlichkeiten der damaligen Zeit aufgehängt. Es sind Liebesgeschichte, Lebensgeschichten und politische Geschichte, die hier dicht an dicht miteinander verwoben werden. Schöner kann Musical kaum sein.

Den perfekten Rahmen dafür hat Raimund Bauer mit seiner Bühne geschaffen, die von einem etwa drei Tonnen schweren, überdimensionalen Hut beherrscht wird, der entweder selbst als Bühne dient oder über allem schwebt. Zu den jeweiligen Stationen werden Podeste auf die Bühne geschoben, auf denen die verschiedenen Wohnwelten die Akteure in den passenden Zeitrahmen stellen. Kostümbildnerin Ilse Welter verpackt die Darsteller in zeitgenössischen Kostümen und schafft damit Authentizität. Die Chorszenen in der Choreografie von Kim Duddy sind hinreißend, bringen Tempo in die Veranstaltung. Auf der Bühne auch die Band unter der musikalischen Leitung von Michael Delhaye, die das nötige Rock’n’Roll-Feeling vermittelt. Perfekt eingespielte Videos unterfüttern das Geschehen auf der Bühne mit dokumentarischem Material, so dass tatsächlich das Gefühl entsteht, man erlebe deutsche Geschichte.

Waller hat bewusst auf große Namen verzichtet und setzt ganz auf ein junges Team, das in seiner Dynamik, Spielfreude und Bühnenpräsenz begeistert. Serkan Kaya wird als Udo Lindenberg immer da gut, wo er darauf verzichtet, den Rock’n’Roller zu imitieren. Einen Lindenberg kann man nicht imitieren, auch das zeigt Kaya an zwei, drei Stellen, an denen das Drehbuch genau das vorsieht. Aber es ist auch nicht notwendig. Den Songs gibt Kaya seine eigene Note und entschärft so das Genuschele Lindenbergs, verleiht den Texten mehr Gewicht. In Josephin Busch als junger Jessy findet er dabei die ideale Partnerin. Spätestens bei ihren Auftritten fragt sich der Betrachter, warum nicht längst jemand die Texte aufpoliert und neu interpretiert hat. Jessys Eltern, herrlich klischeehaft gespielt von Dorina Maltschewa und Thomas Schumann, überzeugen ebenso wie die tragische Gestalt von Jessys Freund und späterem Mann Marco, der zunächst von Sebastian Stipp, im Alter von Thomas Schumann gespielt wird. Immer da, wo die politische Dimension in die Geschichte hineinspielt, verlegt sich Waller auf die Persiflage. Da können die Stasi-Leute, gespielt von Holger Dexne und Ralf Novak, fast ohne Übertreibungen glänzen. Aline Staskowiak verleiht der „alten“ Jessy glaubhaft das Phlegma der unglücklichen Selbstaufgabe, die Selbstergebenheit in ihr Schicksal ohne Bosheit. Ihren Bruder Elmar gestaltet Christian Sengewald als Sinnbild einer rebellischen „DDR“-Jugend, später als Stellvertreter-Schicksal der „Rübergemachten“. Da muss man nichts mehr erklären, da stehen die Schicksale für sich. Ein wenig überzogen mimt Christopher Brose Jessys Sohn Steve, um die Ähnlichkeit zu Lindenberg herzustellen. Na gut, kann man so machen. Sehr klischeehaft ist die Rolle der Journalistin Mareike, die Nadja Petri mit Coolness gut in den Griff bekommt.

Ohne Technik wäre dieses Musical, wie bei modernen Produktionen üblich, kaum etwas. Aber die Technik funktioniert in einer Perfektion, die beeindruckt. Beeindruckt ist auch das Publikum aller Altersklassen im gut besetzten Haus. Jede Nummer wird einzeln applaudiert und kaum sind die letzten Takte des Schluss-Songs verklungen, hält es Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mehr in den Sesseln. Standing Ovations und rhythmisches Mitklatschen bei der Zugabe anlässlich der Jubiläumsveranstaltung wollen nicht enden. Ein denkwürdiger und zugleich vergnüglicher Abend, der auch den Nostalgikern gefallen hat.

Michael S. Zerban

 









 
Fotos: Brinkhoff/Mögenburg, Eventpress/Stage, Tine Acke