Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

HANJO
(Toshio Hosokawa)
24. Juni 2013
(Premiere am 22. Juni 2013)

Staatsoper im Schiller-Theater, Berlin


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Einmal warten - immer warten

Im bizarren und schwer zu verstehenden Gedankenraum von Träumen und Wahnvorstellungen bewegt sich Toshio Hosokawas Oper Hanjo. Die Geschichte geht auf einen Klassiker des japanischen No-Theaters aus dem 14./15. Jahrhundert zurück, der dem Schriftsteller Yukio Mishima 1957 zu einer sehr freien Schauspiel-Adaption in englischer Sprache Vorlage war. Von Mishimas Stück ausgehend, schuf Hosokawa 2003/04 ein Auftragswerk für das Festival Aix-en-Provence, eine Oper in einem Akt und sechs Szenen. Als Koproduktion für die Ruhrtriennale und die Berliner Staatsoper inszenierte sie dann Calixto Bieto. 2011 erlebte sie in Duisburg ihre Premiere. In diesem Jahr zieht nun Berlin nach. Tatjana Heiniger übertrug Bietos Inszenierungsmodell auf die Bühne des Ausweichquartiers der Staatsoper im Schiller-Theater.

Worum geht es? Hanako, eine junge Geisha, also Prostituierte, hat sich vor einigen Jahren unsterblich in einen ihrer Kunden verliebt. Dieser, ein Geschäftsmann namens Yoshio, erwidert die Liebe, muss jedoch – warum auch immer – den Ort des Geschehens verlassen, will aber baldmöglichst wiederkommen. Beide tauschen als Liebespfand Gegenstände der Erinnerung. In Mishimas Stück und Hosokawas Oper sind es Fächer, in Bietos Inszenierung nun Tattoos. Hanako bleibt allein und verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Geliebten, der auf sich warten lässt. Sie bedient als Geisha keine Kunden mehr. Jitsuko, eine unverheiratete und verbitterte Frau, die niemals Liebe erfahren hat, umwirbt Hanako. Sie kauft sie frei und nimmt sie bei sich auf. Obwohl Hanako nur damit beschäftigt ist, an ihre Liebe zu Yoshio zu denken und sein Bild in ihrer Fantasie immer mehr zu verklären, ist Yitsuko glücklich, die somnambule Schöne in ihrer Nähe zu haben. Da Hanako Tag für Tag vergeblich an einer Eisenbahnstrecke auf den Geliebten wartet und sich ihr Zustand mehr und mehr radikalisiert und dem Wahnsinn nähert, wird die Außenwelt aufmerksam. In einer hauptstädtischen Zeitung erscheint ein Artikel über die fanatisch Wartende, den – der Zufall will es – auch Yoshio liest. Nun kommt er – warum erst jetzt? – an den Ort des Geschehens, gerät aber zunächst nur an die eifersüchtige Jitsuko und fordert herrisch Hanako für sich. Als er dann endlich Hanako gegenüber steht, hat sich die Verlassene so sehr in ihre Traumwelt verstrickt, dass sie in Yoshio nicht den früheren Geliebten wiedererkennt und ihn abweist. Der ist daraufhin untröstlich und ertränkt sich in einem nahegelegenen Tümpel. Yitsuko hat nun die in ihrem Wahnsinn zauberisch Erleuchtete ganz allein für sich und ist glücklich.

Das Motiv verlassener Frauen, die an ihrer Erinnerung und an dem Verlust des fernen Geliebten kaputt gehen, taucht auch später in Hosokawas Opern- und Tanztheaterstück Matsukaze auf, das die Berliner Staatsoper in einer Inszenierung von Sasha Waltz im Februar 2013 zuletzt vorstellte. Wie auch in Matsukaze arbeitet der Komponist in Hanjo mit einem europäischen Orchesterinstrumentarium. Bestimmte fernöstliche Klangmalereien oder Naturgeräusche lässt Hosokawa durch ungewöhnliche Nutzung von Instrumenten nachahmen, so beispielsweise Atemgeräusche mit Hilfe einer Bambusflöte, andere wieder mit einem behutsamen Anblasen von Instrumenten. Hinzu kommen japanische Windglöckchen. Überhaupt ist der Klang eher in der absonderlichen Nutzung von Instrumenten oder Instrumentengruppen auszumachen als in einem traditionellen Spiel. Die sehr zarte, unscharfe Klangvermittlung wird über weite Strecken von Streichern erzeugt. Blasinstrumente und Trommeln charakterisieren dann kurzzeitig den herrisch auftretenden und fordernden Yoshio.

Das Bühnenbild von Susanne Gschwender zeigt das Teilstück eines auf das Publikum zulaufenden und offensichtlich nicht mehr benutzten Schienengleises, über das abgebrochenes Astwerk gestürzt ist. Links und rechts davon sitzen die Orchestermusiker der Staatskapelle mit weiß geschminkten Gesichtern, gleichsam wie Geister in Erdhöhlen. An der einen Seite gibt es zusätzlich eine mit Wasser gefüllte Flachwanne, in der sich anfangs Hanako spiegelt und die gegen Ende jene Pfütze darstellt, in die sich der enttäuschte Yoshio bis zu seiner Erlösung durch den Schlussapplaus einzulagern hat.

Die Regie von Calixto Bieto beschränkt sich auf leicht variierende Arrangements der drei hingebungsvoll agierenden Sängerdarsteller Ingela Bohlin als Hanako, Ursula Hesse von den Steinen als Jitsuko und Georg Nigl als Yoshio. Hanako, in einem Kostüm, das mit roten Strümpfen an Strumpfhaltern recht klischeehaft an ihre frühere Prostituiertentätigkeit erinnern soll, andererseits mit einem derangierten weißen kurzen Tüll-Tutu ihren umwölkten Geisteszustand illustriert, balanciert fortwährend über die Eisenbahnschienen.

Wenn sie nicht gerade im Liegen immer wieder eine kleine Menge von Steinen aus dem Schienenbett klaubt und in ihren Miederausschnitt zu schieben versucht. Ansonsten gibt sie sich ätherisch. Doch durch ihr weißes Blüschen schimmern an der Stelle der Brustwarzen kleine, in ihren Konturen verschwimmende rote Flecke, offensichtlich Spuren von Blut. Nanu! Vielleicht Selbstkasteiung? Oder gar Folter? Keiner weiß es genau.

Ihre Beschützerin Jitsuko ist hier weder eine alte, einsame, verbitterte Frau noch eine Künstlerin, die in Hanako ihre Inspirationsquelle sieht, wie der Kommentar im Programmheft suggeriert. Vielmehr erinnert die junge, attraktive Frau in ihrer Erscheinung nun an eine verführerische Domina: schwarzes hautenges Outfit, Minirock über freigelegtem schwarz durchschimmerndem Beintrikot und Pumps. Langes, offen getragenes peitschenartiges Haar und ein elegant überschminktes Gesicht mit verführerischem Augenaufschlag und einem großen, immer wieder strahlendem eiskalten Lächeln.

Yoshio erweist sich in seinem korrekten Beamtenlook und seinem nur fordernden, instinktlosen und absurd auftrumpfenden Verhalten als die Karikatur eines verzweifelt Liebenden, als ein wahrer Jammerlappen.

Schließlich sind wir in einer Inszenierung des berühmten Skandalregisseurs, den die Staatsoper engagiert hat, weil man von ihm erwartet, dass er „hinter die Fassaden schauen kann und das Innenleben der Figuren freilegt“ – so etwa äußert sich die Einstudierungsleiterin Tatjana Heiniger. Wer einst Bietos schrillen Operneinstand in Berlin miterlebt hat und Mozarts Entführung aus dem Serail an der Komischen Oper in ein modernes Bordell mit Folterbetrieb verlegt fand, wird hier nur eine vergleichsweise milde Variation seiner Realitätssicht entdecken. Immerhin, seit einem Jahrzehnt verweist der katalanische Meister immer wieder auf die Schrecken seiner jesuitischen Erziehung. Wer wollte da nicht Verständnis für seine zwanghafte Inspirationslage haben!

Doch die Geschichte, die eine sehr ferne Kultur und Gedankenwelt spiegelt und ursprünglich dem Zen-Buddhismus verpflichtet ist, wird nicht erfassbarer durch modisch-zeitgeistige Vereinfachung. Und auch der Bühnenbau, von märchenhaften Licht- und Bühnennebel-Stimmungen umschmeichelt, baut dem Zuschauer keine Brücke, das Geschehen als zwangsläufig oder wenigstens zur Anteilnahme auffordernd zu begreifen.

Alle Beteiligten, die Sängerdarsteller wie auch die Musiker unter Leitung von Günther Albers, geben für die schale Sache ihr Bestes. Und so wird ihr Einsatz auch vom Publikum überaus wohlwollend honoriert. Das gehört sich nun mal so.

Joachim Stargard

Fotos: Hermann und Clärchen Baus