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Fakten zur Aufführung 

GEFÄHRTEN
(Nick Statford)
19. Oktober 2013
(Medienpremiere)

Theater des Westens


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Von Menschen und Pferden

Als 1984 in England das Jugendbuch War Horse von Michael Morpurgo erschien, war nicht abzusehen, dass sich die Geschichte um die unvergängliche Freundschaft zwischen dem Jungen Albert und dem Pferd Joey in den Wirren des ersten Weltkriegs zu einem globalen Erfolg ausweiten würde. 2007 aber adaptierte es Tom Morris, der damalige Direktor vom Londoner National Theatre, für seine Bühne und erzielte mit dieser Fassung einen Riesenhit, der bis heute andauert. Da konnte der Film natürlich nicht nachstehen: 2011 kam Steven Spielbergs Version ins Kino. Und nun, 2013, zieht die deutschsprachige Fassung unter dem Namen Gefährten ins Berliner Theater des Westens ein - als Antikriegsstück aus englischer Sicht, auch wenn die auftretenden Deutschen in der Textfassung von John von Düffel durchaus positive, versöhnliche Züge tragen.

Gefährten ist keinem speziellen Genre zuzuordnen. Es ist weder reines Schauspiel noch Musical, am ehesten noch kann man es als Theater mit illustrierender Musik – sie stammt von Adrian Sutton - bezeichnen. Es beginnt im Jahr 1912 in einem englischen Dorf. Die arme Familie Narracott erwirbt das Pferd Joey, zu dem Sohn Albert eine intensive Beziehung aufbaut. Doch dann bricht der erste Weltkrieg aus, die ersten Bewohner werden eingezogen und Vater Narrocott verkauft das Pferd an die Armee. Hier gerät es mitten ins Kriegsgeschehen und später in die Hände der Deutschen. Albert verdingt sich als Soldat, um Joey zu suchen, und erlebt die Kämpfe an der Front mit. Am Ende findet er das Tier krank in einer Sammelstelle wieder und kehrt mit ihm zurück nach England.

Die auf der Basis der Londoner Originalinszenierung erarbeitete Berliner Einstudierung von Polly Findlay entfaltet sich ganz allmählich. Zunächst wird das beschauliche ländliche Milieu liebevoll ausgepinselt, man beobachtet das behutsame Aufziehen des Pferdes durch den Sohn Albert, sieht lebensecht modellierte fliegende Vögel und eine Gans, erlebt aber auch den Ehestreit der Eltern wegen Geldsorgen und Zwistigkeiten zwischen den Brüdern Narracott. Die idyllischen Dorfimpressionen gehen über in Kriegsszenen, in denen nichts beschönigt wird. Es werden Leichen, Bombenangriffe und Erschießungen gezeigt, also Dinge, die üblicherweise im Unterhaltungsangebot der produzierenden Stage Entertainment nicht zu finden sind. Aber Gefährten ist eben nicht nur eine rührende Story über eine Mensch-/Tierbeziehung, sondern gleichzeitig eine Anklage gegen den Krieg.

Einen großen Anteil an der Gesamtwirkung hat die Kulisse von Rae Smith, die so einfach wie suggestiv ist. Beherrschend ist eine vom Schnürboden hängende längliche Wolke, die fast die gesamte Breite des Raumes einnimmt. Auf sie werden die wechselnden Schauplätze in pittoresken Zeichnungen, aber auch Bombeneinschläge oder Panzerangriffe projiziert. Die Bühne selbst ist fast leer, der schnelle Wechsel von Requisiten und Versatzstücken sowie der Gebrauch von Lichteffekten verdeutlicht die verschiedenen Szenen. Genügend Platz aber ist auch nötig für die eigentliche Sensation der Aufführung. Das sind die aus Leder, Rattan und Metall gefertigten originalgroßen Pferde. Sie werden von jeweils drei Puppenspielern der südafrikanischen Puppenspielertruppe Handspring Puppet Company so echt geführt, Bewegung und Körperhaltung sind so natürlich, dass man meint, lebendige Wesen vor sich zu haben. Doch auch die lebendige Darstellercrew ist großartig. An der Spitze steht der junge Philipp Lind als Albert, den er völlig unaffektiert und ohne jegliche Peinlichkeit oder zu großes Pathos gestaltet. Heinz Hönig als trunksüchtiger Vater fügt sich als einziger namhafter Schauspieler nahtlos ins vorzügliche Team ein, aus dem stellvertretend Christian Miebach als jungenhafter, argloser Kamerad, Silke Geertz als warmherzige Mutter und Andreas Köhler als aufrechter Gefreiter Friedrich genannt seien. Als Ruhepol tritt zwischen einigen Szenen ein kommentierender Balladensänger mit von John Tams im Bänkelliederstil komponierten Songs auf, für die Jan Alexander Tomšic den angemessen schlichten Ton findet.

Die deutsche Erstaufführung von Gefährten ist ein Vorreiter zu den Gedenkveranstaltungen anlässlich des 100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs 2014. Als Kooperationspartner wurde das Deutsche Historische Museum gewonnen, das mit Begleitprogrammen, darunter auch spezielle für Schüler und Lehrer, die Show ergänzt. Stage Entertainment hat eine lange Laufzeit für Gefährten angekündigt. Das ist mutig und gleichzeitig riskant. Denn das Spektakel richtet sich an keine klare Zielgruppe, und das Publikum im Theater des Westens ist an leichte Kost gewöhnt. Die Besucher der Medienpremiere sind auf jeden Fall begeistert und danken dem Team, allen voran Philipp Lind und den Puppenspielern, mit standing ovations.

Karin Coper

Fotos: Morris Mac Matzen