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Fakten zur Aufführung 

DON CARLO
(Giuseppe Verdi)
1. Mai 2011
(Premiere: 13. Juni 2004)

Berlin, Staatsoper unter den Linden im Schillertheater

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Empörung im Foyer

Es gibt Symbole, die uns so selbstverständlich geworden sind, dass es hilfreich ist, unser Bewusstsein dafür wieder zu schärfen. Regisseur Philipp Himmelmann wählt den Tisch auf einem Lichtpodest als zentrales Element seiner Bühne. Der Tisch als Treffpunkt der Familie, der Esstisch, der Richtertisch, der Tisch als Bettersatz. Dahinter eine von hinten beleuchtete, weißtransparente Wand, vor der Bühnenbildner Johannes Leiacker beständig schwarze Vorhänge verschiebt und damit die Perspektiven ändert. Im Wechselspiel mit Davy Cunninghams Lichtregie entstehen so immer wieder neue, faszinierende Bilder ohne große Umbauten. Auf solcher Bühne wären klassische Kostüme kaum angebracht, und so verlegt sich Klaus Bruns darauf, die Akteure in aktuelle Mode zu stecken. Was zunächst nach Opernalltag klingt, lässt die politische Auseinandersetzung zwischen freiheitsstrebenden und machterhaltenden Kräften in einem neuen, einem aktuellen Licht erscheinen. Wenn Posa darauf drängt, Don Carlo Flandern zu überantworten, um Schlimmeres zu verhindern, fühlt man sich an die aktuellen politischen Ereignisse im arabischen Raum erinnert.

Die Staatskapelle Berlin startet unter Leitung von Massimo Zanetti im wahrsten Sinne des Wortes furios. Kaum, dass von der Bühne noch Stimmen zu hören sind. Das wirkt wie ein angestrengter Kraftakt und verdirbt die Laune. Lediglich der Staatsopernchor unter Leitung von Eberhard Friedrich kann dagegen halten. Aber eigentlich sollte das Spiel der Mächte auf der Bühne stattfinden, wo es beim Glaubensgericht drastisch wird. Vier nackte Menschen sitzen zunächst mit dem Rücken zum Publikum am Rande des Orchestergrabens, ehe sie mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen werden. Zum Ende des Aktes werden sie an den Füßen in die Höhe gezogen und baumeln an Seilen hoch über dem Bühnenboden. Der Vorhang fällt, als sich die Vollstrecker mit dem Feuer nähern. Das bringt die Handlung nicht entscheidend voran, sorgt aber in Verbindung mit dem Klangbrei für heftige Diskussionen während der Pause im Foyer.

In der zweiten Hälfte der Aufführung ist es, als habe der Trainer in der Mannschaftskabine ein Machtwort gesprochen, um dieses Bild aus dem Fußball zu bemühen. Das Orchester nimmt sich auf ein angenehmes Maß zurück, und nun kommen auch die fantastischen Stimmen der Bühnenakteure zur Geltung. René Pape verleiht König Philipp stimmlich die ganze Palette geforderter Emotionen, Fabio Sartori überzeugt als (ver-)zweifelnder Don Carlo. Brillant Alfredo Daza als Marquis von Posa, dem es sogar gelingt, die Sterbeszene glaubhaft zu singen. Die Prinzessin Eboli nimmt man der Nadia Krasteva ab, als spiele sie nicht, sondern durchleide die Rolle in eigener Person. Da nimmt man auch die angedeutete und eigentlich überflüssige Kopulationsszene zwischen der Eboli und Philipp auf dem Tisch (sic!) nicht übel. Endgültig ausgesöhnt gibt sich das Publikum, wenn Amanda Echalaz sich ganz den Arien der Elisabeth von Valois hingibt. Bravo-Rufe können in Berlin noch gesteigert werden: „Hammer!“ tönt es immer wieder aus dem Zuschauerraum. Wo die Stimmen zur Freude gereichen, langweilt die zunehmende Statik auf der Bühne. Sich hinzustellen und eine Arie zum Besten zu geben, wirkt einfach nicht mehr zeitgemäß.

Am Ende eines langen Abends freut das Publikum sich ob der erlebten Sangeskunst und entlässt Ensemble und Orchester mit versöhnlichem Applaus.

Michael S. Zerban

 



Fotos: Monika Rittershaus