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Fakten zur Aufführung 

DIE BLINDEN & DIE VERWANDLUNG
(Paul-Heinz Dittrich)
2. April 2014
(Premierre am 30. März 2014)

Staatsoper Berlin


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Der inszenierte Raum

In der Staatsoper im Schillertheater gehen die Sänger- und Pultstars für das große Repertoire ein und aus. Die Werkstatt im Nebengebäude aber bietet der kleinen Form und dem Experiment ein Forum. Ein Programmstrang ist seit drei Spielzeiten die Beschäftigung mit dem Musiktheater der ehemaligen DDR. 2011 war Friedrich Goldmanns Büchner-Adaption R.Hot zu sehen, ein Jahr später Reiner Bredemeyers Der Neinsager und in dieser Saison gibt es zwei kurze Stücke des 1930 geborenen Paul-Heinz Dittrich. In Ostdeutschland war der Komponist Einzelkämpfer, galt er doch als nicht konform gegenüber dem stilistisch gewünschten sozialistischen Realismus. Erst als er eine Gastprofessur in Freiburg angeboten bekam, erhielt er die gleiche Ehre in Berlin, wo er Jahre zuvor noch abgelehnt wurde. Seine zwei in der Werkstatt gezeigten Minidramen, die hier zu einer pausenlosen Einheit verzahnt sind, nennt Dittrich szenische Kammermusiken. Beide beziehen sich auf Literaturvorlagen, die das Ausgegrenztsein als Gruppe und in der Familie zum Thema haben. Die Blinden, 1986 im Berliner Ensemble uraufgeführt, geht auf Maurice Maeterlincks gleichnamiges Theaterstück zurück; Die Verwandlung, 1983 im französischen Metz erstmals vorgestellt und vor einigen Jahren im Konzerthaus neu befragt, auf Franz Kafkas Erzählung.

Eine herkömmliche Geschichte erzählen die Stücke nicht, eher handelt es sich um die Schilderung seelischer Zustände. Diese zu verdeutlichen, kommt dem Regisseur Thomas Goerge als ursprünglich ausgebildetem Bühnen- und Filmgestalter, der etwa Christoph Schlingensiefs Bayreuther Parsifal mit ausgestattet hat, gelegen. Den bildenden Künstler merkt man seiner Inszenierung in jedem Moment an. Er hat die Spielstätte in einen Ausstellungsraum verwandelt, der eine Fundgrube an Objekten und Installationen ist. An der Wand sind Notenblätter und Plakate befestigt, von der Decke hängen Spazierstöcke, Schallplatten und Spiegel, die die Aktionen reflektieren, und eine Videoleinwand gibt es natürlich auch. Die Zuschauer erhalten am Eingang einen Stuhl oder ein Ruhepolster und suchen sich ihren Platz selbst. In einer Ecke sitzen die Instrumentalisten, dahinter ist ein riesiges hochgeklapptes Bett aufgebaut, vor dem sich fünf Sänger, kostümiert wie um 1900, mit einem Kissen im Rücken aufgestellt haben. Sie befinden sich in einem seltsamen Zustand zwischen Schlafen und Wachen, und ihre Position lässt offen, ob sie stehen oder liegen. Die überbordende Raumausstattung ist so suggestiv wie rätselhaft, sie lädt zum ständigen Fantasieren und Assoziieren ein. Auch was Goerges Einführung zweier schwarzafrikanischer Schauspieler, Gäste aus Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso, betrifft. Lionel Poutiaire Somé liest Ausschnitte aus Kafkas Brief an den Vater und bedient dabei eine Handkamera, während Abdoul Kader Traore stolz durch die Zuschauerreihen schreitet und durch kleine Aktionen auf das Flüchtlingsdasein aufmerksam zu machen scheint. Außenseiter sind sie, wie auch Dittrichs Bühnenfiguren und der Komponist früher selbst.

Das Sängerquintett ist mit Lydia Brotherton, Claudia van Hasselt, Joachim Vogt, Jakob Ahles und Jörg Gottschick hervorragend besetzt. A uf beeindruckende Weise demonstrieren die Solisten, was stimmlich so alles möglich ist: ob Unisono-Gesang oder scharf artikulierte Deklamation, ob Röcheln oder Hecheln in allen erdenklichen Lagen, all das wird virtuos vorgetragen. Treibende Kraft aber ist der mit spürbarem Engagement und Gestaltungswillen agierende Dirigent Diego Martin Etxebarria. Er animiert die kleine Orchesterschar – im ersten Teil sind es fünf Bläser und das von Frank Gutschmidt virtuos bediente Cembalo, im zweiten zwei Streicher und Bassklarinette – zu einem Maximum an präzisem wie entspanntem Spiel und rückt dadurch Dittrichs radikale Tonsprache zwischen Stille und Aufbäumen ins rechte Licht.

Das Publikum in der gut gefüllten Werkstatt, darunter sogar eine englische Schulklasse, folgt dem Abend konzentriert und dankt mit anerkennendem Beifall.

Karin Coper

Fotos: Vincent Stefan