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Fakten zur Aufführung 

AIROSSINI
(Kharálampos Goyos)
3. Juli 2013
(Uraufführung am 6. Juni 2013)

Neuköllner Oper, Berlin


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Flughafen Belcanto

Als ob Rossini es geahnt hätte: So wie den vor knapp 200 Jahren wichtigsten Persönlichkeiten des europäischen Kontinents zur Abreise aus Reims die Pferde fehlten, so fehlen ihnen jetzt am Flughafen Schönefeld die Flieger und vieles mehr. Die „Top Executive VIP Exclusive Sky Lounge Lobby“ mit den unglaublich wichtigen Persönlichkeiten des mittleren bis oberen internationalen Managements verkommt in Neukölln langsam aber sicher zum Flughafen-Dschungelcamp, 25 km von der Baustelle Schönefeld entfernt. Wenn das nicht ein Sujet ist, das zu einer musiktheatralisch-kabarettistischen Bearbeitung einlädt. Die Neuköllner Oper lässt sich das nicht entgehen und greift herzhaft und bissig zu.

In der knapp angedeuteten Abflughalle tauchen – endlich – vier Handwerker auf, die mal hier, mal dort ein wenig werkeln. Sie entpuppen sich als die Musiker des Quartetts, das Opernklänge und Jazzsound auf die Bühne zaubern wird. Die mit einigen unbequemen Designmöbeln bestückte Bühne lädt kaum zum Verweilen ein, die vielen Rolex-Glasvitrinen sind auf eine reduziert, das Licht ist kalt und unsicher, Funktionsräume werden nach Bedarf von den sechs Fluggästen selbst umbeschildert. Eine projizierte Flugtafel präsentiert die nächsten Katastrophen. Immer wieder flackert das Licht, erlischt auch für Momente völlig. Der erste Eindruck täuscht nicht: Hier funktioniert fast gar nichts – und auch das nur zeitweise.

Die sporadisch eintreffenden Fluggäste werden von einer herrisch-schneidig auftretenden Stewardess einer irgendwie asiatischen Airline direktiv über leichte Probleme, Verspätungen et cetera informiert, alle sind natürlich bestens elektronisch gerüstet und verschwinden sofort in ihren Netzwerken zwecks Schadenbegrenzung. Bereits hier überraschen Kharálampos Goyos, der das musikalische Arrangement besorgt, und Alexandros Efklidis, der das Stück einrichtet, mit Arien, die auf Rossini-Motive zurückgreifen und von dem Quartett in hoher Intensität und musikalischer Nähe präsentiert werden. In knapper Besetzung, neben Piano und Klarinette in ungewohnter Kombination mit Querflöte und Marimba sorgt Hans-Peter Kirchberg für einen leichten, lockeren Sound.

Wenn Yuka Yanagihara mit hellem, aller Koloraturen mächtigen Sopran ihre Informationen preisgibt, zaubern Querflöte und Piano eine überzeugende Nähe zum romantischen Opernklang auf die Bühne. Victor Petitjean gibt den Manager Klaus-Giovanni Chevalier, dessen Vorname reiner Zufall sein dürfte, mit souveränem Bass. Ionna Forti als Vertreterin eines griechischen Investors präsentiert Christina Koumassis mit warmem, häufig überzogenen Mezzosopran in naiv-glaubwürdigen Auftritten. Zwischen Barbie und Superstar-Sternchen changierend, kräht Polly Ott im Ton fast schmerzender Schlagerparaden eine London Sheraton, die glaubt, ihr ganzes musikalisch-berühmtes Leben noch vor sich zu haben. Mit jugendlich-flottem Tenor zeigt Richard Neugebauer den jungen Scheich Abd-El-Kadir Omar Al-Ahmad, der, des Wartens überdrüssig, seine Vasallen auffordert, den Flughaften einfach zu kaufen und den Flieger zu starten – eine überzeugende Lösung. Den stillen, im Hintergrund agierenden, unauffällig mächtigen Computerspezialisten spielt Clemens Gnad mit warmem Bariton, dessen Gewicht erst in der Auseinandersetzung mit den Protesten der Occupy-Bewegung hinter der Guy-(F)Hawkes-Maske sichtbar wird. Jetzt rufen die „Data-Pirates“ zur Daten-Revolution auf und haben dazu wohl alle Mittel – Edward Snowdon läßt grüssen – in der Hand. Wenn dann in der Pause aus einer Video-Projektion die Stimme Willy Brandts in seiner Rede zu Menschenrechten und Frieden anlässlich der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1971 ertönt, tut das direkt weh. Die stark in Stereotypen gezeichneten Figuren werden auch musikalisch nicht besonders herausgehoben. Die Rossini-Bearbeitungen ebenso wie flotte Jazzrhythmen unterstützen eine angenehme Grundstimmung, in der rhythmische und melodiöse Eskapaden fehlen und die Akzente im Rahmen der Charaktere bleiben. Das begrenzte Leben in der Flughallenbaustelle strotzt nur so von Pannen und Missverständnissen, die oft in Slapstickmanier zu schadenfroher Unterhaltung beitragen.

Nach einem grandiosen, einer festlichen Oper nachempfundenen Finale mit allen Stimmen und vollem Quartett bedankt sich ein begeistertes und bestens unterhaltenes Publikum lautstark und anhaltend für einen gelungenen musikalischen Kabarettabend, nach dem auch unter den Zuschauern die Diskussion über die fehlenden Pferde in Schönefeld – nein, die fehlenden Flugzeuge – weiter gehen dürfte. Wie Arrangeur Goyos und Regisseur Efklidis glauben auch sie an eine „neue Utopie für unsere Zeit“ – mit eröffnetem Flughafen als Kontaktbörse und „symbolischem Niemandsland“.

Horst Dichanz

Fotos: Matthias Heyde