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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
27. August 2012
(Premiere am 25. Juli 2011)

Bayreuther Festspiele


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Gemischte Gefühle

Die Fanfare der Blechbläser vom Balkon des Festspielhauses ruft mit dem Tannhäusermotiv und das internationale und geputzte Publikum folgt mehr als willig der vielversprechenden Aufforderung. Eine gespannte Stille breitet sich im Saal aus, die nicht mit dem kleinsten Räuspern unterbrochen wird. Und dann, endlich, der erste Einsatz: zart, glasklar, eindringlich, wunderbar. Die Ouvertüre in dieser einzigartigen akustischen Anlage des Saales ist ein Ohrenschmaus und noch ungetrübt von jeglicher Ablenkung. Lediglich Videosequenzen sollen in die Thematik einführen. Sie zeigen vornehmlich bewegte Röntgenaufnahmen, scheinen aber eher assoziativ als wirklich erklärend zu sein. Tatsächlich sind diese Projektionen auch nur für einen Teil des Publikums zu sehen, der Rest muss sich wohl ohne die Interpretationshilfe zufrieden geben.

Regisseur Sebastian Baumgarten und sein Team haben für diese Produktion, die im vergangenen Jahr ihre Premiere erlebte, ein enormes Konzept aufgestellt, das viele der wesentlichen aktuellen Interpretationsansätze dieser Oper vereint. Doch was nützt ein interessantes intellektuelles Vorhaben, wenn dieses dann nicht erkennbar umgesetzt wird? Das Ergebnis beweist, dass einmal zuviel um die Ecke gedacht wurde. Hier passt das Sprichwort: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder wohl eher: man sieht die Idee vor lauter Einfällen nicht. Nur wie soll der Zuschauer das Rätsel lösen? Anscheinend ist das nur mit Anleitung möglich, denkt sich die Festspielleitung nach dem Kritiker-Aufschrei 2011 und druckt im Programmheft einen Aufsatz als Inszenierungsschlüssel ab, der wahrscheinlich Fehlinterpretationen vermeiden soll. Dieser enthält unter anderem den Hinweis, dass Kritiker die lebensgroßen Spermien als Kaulquappen denunziert hätten. Das hat zur Folge, dass man diese frappierende Ähnlichkeit nur noch stärker bemerkt. Auch die anderen „Lösungshilfen“ tragen mehr zur Verwirrung bei, wenn man beispielsweise auf die aufklärerische Wirkung der Videos hofft oder das Thema der Bioethik nicht wie erwartet aufgearbeitet findet.

Alles in allem: Der Versuch, die Fülle von Deutungsansätzen wie „Hure versus Heilige“ in Venus und Elisabeth in einer technisierten, sich selbst genügenden anti-utopischen Anlage unterzubringen, die Parallelen zu unter anderem Huxleys Schöner neuer Welt haben soll, kann nur schief gehen. Genau das ist dann auch der Fall. Selbst wenn dem Publikum mangelndes Verständnis vorgeworfen würde, ist es nicht Aufgabe des Regisseurs, es überhaupt erst nicht dazu kommen zu lassen? Der Zuschauer wird mit dem Brei aus Verweisen und Zitaten alleine gelassen. Die beinahe zentrifugale Trennung von Libretto und Verortung tut ihr Übriges. Zur Missstimmung tragen unklare und fragwürdige Gesten bei, wie zum Beispiel ein an die Stirn gehobener gespreizter Daumen und kleiner Finger, mit denen man heute in weniger distinguierten Kreisen mit dem zeitgleichen Ausruf „Schulz“ ein Aufstoßen kommentiert; oder die zweifelhafte Gestik des Hirten, die zu sehr an einen heute verbotenen Gruß erinnert. Vor dem Hintergrund der vor dem Festspielhaus aufgebauten Ausstellung Verstummte Stimmen, die sich mit jüdischen Sängern und Musikern in Bayreuth und deren Vertreibung auseinandersetzt, kann diese falsch auslegbare Geste als unangebracht empfunden werden, selbst wenn diese nicht intendiert war. Vielleicht soll es auch bereits auf die nächste Spielzeit verweisen, in der der von vielen als „Skandalkünstler“ bezeichnete Jonathan Meese den Parsifal inszeniert.

Die „Technocrat“-Installation des Künstlers Joep van Lieshout ist zwar durchaus eindrucksvoll anzusehen, doch kommen den großen Maschinen, wie dem „Alkoholator“ eher platzraubende als sinnvolle Funktionen zu. Die nach oben gegliederte Bühne ist schwer zu überblicken. Die Welt der Venus, die ein Labor darstellen soll, in dem Menschen zu willenlosen Affen gezüchtet werden, ist im Boden versenkbar, was Variabilität ins Bühnenbild bringt. Warum die Gitterstäbe des Labor-Käfigs von Tannhäuser auseinandergebogen werden, obwohl dauernd Darsteller und Statisten durch die Stäbe schlüpfen, bleibt aber ebenso unklar wie die Frage, weshalb christliche Symbolik mit einer eigentlich heidnisch-kultisch indoktrinierten Gesellschaft zusammenhängt. Gleiches gilt für die gut geschnittenen, aber beliebig wirkenden Kostüme von Nina von Mechow, denen wie Regie und Bühne eine gewisse Konsequenz fehlt. Zwar passt die uniformhafte Ausstattung der Choristen und Statisten zur maschinellen Umwelt, dafür zeigen die Kostüme der Solisten beim Sängerwettstreit beispielsweise mit Kettenhemden Anleihen ans Mittelalter. Hervorzuheben ist das festliche Kostüm Elisabeths, das mit fließenden Stoffen und hochwertigen Materialien punktet. Die Zuordnung der Elemente zur sinnlichen Venuswelt wirkt durch Affen und tanzende Spermien mit Beinen willkürlich und eher lachhaft als sinnlich-rauschhaft.

Glücklicherweise gibt es ja noch die Musik. Von dieser strahlt ein geradezu erlösendes Licht auf die angestrengte Szenerie, sie wäscht von aller Verunglimpfung rein. Das Dirigat von Christian Thielemann ist ohne Makel: routiniert führt er das Festspielorchester, das der genialen Akustik des Hauses mehr als gerecht wird. Das Publikum, dass sich den Unwillen gegenüber der Inszenierung vom Leib buhen will, verwechselt leider einige Sekunden Chorleiter Eberhard Friedrich mit dem nicht anwesenden Regisseur, dieser reagiert verlegen und deutet Dirigatsbewegungen an, nach denen er sich seinen verdienten Applaus doch noch abholen kann, denn vor allem der Chor singt mit einer Perfektion, die Obertöne und Gänsehaut erzeugt.

Die Leistung des Sängerensembles tröstet ebenfalls. Stimmlich scheint die Festspielleitung eine Idealbesetzung gefunden zu haben: Torsten Kerl singt die Partie des Tannhäuser mit einer seltenen innigen Leichtigkeit, die er bis zum Schluss beibehält. Tatsächlich trumpft er in der Romerzählung noch einmal richtig auf. Elisabeth wird von Camilla Nylund mit körperlicher sowie stimmlicher Präsenz überaus elegant interpretiert. Ebenso hält es Michelle Breedt als Venus, die als verführerische Göttin zu überzeugen weiß. Der junge Hirt wird von Katja Stuber eindringlich und pointiert gegeben. Auch die übrigen Sänger wie Michael Nagy als gefühlvoller und ausdrucksstarker Wolfram von Eschenbach, der strahlende Tenor von Lothar Odinius als Walther von der Vogelweide, Thomas Jesatko als Biterolf mit rundem Bassbariton und vor allem Publikumsliebling Günther Groissböck als Landgraf mit eindrucksvoller Stimmfarbe tragen zum musikalischen Genuss bei.

Das Festspielpublikum ist äußerst diszipliniert. Zwar klingelt im dritten Akt ein Handy, was aber mit eisiger Stille ignoriert wird. Für den Abend bedankt sich das Publikum schließlich mit wortwörtlich tosendem Applaus, Bravi-Rufen und erschütterndem Getrampel, unter das sich einige der Inszenierung geltende Buhrufe mischen. Chor, Thielemann und Sängerdarsteller werden dafür umso heftiger gefeiert.

Im letzten Bild wird das Wagner-Zitat „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“ eingeblendet, dass an diesem Abend eine ganz neue Bedeutung zu haben scheint: Denn es ist Bayreuth, nicht Wagner, das der Welt noch einen Tannhäuser schuldig ist, und zwar gerne eine konzertante Aufführung mit gleichbleibender Besetzung.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Enrico Nawrath