Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
28. August 2012
(Premiere am 25. Juli 2008)

Bayreuther Festspiele


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Libera me

Parsifal  in Bayreuth. Das ist eine schwierige Angelegenheit, wenn man an die „braune“ Vergangenheit denkt. Auch die Affäre um den russischen Bassbaritons Nikitin, der sich als Jugendlicher Tattoos mit Nazi-Symbolik hat stechen lassen und so als nicht tragbar erschien, hat nicht unbedingt ein positives Licht auf diese Verbindung geworfen. Und trotzdem hat es der norwegische Regisseur Stefan Herheim mit seiner Inszenierung geschafft, Kritiker und Publikum gleichermaßen zu begeistern. Er hat das Werk in den Zusammenhang seiner Rezeption gestellt, die Anleihen in der nationalistisch-ausgrenzenden Ideologie hatte und im 20. Jahrhundert überging in das Denken der bürgerlichen Gesellschaft. In seiner Interpretation wird das Werk vom Ballast der Geschichte befreit, und das Publikum dankt ihm den Ansatz als Erlösungsgeschichte eines Volkes.

Herheim nimmt sein Publikum mit auf eine Zeitreise, die im Wilhelminischen Kaiserreich beginnt und bis in die jüngste Vergangenheit reicht. Die Räumlichkeiten der Villa Wahnfried bilden oftmals den Mittelpunkt des Geschehens.  Mit dem Tod der Mutter Parsifals wird der Zuschauer Zeuge der drei Akte währenden Metamorphose eines Kindes zum Helden. Parsifal kann sich an seine Vergangenheit nicht erinnern und muss schmerzvoll lernen, seinen Weg zu gehen - vielleicht braucht es das, um ein Held zu werden. Seine Mission ist die Heilung des todkranken Amfortas, der einst durch den heiligen Speer verwundet wurde. Herheim spielt hier auf das kränkelnde Deutschland an, dem seine erste Wunde mit der Reichsgründung von 1871 zugefügt worden ist. Videoeinblendungen zeigen die Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg. Der Regisseur verfolgt die Spur Deutschlands mit ihren immer neuen Schmerzpunkten, und so gleitet das Geschehen über in die Kriegsfolgen mit verwundeten Soldaten im Lazarett. Konsequent führt Herheim das Geschehen weiter vor die Kulissen des Zweiten Weltkriegs mit Hakenkreuzen auf der Bühne und einmarschierenden Soldaten. Das Parsifalkind erscheint als Hitlerjunge - die Verbindung zur Wagnerrezeption im Nationalsozialismus wird deutlich. Schließlich liegt alles in Trümmern, aus denen Gurnemanz als Überlebender zur Stunde Null erwacht. Die Bühne verwandelt sich wenig später in den Bonner Plenarsaal. Hier tritt Parsifal in eine leuchtend rote Blutlache und versinkt blubbernd. Das demokratische Volk braucht keinen Erlöser mehr, nachdem es bereits einem Monarchen gefolgt und einem Diktator verfallen ist. Stefan Herheim entzaubert die Überhöhung der christlichen Symbole. Nun muss das Volk seine Vergangenheit aufarbeiten und darf in eine von den Schrecken der Geschichte erlöste Zukunft blicken - hoffentlich macht es etwas daraus. Durch Spiegel werden die Musiker und das Publikum auf die Bühne geholt - was ist Ihre Rolle hier, scheint Herheim fragen zu wollen. Das scheinen auch die Blicke der zurückbleibenden 1950-er Jahre-Familie mit Kundry, Gurnemanz und Klein-Parsifal fragen zu wollen. Wie geht es weiter mit uns, mit Deutschland?

Das imposante Bühnenbild stammt von Heike Scheele. So realistisch-plastische Nachbauten von Gebäuden und so reibungslose, nahezu unmerkliche Umbauten sieht man nicht so oft. Aus den Trümmern des zweiten Weltkriegs entsteht so auf wundersame Weise der Bonner Plenarsaal. Gesine Völlm verwandelt die Sänger gekonnt mit Liebe zum Detail. Kundry gibt mal die strenge Gouvernante im hochgeknöpften Kleid, dann wieder wird sie zur Marlene aus dem Blauen Engel.

Solistisch sticht Kwangchul Youn, der Gurnemanz, hervor. Er hat eine wunderbare Ausstrahlung und Präsenz. Mit seinem flexiblen Bass setzt er die Fülle von Hell- und Dunkeltönungen in Klang um, das alles auch noch mitreißend scharf. Die Titelpartie singt Burkhard Fritz. Sängerisch brillant mit seinen hellen Spitzentönen, verleiht er seiner Partie das nötige Gefühl. In den weiteren Rollen begeistern Detlef Roth als Amfortas mit seinem schönen Timbre und seiner überzeugenden Darstellung des schmerzerfüllten Leidenden, Susan Maclean,  als Kundry ungemein facettenreich, auch wenn die Textverständlichkeit ab und zu leidet. Auch Thomas Jesatko als Klingsor ist darstellerisch und gesanglich ausdrucksstark.

Philippe Jordan gibt sein Debut am grünen Hügel mit einer musikalischen Interpretation, die sich hervorragend neben dem eigenwilligen Bühnengeschehen behauptet. Er führt sein Orchester konzentriert in zügigen Tempi und stetigem Melodiefluss durch einen klangschönen Abend. Der Zuschauer hört, dass sein Dirigat hervorragend durchdacht ist, Jordan geleitet sein Orchester wunderbar durch die Sphären der Traurigkeit, ohne dabei in Sentimentalität abzurutschen. Fantastisch ist auch der Chor unter Leitung von Eberhard Friedrich. Er leitet seine schauspielerisch so wandelbaren Sänger souverän durch jede Szene.

Das Publikum ist hellauf begeistert, ein solch nicht enden wollender Applaus ist selten. Besonders Kwangchul Youn und Philippe Jordan ernten enthusiastische Bravorufe. Der große Dank gilt natürlich Stefan Herheim, der den Parsifal endlich von seiner geschichtlichen Last befreit hat. Und so enden die Bayreuther Festspiele 2012 an einem wunderbar warmen Abend mit einem glücklichen Publikum.

Agnes Beckmann

Fotos: Enrico Nawrath