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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
6. Oktober 2011
(Premiere)

Sommer Oper Bamberg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Nach der Premiere 1

Rainer Lewandowski, Intendant des E.T.A.-Hoffmanns-Theaters in Bamberg, hat den 4. Europäischen Workshop der Sommer Oper Bamberg mit intensivem Einsatz betreut. (3'03).


Nach der Premiere 2

Irina Marinaş und Bernhard Hansky haben die Hauptrollen in Le nozze di Figaro gesungen und gespielt. Nach der Premiere berichten sie über ihre Eindrücke (4'18). Die Musik im Beitrag stammt von der Premiere des ersten Ensembles am 4.Oktober 2011.


 

zurück       Leserbrief

Differenziertes Spiel mit jungen Stimmen

Zum vierten Mal findet die Sommer Oper Bamberg unter der künstlerischen Leitung von Till Fabian Weser statt. Die Idee ist, junge Nachwuchsmusiker und -sänger beiderlei Geschlechts aus ganz Europa in das historische Bamberg einzuladen, um dort im E.T.A.-Hoffmann-Theater in knapp vier Wochen einen Meisterkurs zu absolvieren und eine Oper zu erarbeiten. Zwei Ensembles müssen binnen dieser kurzen Zeit zusammenschweißen, um sich abschließend dem Publikum zu stellen. Die Besonderheit des europäischen Workshops: Das Orchester stellen nicht etwa die  „alten Hasen“ der Bamberger Symphoniker, sondern gleichfalls Musiker, die studieren oder eben ihren Abschluss absolviert haben.

In diesem Jahr steht die Hochzeit des Figaro auf dem Plan. Um es vorwegzunehmen: Die europäische Oper hat viele Gründe zur Sorge, beim Nachwuchs ganz sicher nicht. Intendant und Regisseur Rainer Lewandowski hat den Protagonisten viel Raum für die eigene Entwicklung ihrer Rollen gegeben. Uwe Oelkers hat für die Bühne einen Bildausschnitt gewählt. Das Publikum sieht den Fuß eines überdimensionierten Bettgestells und Teile des Bettüberwurfs. Daneben ein ebenfalls übergroß geratener Damenschuh. Im Hintergrund eine füllende Leinwand, auf der im besten Sinn sehr zurückhaltend Projektionen eingespielt werden. Für die Stimmung sorgen Volker Nitschke und sein Team mit dem richtigen Licht. Für die Kostüme ist ebenfalls Oelkers zuständig. Über die Ausstattung des Figaro mag man nicht so rechte Freude entwickeln. Pastellfarbene Bekleidung und eine undefinierbare Perücke irgendwo zwischen rot und blond lassen den Darsteller blass – je nach Licht gar kränklich – erscheinen. Ansonsten hat Oelkers sich für klassische Gewandungen entschieden. Das passt zur Inszenierung.

Unter solchen Rahmenbedingungen können die Akteure ihr Können voll und ganz entfalten. Keine ablenkenden Nebeneffekte, keine Slapstickeinlagen, sondern, wenn man so will: Mozart pur. Und die jungen Leute genießen es – zur Freude des Publikums. Sicher, bei dem einen oder der anderen fehlt es noch ein wenig an stimmlicher Reife, hie und da hätte der Stimme auch ein wenig mehr Mut statt Zurückhaltung geholfen. Aber wer will sich mit solchen Kleinigkeiten aufhalten? Hier gibt es Spiel- und Sangesfreude pur. Wo Bewegungsarmut angesagt ist, zählen die kleinen Gesten, zählt, wie der einzelne die Rolle auch im Detail ausdifferenziert. An diesem Abend gibt es viele Stars – und jeder auf seine Weise. Ganz vorn steht aber unbedingt Irina Marinaş, die der Susanna mit schier unglaublicher Sicherheit Leichtigkeit und Charme verleiht. Marinaş mit ihren jungen Jahren kennt das Geheimnis, auf der Bühne keine Rolle zu spielen, sondern eine Figur so überzeugend darzustellen, dass man den Unterschied zwischen Rolle und Wirklichkeit vergisst. Bescheiden, aber keck, wenn es drauf ankommt, überlegen, aber natürlich. Ihre Bühnenpräsenz ist stark. Die Marinaş gehört nicht mehr in Workshops, sondern auf die großen Bühnen.

Ganz wunderbar unterstützt wird sie von Ana Schwedhelm als contessa. Darstellerisch reizt sie die – begrenzten – Möglichkeiten nicht vollständig aus, ist aber sängerisch der Gräfin voll und ganz gewachsen. Eine Freude ist auch zu sehen, wie Bernhard Hansky über das Stück hinweg in seine Rolle findet und am Ende über sich selbst hinauswächst. Rechtzeitig findet er in die Nuancen von Stimme und Spiel hinein, um das Wechselbad der Gefühle, in dem sich Figaro permanent befindet, überzeugend wiederzugeben. Als Figaro die wahre Identität seiner Eltern entdeckt wird, eine schwierige Szene, weil so wahrscheinlich wie ein Sommer in Deutschland, meistert Hansky das mit größtmöglicher Souveränität. Souverän mimt auch Elias Benito Arranz den conte. Ihm kommt merklich die Ausbildung im Opernstudio des Theater La Monnaie zu Gute. Sein Bariton ist variabel und ausgeprägt deutlich, er hat die Gelassenheit, in der Statik sein Gesicht sprechen zu lassen, und die Selbstsicherheit zur großen Geste im rechten Augenblick. Der Cherubino sei hier bewusst als Engel, als Cherubim, als überirdischer Beobachter angelegt, sagt Lewandowski – und Hanuna Yamazaki glaubt man das sofort. Herrlich ihre Grimassen, mit denen sie das Geschehen kommentiert. Die immer wieder staunende Ungläubigkeit, die sie bis in ihre Stimme hinein trägt. Grimassen gibt es auch von Sören Richter als Basilio: Entzückend! Wenn man ihm zuschaut, ihm zuhört, fühlt man sich wahrhaftig ins 18. Jahrhundert zurückversetzt. Umso ärgerlicher, dass es ihn in seiner Doppelrolle als Don Curzio trifft, der den Stotterer spielen muss. Original hin oder her, der Stotterer ist als komische Person einfach obsolet, ob das Publikum es nun lustig findet oder nicht. Sich über die Gebrechen anderer Menschen lustig zu machen, mag in anderen Zeiten komisch gewesen sein, heute ist es einfach nur noch respektlos und unüberlegt.

Giorgia Tryfona gibt die Barbarina with a twinkling eye – und singt mit schöner Stimme. Die Marcellina findet in Katerina Roussou genau jene Darstellerin, der es gelingt, sowohl die „Braut“ als auch die Mutter Figaros glaubhaft zu interpretieren. Martin Js. Ohu verleiht Figaros Vater gestische Größe und mimische Wohlgefälligkeit. Christoph Seidl schließlich ist genau der Fiesling, der von ihm verlangt wird. So richtig unsympathisch steht er in der Gegend rum und petzt. Sie alle haben zum Erfolg dieses Abends beigetragen, aber ihn sicher nicht allein zu verantworten.

Etwas zu sehr nach Auftritt sieht die Einlage des Balletts in der Choreographie von Pilar Montoya Chica aus, und ob ein Frauenchor – herrlich frisch und  munter in der Einstudierung von Christian Jeub - aufmarschieren muss, mag auch dahingestellt sein. Aber wen soll das interessieren, wenn da am Bühnenrand ein Hammerklavier aufgestellt ist, das eine Irene Alfageme einfühlsam behandelt? Mit allergrößter Konzentration verfolgt sie das Geschehen, bringt die Einsätze auf den Punkt, lässt Sängerinnen und Sängern alle Zeit, die sie brauchen, und unterstützt sie behutsam und unaufdringlich wie das Murmeln einer Quelle das Picknick an einem sonnigen Sommermorgen.

Till Fabian Weser ist mehr als der Dirigent. Und das merkt man ihm an. Er ist der Vater der Kompanie. So sorgt er sich um alle. Ob mit abrundendem Schwung oder Habachtstellung der Hände leitet er Chor, Solisten und Orchester auch durch schwierigere Passagen. Drei Wochen Vorbereitungszeit sind letztlich vielleicht doch ein wenig zu knapp, aber die Leistung des jungen Orchesters ist enorm, wenn man gnädig und gerne über einen übermütig verfrühten Einsatz und lautstarke tutti hinweghört, die den Sängerinnen und Sängern keine Chance mehr lassen, zu Gehör zu kommen.

Im Fazit gelten kleine Schwächen nichts, das Gesamtergebnis alles. Das sieht auch das Publikum so, das sich dem schön leisen Humor der Aufführung hingibt, den Arien applaudiert und sich abschließend ausgiebig bedankt. Vielleicht noch wichtiger als die Aufführung ist aber, dass Musiker und Sänger diese vierte Sommer Oper Bamberg als das erlebt haben, als was sie Weser sieht: Eine europäische Erfahrung, von der sie lange zehren werden und die sich tief in ihre Erinnerung eingraben wird. Und auch das soll sie sein: Pflichttermin für Intendanten und Agenten, die auf der Suche nach geeignetem Nachwuchs sind. Hier finden sie ihn.

Michael S. Zerban






 
Fotos: Gerhard Schlötzer