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Fakten zur Aufführung 

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)
29. März 2013
(Premiere am 23. März 2013)

Festspielhaus Baden-Baden

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Ein Prinz, der steht im Walde

Eine Tradition wird gebrochen. 1967 gründete Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern die Osterfestspiele in Salzburg. Letztes Jahr verabschiedeten sich die Berliner mit ihrem derzeitigen Chefdirigenten Sir Simon Rattle aus der Stadt an der Salzach, um sich nun zu Ostern an der Oos niederzulassen. Der geplante Parsifal ist – nun unter der Leitung Christian Tielemanns mit der Staatskapelle Dresden – in Salzburg geblieben. In Baden-Baden entdeckt Regisseur Robert Carsen ganz nebenbei in Mozarts Zauberflöte einige Seiten von Wagners Bühnenweihfestspiel. Dass die besuchte Aufführung am Karfreitag stattfindet, ist ein passender Zufall. Dass Tamino ein Stück Fleisch mit den Worten „Nicht am Karfreitag“ ablehnt, ist ein lustiger Einfall. Eine grüne Aue mit kanadischem Waldhintergrund von Michael Levine ist Konzept, und die Bäume durchlaufen – das ist dann wohl der Karfreitagszauber – einen schönen, zuweilen etwas unscharfen Jahreszeitenwechsel in den Videosequenzen von Martin Eidenberger. Da sind auch die wilden Tiere, ein Schwarm Vögel, den Prinz Tamino mit seiner Zauberflöte anlockt, zu sehen.

Doch natürlich wird vor allem Mozarts Meisterwerk gespielt. Das ist so vielschichtig, dass man gerne den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr darin findet. Vielleicht lässt es Carsen deshalb in ganz schlichter Ausstattung ablaufen, um seine Geschichte nicht zu kompliziert und überfrachtet wirken zu lassen. Von Beginn an zeigt er, dass dieses Werk auch seinen düsteren Unterboden hat. Die Aue hat ein offenes Grab. Zum Finale des ersten Aktes müssen Papageno und Tamino hinabsteigen in das Reich des Todes, um dort ihre Prüfungen abzulegen, um sich selbst und ihre Liebe zu finden. Der Initiator ist in diesem Fall nicht nur Sarastro. Der hat einen Geheimbund aus mit Schaufeln bewaffneten Totengräbern um sich geschart. Darunter befinden sich – und das ist mal wirklich überraschend - auch die Königin der Nacht, hier scheinbar Sarastros Freundin, ihre drei Damen und der weibliche Anteil des Chores, der allerdings als größtenteils stummer Beobachter. So scheint Carsen den frauenfeindlichen Parolen der Oper entgegenwirken zu wollen. Doch was der Zweck dieses Geheimbundes ist, außer zwei junge Paare über Existenzängste zusammenzuführen, das bleibt eine offene Frage.

Als Konzept geht diese Inszenierung nicht ganz auf, zumal am Ende der Oper Monostatos, anscheinend der einzige etwas böse Charakter dieses Abends, mit der Königin laut Libretto eigentlich den Sturz Sarastros durchführen möchte. Bei Carsen machen die Damen zum Schein mit, was sonst an dieser Stelle passiert, wird nicht deutlich. Dass Monostatos zum Schlusschor von Pamina wie ein Beckmesser bei den Meistersingern in den Kreis der Glücklichen zurückgeholt wird, ist ein Happy End mit der Brechstange. Als visuelle Unterhaltung ist die Regie an sich sehenswert. Das Spiel mit den sich ständig erweiternden und verkleinernden Räumen gelingt Michael Levine vor allem im zweiten Akt mit einer großen Portion Unterstützung durch Peter van Praets und Robert Carsens Lichtdesign sehr gut. Petra Reinhardt gibt den Protagonisten schlichte Anzüge dieser Zeit. Papageno kommt als Landstreicher mit dem Schlafsack auf dem Rücken und den Vögeln in der Kühlbox daher. Viele kleine und große Ideen werten den Abend auf: die Dritte Dame öffnet und verschließt Papagenos Mund mit dem Funkschlüssel eines Autos – ein Geräusch, das wohl jeder aus dem Publikum kennt. Düster ist es im zweiten Akt, wenn die zwei Prüflinge durch eine Gruft voller halb eingegrabener Särge gehen. Einem entsteigt Papagena, ein weißes Gruselskelett in bester Halloween-Manier. Zur Feuer-und-Wasser-Probe waten Tamino und Pamina durch ein Meer von Mumien. Aus deren Binden schält sich nach deren Erfolg der Chor, der das Paar begeistert in seiner Mitte begrüßt. Somit schließt sich gleich mehrfach der Kreis: Der Chor treibt jeweils Tamino und Pamina in die Gefahr durch die Schlange beziehungsweise Monostatos. Und mit Hilfe des Chores lenkt Carsen zu Beginn und zum Schluss den Blick auf das neue Orchester in Baden-Baden, wenn sich die Sänger um den Orchestergraben niederlassen und zuhören.

Zu hören gibt es bei dieser Zauberflöte in der Tat einiges. Allerdings wird nicht durchgehend das Niveau geboten, was die Namen versprechen. Selten hat man so prominent besetzt das Terzett der Drei Damen gehört. Annick Massis, Magdalena Kožená, Nathalie Stutzmann treten dementsprechend auch mit dem vokalen Selbstbewusstsein auf. Doch will sich der dunkle Alt von Natalie Stutzmann nicht so recht mit den beiden anderen Stimmen mischen. Kate Royal hat als Pamina durchaus Sinn für hingebungsvolle Liebe und schön geformte Phrasen, nimmt aber mit spröden Höhen der Rolle Attraktivität. Eine gewisse vokale Verwandtschaft hat sie mit ihrer Bühnenmutter, mit einem nervösen Flackern in der Stimme. Ana Durlovski springt in den Endproben für die erkrankte Simone Kermes ein und scheint keinerlei vokale Höhenangst zu kennen. Vor allem mit dem individuell vorgetragenem Der Hölle Rachen kann sie überzeugen. Insgesamt wünscht man sich aber für die Königin der Nacht eine etwas autoritärere Stimme. Damit kann Dimitry Ivashchenko als Sarastro mühelos aufwarten. James Elliot ist als Monostatos in schlechter Abendform. Man freut sich über ein Wiedersehen mit dem stimmlich immer noch rüstigen Pensionär José van Dam als Sprecher. Unglaublich, welch einen Wiedererkennungswert die Stimme besitzt. Neben ihm gelingt es zwei Sängern, dem vokalen Niveau der Osterfestspiele zu entsprechen: Pavol Breslik ist mit edlem Timbre und stolzem Habitus ein echter Prinz Charming. Diesem Tamino möchte man stundenlang zuhören. Sympathieträger Papageno ist ja eh fast immer der Gewinner einer Zauberflöte. Wenn diese Rolle dann aber noch den Bariton und das schauspielerische Talent von Michael Nagy bekommt, dann ist das Musiktheater in seiner besten Form. Für das berühmte PaPaPa-Duett wird ihm mit Regula Mühlemann eine adäquate Partnerin an die Seite gestellt. Die drei Knaben spielen nicht nur gut Fußball auf der Bühne, sondern die hoch konzentrierten David Rother, Cedric Schmitt und Joshua Augustin von den Aurelius Sängerknaben Calw füllen auch vokal ihren Part sehr gut aus. Auch der Rundfunkchor Berlin, vorbereitet durch Simon Halsey, wird den Erwartungen vollauf gerecht.

Seine erste Zauberflöte dirigiert Simon Rattle, und wie nicht anders zu erwarten, klingt das auch bei ihm noch ein wenig nach work in progress. Als Pendant zur Regie ist die Detailarbeit hervorragend, auch erfahrene Zauberflötenkenner erleben neue Einsichten. Das Konzept ist aber nicht ganz schlüssig. Starke Akzente in Dynamik und Tempo zwingen zwar zum Hinhören, doch bleibt die Frage, nach welchem Muster sie gesetzt werden. Das Ergebnis klingt insgesamt sehr fantasiereich und gefühlvoll, weil die Berliner Philharmoniker bis auf wenige Fehler auch auf hohem Niveau spielen und die Kommunikation mit dem Dirigenten stimmt. Die beiden magischen Instrumente der Oper, Glockenspiel und Zauberflöte, bekommen den entsprechenden Zauber aus dem Graben. Allerdings darf man bei der vorletzten Aufführung etwas mehr Sicherheit im Zusammenklang von Orchester und Stimmen erwarten.

Für die Live-Übertragung der letzten Aufführung am Ostermontag wird noch fleißig geprobt. In der Pause werden einige Gäste gebeten, ihren Stehtisch abzugeben, um Platz für Interviews zu machen. Die Kameraleute arbeiten an den passenden Einstellungen, die rothaarige Moderatorin testet die Ansage. Die älteren Herren in der Nachbarschaft verdrehen neugierig die Köpfe nach ihr; die Damen wundern sich, wer da so laut redet. Ein Zuschauer vollbringt das dreiste Kunststück, immer zu Aktbeginn geräuschvoll das Bonbon auszupacken. Am Ende feiert das Publikum vor allem Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker. Der Einstand ist unterm Strich gelungen, übrig bleibt noch Raum zur Weiterentwicklung. Zeit für neue Traditionen.

Christoph Broermann

 





Fotos: Andrea Kremper