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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
24. Juli 2011

Theater Baden-Baden


Points of Honor                      

Musik

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Nahezu perfekt

Bislang gibt es nur den Mythos von der perfekten Aufführung des Don Giovanni, doch seit Baden-Baden 2011 wissen wir zumindest, was „nearly perfect“ bei dieser Oper ausmacht. Sicher hat dabei auch großen Anteil, dass es eine konzertante Aufführung ist, die dritte und letzte einer Aufnahme-Serie für die CD bei „Deutsche Grammophon“. So kann man sich rein auf die Musik konzentrieren, und die ist wirklich bewundernswert.

Großen Anteil daran hat der Dirigent Yannick Nézet-Séguin, der mit einer wahrlich inspirierten, differenzierten Leitung die Oper mustergültig gestaltet. Fern jeglicher Effekthascherei findet er für jede Arie, jedes Ensemble das rechte Maß, fordert von allen Musikern die ganze Bandbreite in Puncto Dynamik und Lautstärke. Er interpretiert die Oper nicht neu, und doch klingt diese Wiedergabe so erfrischend anders und gleichzeitig so natürlich. Selten hat man beim Don Giovanni erlebt, dass diese Musik so schön duftet. Eine Meisterleistung, die zum Schwärmen verführt. Nézet-Séguins weite, an einen Maler erinnernden Bewegungen und seine fordernde Akzentsetzung drohen in den dramatischen Momenten etwas aus dem Ruder zu laufen.

Das hervorragende Mahler-Chamber-Orchester setzt seine Vorgaben mitreißend um. Es übernimmt souverän die Funktion des aufmerksamen Begleiters für die Sänger sowie gleichzeitig die eines Kommentators. Weder das giocoso noch das dramma kommt in dem ausbalancierten, warmen Klangbild zu kurz. Das Orchester formt zusammen mit den Sängern große Bögen und atmet miteinander. Lediglich Benjamin Bayl am Hammerflügel nimmt in den Rezitativen, die er ansonsten tadellos und fantasievoll begleitet, die Impulse der Sänger zu selten auf.

Dabei zeigen die Sänger in der konzertanten Aufführung, wie gut sie mit dem italienischem Text spielen können, allen voran natürlich die Muttersprachler Ildebrando D’Arcangelo und Luca Pisaroni. Ersterer zeigt sich in der Titelpartie mit den Vorzügen eines Basso Cantante in Bestform, kann charmant und verführerisch gurren, lässt „Fin ch’an dal vino“ wortgewandt und lebensfroh sprudeln und trumpft schließlich noch mit dramatischer Kraft auf. Die hat er auch nötig, um dem sehr nachdrücklich, aber auch schön geisterhaft gesungenen Komtur von Vitalij Kowaljow Paroli zu bieten. Lediglich in der Serenade übertreibt er es mit dem Text so sehr, dass ihm das Legato und schließlich auch die Höhensicherheit entgleitet.

Wo sich D’Arcangelo mit mächtiger, wenngleich auch agiler Stimme großen Raum erobert, ist Luca Pisaroni eher ein Diener mit leisen, knurrenden Tönen, der seinen Ärger fast zwischen den Zähnen hervor stößt. Dabei singt er aber auch wunderbare Linien wie in seinem Parade-Stück, der Registerarie. Er gestaltet den Leporello großartig mit vielen Farben und enormer Sicherheit. Dabei verschwendeter kaum einen Blick für die Noten. Wunderbar, wie er D’Arcangelo zu Beginn des zweiten Aktes nachahmt, doch als ihm D’Arcangelo den Kleidertausch anbietet, lehnt Pisaroni gespielt entrüstet ab. Ein herrliches Zusammenspiel der beiden Sänger.

Auch Rolando Villazon kann in seinem mit Spannung erwarteten Rollendebüt als Don Ottavio mit virilen Tönen das Publikum begeistern. Seine ganz eigene Stimmfarbe bringt auch der Rolle, die ja gern etwas mimosenhaft dargestellt wird, sofort großen Gewinn. Er ringt am Pult sehr theatralisch mit den Händen, mit den Tönen aber gar nicht. Seine beiden Arien entspringen ganz tief aus der Seele und zeigen, dass sich Villazon hier wirklich in einem Fach aufhält, das seiner Stimme liegt. Nur in den merkwürdig zerdehnten Rezitativen fällt auf, dass ihm die endgültige Verschmelzung mit der Rolle noch fehlt. Wunderbar harmonisch klingt seine Stimme mit Diana Damrau zusammen, so dass die beiden als Paar absolut glaubhaft erscheinen. Damraus Donna Anna ist von furioser Stimmbeherrschung geprägt, die ihre beiden Arien zum Ereignis werden lassen. Selbst im dramatischen „Or sai chi l'onore“ traut sie sich, ihre Rachegedanken im rasenden Piano vorzutragen. Das „Non mi dir“ ist eine ganz tiefe, lyrische Offenbarung, und ein Moment, der viele im hoch konzentrierten Publikum zu Tränen rührt.

Ebenfalls hoch emotional ist Joyce DiDonato, die als Donna Elvira viel Feuer und Leidenschaft mit sich bringt, ohne gleich hysterisch zu wirken, sondern als Mensch tief verletzt und verunsichert. Mit wunderbarer Atemkontrolle, ganz ausgeglichen im Stimmklang, erzeugt die Sängerin magische Momente, etwa beim Einstieg ins Quartett: „Non ti fidar, o misera“, den man selten so schlicht nachdrücklich gesungen gehört hat.

Vielleicht nicht ganz auf diesem Weltklasse-Niveau, aber dennoch sehr gut ist das bäuerliche Paar besetzt. Mojca Erdmann und besonders Konstantin Wolff - der aber auch erst ganz am Anfang einer hoffnungsvollen Karriere steht - fehlt es an stimmlichem Focus, um sich nachhaltig neben diesen schier übermächtigen Kollegen durchsetzen zu können. Dabei ist der glockenhelle Sopran von Mojca Erdmann wie geschaffen für die Zerlina, und ihre beiden Arien sowie das „La ci darem la mano“ sind daher auch ein Hörgenuss. Auch Konstantin Wolff fällt unterm Strich mit angenehmen Timbre und guter Stimmführung angenehm auf. Um so beachtlicher ist, dass sich all diese hochkarätigen Stimmen wirklich zu einem Ensemble zusammenfügen lassen, das zusammen klingt und miteinander singt. Die kleinen Aufgaben des Chores übernimmt das Vocalensemble Rastatt in der Einstudierung von Holger Speck mit großem Elan, und besonders die Herren drehen zur Höllenfahrt mächtig gruselig auf.

Hier und da gibt es sicherlich auch ein paar Ungenauigkeiten, doch die fallen kaum ins Gewicht. Schließlich ist das Konzert live, und vorne auf der Bühne musizieren die Menschen auf höchstem Niveau. Das Festspielhaus Baden-Baden ist allein mit seiner exquisiten Akustik dafür der - fast - perfekte Gastgeber, doch auch ihm gehen in der Pause die Brezeln aus. Kleine Schönheitsfehler halt, die das Gesamterlebnis umso erzählenswerter machen. Der Mythos von der Unmöglihckeit der perfekten Aufführung des Don Giovanni: er kommt an diesem Abend arg ins Wanken, und schon während der Aufführung bejubelt das Publikum die Sänger. Am Ende gibt es orkanartigen, langen Beifall. Nur einige haben diese Klasse anscheinend nicht zu schätzen gewusst und vergessen, denjenigen zu danken, die ihnen diesen Abend beschert haben. Sie stürmen lieber hinaus Richtung Essen oder freier Parkhaus-Ausfahrt. Der Rest bleibt bestimmt noch 15 Minuten lang.

Christoph Broermann