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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
20. Mai 2013
(Premiere am 17. Mai 2013)

Festspielhaus Baden-Baden


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Erstarrte Seelen im Eros-Universum

Jede gute Oper hat auch eine Vorgeschichte. Die wird in Baden-Baden von Anna Netrebko geschrieben, die mit der Donna Anna vor elf Jahren in Salzburg ihre steile Karriere endgültig in Stein meißelte. Einsteigen muss man im Jahr 2011, als Regisseur Philipp Himmelmann mit Così fan tutte seinen neuen DaPonte-Zyklus beginnt. Johannes Leiacker entwirft für alle drei Opern ein - im wahrsten Sinne des Wortes - Universal-Bühnenbild, das sich den Jahreszeiten anpasst. Die Così lässt das Regieteam passend zu den aufkeimenden Gefühlen im Frühling spielen. Die spätsommerlich eingeordnete Le nozze di figaro ist für Pfingsten 2013 geplant, doch die gebuchte Anna Netrebko gibt die Rolle der Gräfin Almaviva ab. Da man für den Grafen Erwin Schrott geholt hat und das medienwirksame Ehepaar nicht wieder laufen lassen will, zieht die Intendanz nach Absprache mit Himmelmann den Don Giovanni vor und wirbelt so nicht nur die Jahreszeiten durcheinander sondern auch ein dramaturgisches Konzept. Denn auf den Cosi-Frühling folgt jetzt eiskalter Beziehungswinter.

Schon auf dem schwarzen Vorhang ist das Universum in Sternen und Schnuppen präsent. Johannes Leiackers spartanisches Bühnenbild wird begrenzt von weißen Wänden mit Weltall-Symbolik nebst Koordinaten. Von der Cosi fan tutte sind die Sessel, der Baum und die hölzerne Zentralfläche erhalten geblieben. Doch die Sessel wirken abgesessen, der Baum verliert das letzte Laub und am rechten, unteren Rand der Spielfläche ist ein großes schwarzes Loch, in dem am Anfang der tote Komtur verschwinden muss. Das Eros-Universum hat dank Don Giovanni nun buchstäblich eine Leiche im Keller – und wahrscheinlich nicht nur die. Alles scheint sich ohne Zeit und Raum abzuspielen. Lediglich die vielfältigen Kostüme von Florence von Gerkan deuten auf die Gegenwart. David Cunningham setzt mit seinem Licht winterlich-düstere Akzente.

Himmelmann bewegt sich die meiste Zeit genau auf der messerscharfen Grenze des Drama Giocoso und lässt seine Inszenierung erst im zweiten Akt auf die dramatische Seite kippen. Seine Intentionen hat er deutlich erarbeitet. Es ist kalt geworden in der Welt der Liebe. Zwischen Donna Anna und Don Ottavio herrscht immer eine gewisse Distanz, selbst wenn sie sich nahe sind. Zerlina und Masetto haben das gemeinsame Vertrauen nie gefunden. Donna Elvira hat ihre große Liebe mit Don Giovanni verloren und versucht sie nun sichtlich hysterisch wieder einzufangen. Alle drei Frauen sehen in Don Giovanni ihren Stern und verglühen an ihm wie Motten, die zu nahe an das Licht fliegen. Sie folgen ihm alle wie magisch angezogen und lassen sich auf ein gefährliches Dom-Sub-Spiel mit ihm ein. Leporello schleppt seinen Koffer, ein kleiner Trolli, der mal das Register enthält, mal die Erfrischungen für die Bauern. Der ewige Verführer hinterlässt auf seiner Reise durch das Universum eine erstarrte Seele nach der anderen - deutlich erkennbar, wenn auf der Bühne von Szene zu Szene immer mehr weibliche Statuen platziert werden. Am Ende werden sie lebendig und nehmen Don Giovanni, der die himmlischen Mächte sichtlich herausgefordert hat und seinen Tod begrüßt, durch das schwarze Loch mit sich. Wenn die Zurückgebliebenen über sein Ableben hinaus beginnen zu planen, fängt es an zu schneien.

An sich also ein durchaus stimmiges Konzept, wenngleich natürlich nicht alles neue Gedanken sind. Das hat man ähnlich auch auf anderen Bühnen gesehen. Aber dieser Opernabend könnte durchweg spannend sein, wäre da nicht das Manko, das Don Giovanni in der zweiten Hälfte einige Fenster und Türen braucht, die das Bühnenbild eigentlich nicht bietet. Der schwarze Vorhang vom Anfang wird daher wie eine sich öffnende und schließende Linse genutzt, wodurch sich eben diese Öffnungen ergeben. Ein echter Coup gelingt Himmelmann nur bei der Serenade: Vor einem riesigen Fenster senken sich zwei gardinenartige Tücher herab, an denen sich die Tuchkünstlerin Susanne Preissler als Kammerzofe von Donna Elvira zu Don Giovanni spektakulär hinab windet. Doch letztendlich kommt mit dieser Raumlösung nur heraus, dass sich zwei Drittel des zweiten Aktes nahezu konzertant an der Rampe abspielen.

Konzertant gab es Don Giovanni in Baden-Baden aber schon vor zwei Jahren, und der ist musikalisch kaum zu toppen. Luca Pisaroni, damals wie heute als Leporello dabei, gelingt es, sich selbst zu überbieten. Diese Rolle liegt ganz natürlich auf dem Atem seines eleganten Bass-Baritons. Sein hochdifferenzierter Gesang, seine sprachlichen Mittel gehen Hand in Hand mit einer szenisch starken Darstellung. Dieser Kumpan ist ein gefährlicher Mittäter, der filmend Giovanni das Messer übergibt, mit dem dieser den Komtur tötet. Zusammen mit Erwin Schrott gibt es Musiktheater von der feinsten Sorte. Glaubhafter kann man diesen Libertin, der lachend und provozierend in den Tod geht, kaum spielen. Von der Gestik über die selbstbewusste Körperhaltung bis hin zum kleinsten Mit-der-Zunge-Schnalzen ist hier nichts dem Zufall überlassen. Mit viriler Präsenz macht er jede Eroberung plausibel. Seine Stimme strahlt das ebenso aus. Dunkel und voll setzt er seinen agilen Bass wie ein echter Macho ein. Gleichzeitig setzt sich Erwin Schrott gerne ab und an über die Gesetze der mozartschen Rhythmik hinweg. Seine Frau Anna Netrebko beginnt als Donna Anna ähnlich stark. Großartig gelingt der Racheaufruf Or sai chi l’onore, in der Stretta des ersten Finales legt sich ihre Stimme ganz sicher über das Ensemble. Doch hält sie das Niveau nicht durch. Der Piano-Einstieg in das Non mi dir misslingt, der Ausdruck verwischt und nur ein gelungener Koloraturteil rettet die Arie. Malena Erdman spielt eine hysterische Donna Elvira mit Totaleinsatz, scheint aber technisch nicht auf der Partie zu sitzen. In der Tiefe klingt die Stimme sicher, aber um nach oben zu kommen, zieht die Sängerin Stimme und Schultern Richtung Kopf, was dem Klang jegliche Rundung und Schönheit nimmt. Ihr Mi tradi wird ebenso gestrichen wie das Dalla sua pace von Don Ottavio. Somit bleibt Charles Castronovo nicht viel Gelegenheit, seine hörenswerten Fähigkeiten zu demonstrieren. Szenisch wird versäumt, ihn noch deutlicher zum Gegenspieler Giovannis aufzubauen, was sein Auftritt durchaus hergegeben hätte. Mit Katja Dragojevic ist eine schön timbrierte Mezzo-Sopranistin als Zerlina aufgeboten, die ein entsprechend magisches Vedrai Carino vorträgt. Jonathan Lemalu verpackt Masettos Eifersucht in scharfe Ausbrüche und markante Einwürfe. Mario Luperi vervollständigt souverän, wenn auch nicht immer stimmschön, als Komtur das Ensemble.

Frank Markowitsch hat den Balthasar-Neumann-Chor auf seine kurzen Auftritte gut vorbereitet. Riccardo Minasi hat die Aufgabe beim Balthasar-Neumann-Ensemble mindestens genauso gut erfüllt. Am Pult steht Thomas Hengelbrock, der sein ganz eigenes Mozart-Universum entstehen lässt. Ruhig, aber nicht spannungsarm lässt er die Musik fließen. Darin gibt es einiges zu entdecken. Manche Pausen etwa hat man nie so deutlich wahrgenommen wie an diesem Abend. In den Arien scheint selbst die kälteste Szene aufzutauen, so schön bettet er die Sänger auf einen warmen, fast schwerelosen Klang. Dabei achtet er genau darauf, wann er sein Orchester zurücknehmen muss, um die Stimme stets im besten Licht erscheinen zu lassen. Doch gleichzeitig lässt er das prächtige Ensemble auch die Geschichte miterzählen. Im Finale des zweiten Aktes durchzieht die Musik eine Unruhe, die Giovannis Verhalten auf der Bühne widerspiegelt. Gnadenlos streben und treiben beide dem Untergang entgegen.

Das Publikum spendet während der Vorstellung viel Applaus, danach überraschend wenig, aber differenziert. Natürlich bekommt Anna Netrebko großen Applaus, aber auch Erwin Schrott und Luca Pisaroni. Draußen vor dem Künstlereingang treten sich Autogrammjäger und Fotografen auf die Füße - eine ältere Dame hält den Auflauf für die Schlange auf dem Weg zur Tiefgarage. Die Menschen scheinen vor allem wegen Anna Netrebko zu warten. Erwin Schrott wird noch begrüßt, alle anderen Sänger werden nahezu übersehen. Das passt wieder zur Vorgeschichte.

Christoph Broermann







Fotos: Jochen Klenk