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Fakten zur Aufführung 

LADY MACBETH VON MZENZK
(Dmitri Schostakowitsch)
21. März 2014
(Premiere)

Vlaamse Opera Antwerpen


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Katerina im Ehe-Gulag

Schon im Rosenkavalier in der viel diskutierten Inszenierung von Christoph Waltz ließ Dmitri Jurowski das Orchester der Vlaamse Opera Antwerpen mächtig aufdrehen. Nicht immer zum Besten des Werks. In der Neuproduktion von Dmitri Schostakowitschs bedeutendster Oper, Lady Macebth von Mzenzk, zahlt sich Jurowskis Einsatz erheblich günstiger aus. Die Klagegesänge der Gefangenen im letzten Akt, die beißend scharf und präzis ausgeführten Zwischenspiele rollen wie Druckwellen über den Zuschauer hinweg. Und da Jurowski auch über genügend Einfühlungsvermögen verfügt, um den feinen seelischen Spannungen und Fieberkurven der Figuren nachzuspüren, bietet der Dirigent dem ambitionierten und nicht unumstrittenen Regisseur Calixto Bieito eine ideale Steilvorlage für seine Deutung des Werks.

Dabei kann sich Bieito auf ein nahezu perfekt einstudiertes und rollendeckendes Ensemble stützen. Ausrine Stundyte in ihrem Rollendebüt der Titelpartie: Eine sensible, zunächst nur innerlich rebellierende Frau, hilflos ausgeliefert den Demütigungen in der Ehe-Hölle einer angesehen Familie. Das Wechselspiel von Ergebenheit und Widerstand, Resignation und Aufbäumen vermag die Litauerin stimmlich und darstellerisch mit überwältigender Wandlungsfähigkeit und Präsenz zum Ausdruck zu bringen. Ihre Mordtaten als Notwehrreaktionen wirken absolut glaubwürdig. Ein Bruch vom unterdrückten Heimchen am Herd zur mordlüsternen Bestie wird vermieden.

John Tomlinson als Schwiegervater Boris Ismailow ist ein Ereignis für sich. Stimmlich immer noch groß, überragend in seiner Bühnenpräsenz, liefert er ein Rollendebüt des Haustyrannen von sadistisch-kühler Überlegenheit, das unter die Haut geht. Er wütet nicht, er quält Katerina und die Arbeiterinnen seines Unternehmens auf leisen Sohlen, wenn er Katerinas Kopf im Waschbecken ihrer Designer-Wohnung unter Wasser drückt, wenn er ihr einen Gürtel um den Hals legt oder mit dem gleichen Gürtel eine Arbeiterin wie eine angeleinte Hündin in sein Bett führt. Viele raffinierte Details, gruselig in ihrer unterschwelligen Grausamkeit.

Ladislav Elgr stellt einen attraktiven, kraftvollen Serge mit besten tenoralen Voraussetzungen dar. Ludovit Ludha überzeugt als schwacher, seinem Vater hoffnungslos unterlegener Gatte Katerinas. Jede einzelne der vielen kleineren Rollen ist sorgfältig besetzt. Ein Sonderlob verdient der extrem präsente Chor.

Calixto Bieito pflügt bisweilen mit der Axt in der Hand durch die Stücke. Auch in der Lady Macbeth geizt er nicht mit Blut und Schlamm. Die Vergewaltigungsszenen lassen nichts an drastischer Schärfe zu wünschen übrig, von den subtilen Quälereien ganz zu schweigen. Allerdings wirkt in seiner Schostakowitsch-Inszenierung auch der extremste Gewaltausbruch schlüssig, zumal er die Spannungen und Kränkungen Katerinas mit sensiblem Einfühlungsvermögen inszeniert. Glänzend, dass selbst von Schostakowitsch ironisch gefärbte Teile wie die Szene auf der Polizeistation nicht zu Karikaturen mutieren, sondern auch hier die Brutalität spürbar bleibt, wenn sich die „gesetzestreuen" Beamten komische Blößen geben. Bieito verniedlicht nichts, lässt in keinem Takt vergessen, dass sich eine Spannung auflädt, die zu Gewaltausbrüchen führen muss. In diesem Umfeld stellen sich die Mordanschläge Katerinas auf ihren Schwiegervater und ihren Gatten wie unausweichliche Resultate einer langen Leidensgeschichte dar.

Rebecca Ringst schuf dafür kongeniale Kulissen, die wie überdimensional vergrößerte Projektionen der psychischen Zustände wirken. Die Ismailowas hausen in einer klinisch-steril geweißelten Designer-Wohnung, eine absolut angemessene Fassade für eine angesehene Fabrikanten- und Kaufmannsfamilie. Allerdings wird diese elegante Kulisse von übermächtigen Fabrikanlagen geradezu erdrückt. Und der Boden außerhalb des Salons ist mit Schlamm bedeckt, der nach und nach die reine Fassade der Behausung besudelt und den feinen Salon als eheliche Folterkammer entlarvt. Vor dem letzten Akt drehen Bieito und seine Bühnenbildnerin die Schraube noch ein paar Umdrehungen an und lassen in minutiöser Ausführlichkeit zu kreischenden Maschinengeräuschen, menschlichen Schreien und harten Paukenschlägen jedes Element der Wohnung abreißen. Das Ergebnis ist ein vergitterter Gulag, in dem Katerina ihr Leben verbracht hat und in dem sie es als Strafgefangene beenden wird. Dass die Gefangenen wie desorientierte Zombies durch den Raum wanken, wirkt leider etwas aufgesetzt und enthebt sie den realistisch nachvollziehbaren Prozessen der ersten vier Akte. Dass sich Katerina und ihre Nebenbuhlerin Sonietka am Ende wie auf dem Kiez eine Runde Schlamm-Catchen liefern, banalisiert die Tragödie ohne jede Notwendigkeit. Schade um den plakativen Schluss-Akt, der die Stärken der Gesamtproduktion allerdings nur leicht trüben kann.

Das Publikum reagierte hingerissen von einer in jeder Hinsicht überragenden Produktion eines der besten Bühnenwerke des 20. Jahrhunderts.

Pedro Obiera







Fotos: Annemie Augustijns