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Fakten zur Aufführung 

DIE DREIGROSCHENOPER
(Kurt Weill)
28. Dezember 2013
(Premiere am 24. November 2013)

Bühnen der Stadt Gera/ Landestheater Altenburg


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In der Öde des Parkhauses

… und schon wieder kurvt der Rollerfahrer in die Einfahrt des Parkhauses, um drei Minuten später erneut aufzutauchen, er hat wohl die Ausfahrt verpasst – und wiederholt sich immer wieder auf einer Videoleinwand am rechten Bühnenrand. Die Leinwand, eine Schranke und das Video sind Teil des Ambientes, in das Amina Gusner ihre Brecht-Weill-Inszenierung platziert. Der Zuschauer wartet gespannt, was sich aus dieser Einfahrtszene entwickelt – vergeblich.

Das Brecht-Weillsche Bühnenstück auf der Grenze zwischen politischem Schauspiel, Varieté und Kabarett hat sich längst als zeitloser Klassiker bewährt, der keine Aktualisierung nötig hat, sie aber auch ohne Weiteres verträgt, vielleicht sogar mithilfe eines Parkhauses.

Warum Amina Gusner ausgerechnet die kalte, statische Atmosphäre eines Parkhauses zum Spielplatz wählt, bleibt weitgehend ihr Geheimnis. Dass der alte Peachum, der Bettlerkönig von Soho seine „Kommandozentrale“ in der Pförtnerloge platziert, mag noch angehen, die simulierten „Bettleroperationen“, in denen aus Ganoven „echte“ mitleiderregende Bettler „gemacht“ werden, wirken gestellt. Auch die angedeutete Digitalausrüstung des Peachum und seiner Gaunergang ist nicht zu Ende gedacht. Digitale Kommunikation, wenn schon erwünscht, läuft heute anders. Dieser Peachum ist kein raffinierter, mit allen Wassern gewaschener Hund und Bettlerdiktator, er ist eine müde Figur im Blaumann. Seine Frau Celia, ohnehin als Nebenrolle gedacht, wird zu einer stets überzogen auftretenden und agierenden Tante, die niemand ernst nehmen kann. Polly, ihrer beider Tochter, zeigt wenigstens gelegentlich neben ihrer schrillen Seite auch die ernsthafte, besorgte Liebhaberin und „Verlobte“ des Obergauners Macheath. Ausgerechnet er will dem Bettlerkönig seine Tochter entführen und sie heiraten. Manuel Struffolino gibt einen Mackie Messer, dem man diese Rolle noch am ehesten abnimmt. Manuel Kressin bringt einen merkwürdig verfremdeten, kühlen Polizeichef „Tiger Brown“ auf die Bühne, dem man weder den versuchten Gentleman noch den raffinierten, korrupten Polizisten so richtig glauben mag. Erfrischend authentisch und mit passend schräger Stimme singt und spielt Vanessa Rose mit der Spelunken-Jenny eine der wenigen gelungenen Figuren und erhält prompt spontanen Beifall.

Die Kostüme von Inken Gusner verzichten auf eine klare Zeitzuordnung. Jan Steigert hat die Idee der Parkhausinszenierung aufgenommen und mit Einfällen ausgeschmückt, die nicht immer überzeugen. Die bühnenmittig platzierte Einfahrschranke fungiert mal als Sperre, mal als Baum. Die zwei Parktürme mit Autos lassen sich schnell zum Gefängnis umwandeln, in dem Macheath auf den Strick wartet. Das bunte Hurenensemble kann hier seine Betriebsfeier durchsaufen und – Gipfel der Erotik – einige wippende Hinterteile zeigen. Auf einem Parkdeck einen Autobrand mit einem Tischfeuer zu simulieren, wirkt einfach albern. Über die Choreographie der Tanzeinlagen beim Ganovenball oder Pollys Hochzeit schweigt man besser – peinlich.

Die Band, in der sich Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera unter Leitung von Olav Kröger treffen, muss erst ein wenig den Feiertagsstaub abwischen, ehe die Weillsche Musik authentisch erklingt. Ein wenig mehr Spritzigkeit hätte ihr gut getan.

Dass angesichts der Weillschen Musik und der Bekanntheit vieler Songs der erste Szenenapplaus fast eine halbe Stunde auf sich warten lässt und dann vor sich hin tröpfelt, sagt genug zu dieser Vorstellung. Ob Amina Gusner bei ihrer Inszenierung an eine Persiflage gedacht hat? Den Figuren und Songs fehlt jene Doppelbödigkeit, mit der es Brecht/Weill gelungen ist, eine bitterböse Zeitkritik in eine Geschichte und in Charaktere zu kleiden, die auf raffiniert-unterhaltsame Weise unbestreitbare bittere Wahrheiten aussprechen, dass sie weh tun. Weder Peachum noch Macheath gelingt es, einige der Konsequenzen zu zeigen, „ mit der bei Brecht Moral und Gefühle kapitalisiert“ werden. Nach der „Analytik der Macht“, gültig selbst unter Ganoven und im Reich der Bettler, sucht der Zuschauer vergebens. Irgendwie lastet über diesem Abend noch die behäbige Schwere der Feiertage, das Publikum verabschiedet sich mit höflichem Beifall. Der Funke ist nicht übergesprungen.

Horst Dichanz

Fotos: Stephan Walzl