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Fakten zur Aufführung 

ARABELLA
(Richard Strauss)
7. Mai 2011
(Premiere: 1. Mai 2011)

Theater Aachen


Points of Honor                      

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Opfer der Umstände

Kalte Räume mit hellen, abweisenden Wänden hat Ric Schachtebeck entworfen. Das gesichtslose Mobiliar und die Kostüme von Britta Leonhardt verorten Strauss’ und Hofmannsthals melancholisch verklärenden Blick auf das Wien der Dekadence in der jüngeren Vergangenheit.

In diesem Umfeld seziert Ludger Engels, der Oberspielleiter des Hauses, Handlung und Konstellation des Stückes. Konsequent legt er familiäre Abhängigkeiten offen und prangert gesellschaftliche Konventionen an wie das – allerdings heute längst überlebte – im Stück als gottgegeben gefeierte Patriarchat. Die komödiantischen Elemente lässt Engels sachlich mitlaufen oder gallig exekutieren. Auch mit den märchenhaften Elementen der beiden Liebesgeschichten hat er so seine Probleme. Dabei gelingt ihm die an sich unmögliche Liebe zwischen Zdenka und Matteo viel klarer und sinnlicher als die „Liebe auf den ersten Blick“ zwischen Arabella und Mandryka. Engels’ Personenführung ist nicht originell, wie etwa die häufigen Griffe zu hochprozentigen Getränken ausweisen, aber handwerklich exzellent. Dadurch tritt paradoxerweise das Hauptproblem des Stückes offen zu Tage: Ausgerechnet die Titelfigur wirkt zu Beginn unsympathisch: partygeil und nicht am Schicksal ihrer Familie interessiert. Engels versucht dem entgegen zu wirken, in dem er Arabella deutlich als Opfer der Umstände zeigt. In ihrem sehr unvorteilhaften Ballkleid etwa wirkt Irina Popova wie eine aus finanziellen Gründen nicht fertig ausgestattete Puppe.

Im ersten Akt braucht sie denn auch einige Zeit, um sich frei zu singen. Die Stärken ihres immer etwas guttural wirkenden Soprans sind die große, leuchtende Höhe und die stets warmen, runden Piani. In ihrer großen Szene „Und du wirst mein Gebieter sein“ ist Popova ganz bei sich. Hier gelingt auch der Regie eine warmherzige und doch ironische Umsetzung.

Über den ganzen Abend betrachtet, bleiben Arabella und ihr Mandryka jedoch seltsam blass. Moritz Gogg sieht aus, wie man sich einen Mandryka vorstellt und spielt engagiert, scheint sich aber in der Inszenierung nicht recht wohl zu fühlen – ganz im Gegensatz zu seiner eher lyrisch geführten, sehr attraktiven Stimme, die nur in der Tiefe etwas durchschlagskräftiger sein könnte. Mark Adler ist mit strahlenden Höhen und der für die Rolle unbedingt notwendigen Jämmerlichkeit im Ausdruck ein hervorragender Matteo. Im Zentrum des Abends steht die Zdenka von Michaela Maria Mayer. Einen so natürlich und bewegend ausagierten Geschlechterwechsel habe ich auf der Bühne noch nie gesehen. Ihre schöne, individuell timbrierte Stimme hat an Expansionsfähigkeit zugenommen. Sie singt sehr musikalisch und – für Strauss-Verhältnisse – außergewöhnlich textverständlich. Von Rechts wegen müssten die großen Häuser eigentlich Schlange stehen.

Erfreuliches auch in den Nebenrollen. Jolanta Kosira ist eine rollendeckend charmante Fiakermilli mit sicheren Koloraturen. Leila Pfister und besonders Marek Gasztecki nutzen ihre immensen, stimmlichen Möglichkeiten und ihr gutes Timing, um den Publikum zumindest den einen oder anderen Schmunzler zu entlocken. Hans Schaapkens als Mandrykas Diener sowie Louis Kim, Hrólfur Saemundsson und Pawel Lawreszuk als gräfliche Verehrer ergänzen sehr solide.

Arabella ist die letzte Premiere von Marcus R. Bosch als Aachener GMD. Nach neun erfolgreichen Jahren verlässt er das Haus Richtung Nürnberg. In den ersten beiden Akten betont er vor allem die dunklen Farben der Partitur und findet so zu einer sehr individuellen Auslegung. Das Orchester folgt ihm hoch konzentriert. Dennoch klappt die Balance zwischen Graben und Bühne nicht immer hundertprozentig. Violinen und tiefes Blech scheinen hier und da an ihre Grenzen zu gelangen. Vielleicht ist das Stück einfach zu groß dimensioniert für das Aachener Haus. Nichts davon im dritten Akt. Plötzlich stimmt alles, ist rund, groß, warm selbstverständlich. Schon das Vorspiel kommt als kleines, sehr erotisches Wunder daher, als sanftes impressionistisches Fließen in romantischer Glut. Herrlich.

Das sehr konzentrierte Publikum feierte sein Orchester und besonders Michaela Maria Mayer frenetisch, stand aber der Inszenierung – und vielleicht auch dem Stück selbst – ein wenig ratlos gegenüber.

In der Reihe hinter mir beschwerte sich eine Zuschauerin über die Textmengen auf der Übertitelungsanlage. „Da kommt man ja gar nicht mit. Man will ja auch noch zugucken!“ - Wie man’s macht, macht man’s verkehrt!

Andreas Falentin

 









Fotos: Wil van Iersel