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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
20. Februar 2011 (Premiere)

Theater Aachen


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Projektionsfigur für unterdrückte Triebe

Eigentlich stand dieser Aachener Don Giovanni unter keinem guten Stern, musste doch die junge, hoch begabte Regisseurin Eva-Maria Höckmayr die Inszenierung krankheitsbedingt gut zwei Wochen vor der Premiere abgeben. Oberspielleiter Ludger Engels unternahm es, die Premiere zu retten. Vermutlich ist es so zu erklären, dass es, besonders im zweiten Akt, einige Passagen gibt, die einen unausgegorenen, provisorischen Eindruck vermitteln.
Als Ganzes betrachtet ist den Aachenern jedoch eine in jeder Hinsicht packende Aufführung gelungen. Ric Schachtebeck hat ein nach vorne offenes Kabinett mit schwenkbaren Wandsegmenten auf die Bühne gestellt, die ebenfalls von schwenkbaren Wandsegmenten begrenzt wird. In dieser einfachen, geometrisch anmutenden Bühnenlandschaft – und in den geschmackvollen, heutigen Kostümen von Julia Rösler und dem raffinierten, farbigen Licht von Dirk Sarach-Craig – erforscht das Regieteam behutsam und eindringlich Mozarts und da Pontes Figuren. Da wird Donna Elvira beispielsweise schon vor ihrer ersten Note auf einer Hochzeit gezeigt, wo sie den Brautstrauß fängt. Der Ehewunsch treibt sie dann kreuz und quer durch Mozarts Meisterwerk, beglaubigt durch Antonia Bourvés uneitles Spiel und makellosen Gesang. So wird aus ihrer Figur mehr als die übliche rätselhafte Nervensäge. Aus Hoffnungen, Leid und Selbstmitleid entsteht ein Mensch.
Auf ähnlichem Niveau gelingt die Beziehungsstudie des „niederen Paares“ Masetto und Zerlina. Beide Arien Zerlinas, hinreißend geformt von Astrid Pyttlik, enden in Unstimmigkeit statt in Versöhnung – und das wirkt ganz selbstverständlich und richtig.
Zentrum eines jeden Don Giovanni ist natürlich der Titelheld selbst. In Aachen gibt ihm Wieland Satter grandios Gestalt. Von ‚verführerisch’ bis ‚gebieterisch’ stehen ihm etliche Ausdrucksnuancen zur Verfügung, in der Schlussszene steigert er sich zu wirklicher dämonischer Größe. Die Inszenierung sieht ihn als aufreizend passiven Fremdkörper im Gefüge des Stückes, als Projektionsfigur für unterdrückte Triebe. Der von ihm faszinierte Leporello (Hrólfur Saemundsson mit seinem bisher besten Auftritt in Aachen) handelt für ihn, kostümiert die Masken auf dem Ball und bringt sogar eigenhändig den (von Marek Gasztecki fast beängstigend machtvoll georgelten) Komtur um.
Melancholie ist diesem Don eingeschrieben bis zur Todessehnsucht. Nur Frauen helfen ihm. Sie lenken ihn ab und kitzeln seine Sinne, halten ihn lebendig. Für ihn ist jede Frau schön. Höhepunkt des Abends ist das berühmte Ständchen. Während Wieland Satter auf der Bühne sitzend ins Publikum singt, zieht es alle anderen, sogar die Männer, wie von Geisterhand zu ihm hin.
Am Ende wird Giovanni nicht etwa vom Komtur geholt, sondern von seinen anderen Opfern erdolcht – wie in Agatha Christies Mord im Orientexpress. Schon während des Schlusssextetts merkt man, dass die Welt – wie die auf der Bühne dargestellten Menschen – einen Verlust erlitten hat.
Marcus R. Bosch und das erneut auf höchstem Niveau agierende Sinfonieorchester Aachen tragen den eigenwilligen Interpretationsansatz mit. Schon die Ouvertüre ist auf den Gegensatz von harmonischem, fast phlegmatischem Streicherteppich und keck dazwischen schreienden Trompeten und Pauken ausgerichtet. Bosch lässt die leicht gekürzten Rezitative am Hammerflügel begleiten und gestaltet die dynamischen und Tempo-Relationen so, dass sich der Abend zu einem großen Bogen fügt. Die Sänger zeigen sich dem orchestralen Niveau großenteils gewachsen. Neben den bereits Erwähnten sind das Patricio Arroyo (Ottavio) und Pawel Lawreszuk (Masetto) mit etwas schmalen Stimmen, aber beseeltem Gesang und präzisem Spiel und Eva Bernard, die sich nach nervösem Beginn zu einer eindrucksvollen Donna Anna entwickelte.
Für musikwissenschaftlich Interessierte sei noch erwähnt, dass in Aachen die – leicht gekürzte – „Wiener Fassung“ gespielt wurde, also ohne die zweite Tenorarie und Leporellos „Pieta“–Einlage, aber mit Elviras „Mi tradi“. Für die Dramaturgie des Abends erwies sich diese Verkürzung der sonst üblichen Mischfassung als deutlicher Gewinn.
Und dennoch: es wurde kräftig gebuht beim Schlussapplaus, als das Regieteam (übrigens, vielleicht aus Pietätsgründen, ohne Ludger Engels) auf die Bühne kam. Mir erschloss sich nicht recht, warum, ob nun wegen der leichten Verwässerung der künstlerischen Handschrift der ursprünglichen Regisseurin Höckmayr oder aus Mangel an Rokoko-Zöpfen.
Ich meine, Aachens Don Giovanni ist zumindest eine kleine Reise wert.

Andreas Falentin







 
 
Fotos: Wil van Iersel