Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LA VOIX HUMAINE/
IL COMBATTIMENTO DI TANCREDI E CLORINDA

(Francis Poulenc/Claudio Monteverdi)
6. November 2011
(Premiere)

Theater Aachen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

Nach der Premiere

Alexander von Pfeil hat zwei Einakter zur Liebe kombiniert und ist dabei zu interessanten Ergebnissen gekommen.Davon erzählt er direkt nach der Premiere (3'32).


 

zurück       Leserbrief

Im Privaten und Öffentlichen

Der Gegensatz war es, der Regisseur Alexander von Pfeil an der Idee faszinierte, Poulencs La voix humaine erstmalig mit Monteverdis Combattimento di Tancredi e Clorinda an einem Abend aufzuführen. Das Gemeinsame zu finden, ist Pfeil gelungen. Es ist der Grundkonflikt von Liebe, die in extremen Situationen dazu neigt, in Gewalt auszubrechen. Im Einpersonenstück der verliebten Stimme – so der deutsche Titel im Aachener Programmheft – führt eine junge Frau ein Telefonat mit ihrem Ex, das sich erst in Lügen, dann im Nichts verliert. Das Gefecht zwischen Tancredi und Clorinda beginnt erst, nachdem die beiden eine Nacht miteinander verbracht haben. Ihr Pflichtgefühl macht ihre Liebe vergessen, ehe sie in Clorindas Todeskampf wieder zueinander finden. Was ist das für eine Liebe? Was ist Liebe? Glaubt man diesem Abend, ist sie jedenfalls ziemlich weit von Romeo und Julia entfernt – und hat mit dem menschlichen Dasein herzlich wenig zu tun.

Diese für unsere sehnsüchtigen Seelen so schmerzliche Erkenntnis wirft Piero Vinciguerra mit der Gestaltung seiner Bühne ins Zeit- und Ortlose. Zwei nach hinten spitzwinklig zusammenstoßende, weiße Wände verengen die Bühne, werden von einem Glasdach nach oben abgeschlossen. Ein Seitendurchgang ermöglicht Auf- und Abtritte. Hier lässt sich nichts festmachen, das Auge findet keinen Halt. Ein paar Requisiten verdeutlichen die Situation, in der sich die Akteure befinden. Ansonsten sind die Protagonisten auf sich selbst zurückgeworfen. Das Lichtspiel von Dirk Sarach-Craig ist dürftig, hilft der Orientierung nicht weiter. Weitestgehend unmotiviert die Lichtwechsel, aber auch hier Reduktion und Konzentration auf die Handelnden. Das schafft Intensität, aber nicht immer Überzeugung.

Zugegeben, es gibt wohl kaum etwas Schwierigeres in der Schauspielkunst als ein Einpersonenstück. Sich an sich selbst abzuarbeiten, mit imaginären Personen überzeugend zu verhandeln, sich unreflektiert permanent selbst zu motivieren, schafft wohl kaum einer von uns. Irina Popova versucht es als die junge Frau, die das Telefonat mit dem Mann führt, an dem sie hängt, der aber längst in einer anderen Welt lebt. Stimmtechnisch ist das auch in Ordnung, darstellerisch gibt es keine Einwände, ja sie beeindruckt gar mit der cool-ironischen Attitüde, wenn sie ganz nebenbei versucht, sich umzubringen, um es sich dann anders zu überlegen und – das alles während des imaginären Telefonats – sich selbst rettet. Allein, der letzte Funke fehlt. Vielleicht ist das einfach der Premierensituation geschuldet.

Sehr viel leichter hat es, so gesehen, Patricio Arroyo, der als Erzähler Testo selbst Regie zu führen hat, mit den Figuren um sich herum spielt. Mit seinem lyrischen Tenor bewältigt er die Rolle scheinbar mühelos, auch wenn man sich an mancher Stelle eher die Durchschlagkraft eines Bariton wünschen würde. Darstellerisch ist er jedenfalls ebenso überzeugend wie seine Mitstreiter Katrin Stösel als Clorinda und Georgius Iatrou als Tancredi. Iatrou spielt in Unterhose mit einer Brille auf der Nase, zeigt so vielleicht die Schwäche des modernen Mannes, überzeugt aber letztlich mit dieser Erscheinung nicht so recht. Besser da schon die junge Stösel, die sich als Clorinda gegen einen Haufen Rüpel behaupten muss. Perfekt meistert sie die Nuanciertheit, die die Rolle von ihrer Stimme verlangt. Es ist eine Freude, ihren kurzen Passagen zuhören zu dürfen.

So, wie es eine Freude ist, die Musik zu erleben, die das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Péter Halász abliefert. Gleichermaßen stark in beiden Stücken, konzentriert, präzise und zumeist im richtigen Volumen, nimmt das Orchester den Zuschauer mit auf die Reise, trägt ihn in die nächsten Szenen und erinnert ihn daran, dass es selbst in Zeiten martialischer Kämpfe immer noch die Musik Monteverdis gibt.

Eine starke Aufführung, der letztlich das Quäntchen Überzeugungskraft fehlt, das die ganz große Begeisterung auslöst. So klatscht das Publikum brav, würdigt insbesondere die Einzelleistungen der Solisten – der Fanclub von Iatrou ist ebenfalls zugegen und bedenkt ihn mit außergewöhnlichem Bravo – aber dann beeilen sich doch alle, noch rechtzeitig zum Tatort oder in das Restaurant zu kommen, in dem der Tisch bestellt ist.

Michael S. Zerban






 
Fotos: Wil van Iersel