Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

RUSALKA
(Antonín Dvořák)
8. November 2013
(Premiere am 3. November 2013)

Theater Aachen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Auf der Müllhalde der Menschenwelt

Die Zeiten, in denen Antonín Dvořáks unglückliche Rusalka noch in einem märchenhaft illuminierten Waldsee planschen durfte, wie es Günther Schneider-Siemssen in der letzten Aachener Inszenierung vor über 20 Jahren zelebrierte, sind vorbei. Aus der Märchenoper ist in vielen Produktionen der letzten Jahre das Psychogramm einer verlorenen, zwischen Realität und Traumwelt umherirrenden Seele geworden. Rundum überzeugend in der Gelsenkirchener Arbeit der hochbegabten Elisabeth Stöppler, nicht ganz so schlüssig jetzt im neuen Anlauf am Aachener Theater.

Allerdings sollte man auch angesichts einiger szenischer Ungereimtheiten nicht den Blick auf die überragende vokale Qualität der Produktion verstellen. Immerhin sind Stimmen mit der Kondition Wagnerscher Schwer-Athleten und dem Feingefühl romantischer Sensibelchen gefragt. Wenn diese Anforderungen auch noch von einem erfrischend jungen und zudem optisch äußerst attraktiven Ensemble erfüllt werden, steht einer überzeugenden Aufführung nicht mehr viel im Wege. Auch nicht Generalmusikdirektor Kazem Abdullah, der mit dem herb und durchweg zu laut aufspielenden Aachener Sinfonieorchester zwar jede süßliche Weichzeichnung vermeidet, aber auch manche Feinheit überspielt.

Durch die Besetzung mit überwiegend slawischen Sängern gewinnt das Werk in der tschechischen Originalsprache zusätzlich an idiomatischem Kolorit. Die Slowakin Linda Ballova kommt einer Idealbesetzung der Titelpartie nahe. Eine durchsetzungsfähige, in allen Lagen mühelos ansprechende Stimme mit großen Freiräumen für zarte Zwischentöne. In ihrer mädchenhaften Ausstrahlung ein Ausbund an hilfsbedürftiger Zerbrechlichkeit. Grandios, wie sie sich immer wieder aufbäumt, wenn sie gerade zusammenzubrechen droht. Nicht minder beeindruckend der Kanadier Chris Lysack, der die tenorale Gewaltpartie des Prinzen mit Strahlkraft und metallischem Glanz bewältigt. Sanja Radišić verkörpert mit ihrem sinnlichen Mezzo eine stimmlich wie auch optisch verführerische Hexe von unwiderstehlichem Reiz. Irina Popova verleiht der Fürstin kräftige, fast drastische Züge. Jacek Janiszewski singt den Wassermann kultiviert mit makelloser Legato-Technik, wirkt gestalterisch jedoch etwas unentschlossen. Daran trägt nicht zuletzt die Inszenierung von Ewa Teilmans bei, die beachtliche Stärken aufweist, allerdings gerade in der Figur des Wassermanns die Schwächen ihrer Werksicht ungeschminkt erkennen lässt.

Rusalka, das Nixenwesen, das aus der kalten und oberflächlichen Unterwasserwelt ausbrechen will, sich von den Menschen ein glücklicheres Leben erhofft und mit dieser Illusion völlig scheitert. Ein schlichter Handlungskern, der, wie Elisabeth Stöppler in Gelsenkirchen zeigte, zu einer ebenso packenden wie vergeblichen Suche nach dem faustischen Glück führen kann. In Aachen wird der Waldsee bereits zu Beginn von menschlichem Zivilisationsmüll entweiht. Abwasserkanäle, teilweise abgeholzte Wälder und ein zu einem pfützenhaften Tümpel geronnener Teich zeugen vom Einfluss der Menschen. Und die „menschlichen“ Männer, die vom Wassermann und der Hexe den jungen Nixen in eindeutiger Absicht zugeführt werden, erfüllen Rusalka verständlicherweise mit Abscheu. Wieso sie sich ausgerechnet von Menschen die Erlösung aus dem Desaster erhofft, bleibt rätselhaft. Ebenso die Rolle des Wassermanns, der den Zuhälter spielen muss, auch wenn seine warnenden und tröstenden Gesänge eine ganz andere Botschaft verkünden. Kein Wunder, dass Jacek Janiszewski bei seiner widersprüchlichen Darstellung mehr Halt an einer Zigarette findet als am Rollenprofil der Regisseurin. Dass Ewa Teilmans in der Figur einen entfernten Verwandten des Machtmenschen Alberich aus Wagners Ring sehen will, verwirrt zusätzlich.

Klarer präsentiert sich der zweite Akt in kahlen Wandfolien, die die Kälte des Schlosses nicht sehr originell, aber einigermaßen überzeugend vermitteln und einen unverstellten Blick auf die streckenweise sehr genaue Personenführung der Regisseurin zulassen. Für das Bühnenbild zeichnet Elisabeth Pedross verantwortlich. Der Prinz gebärdet sich werktreu als flatterhafter Geselle, der sich von der unschuldigen Schönheit Rusalkas blenden lässt, aber rasch der unterhaltsameren Fürstin zuwendet. Die Verzweiflung der von der Festgesellschaft drastisch gemobbten, von der Fürstin brutal gedemütigten und letztlich vom Prinzen verhöhnten Rusalka spielt Linda Ballova mit geradezu mitleiderregender Intensität aus.

Im dritten Akt sind Wald und See zu einem riesigen Abfallberg mit unzähligen Mülltüten degeneriert, durch die projizierte Karpfen effektvoll schwimmen und über die sich die Sänger mit halsbrecherischer Gewandtheit hangeln müssen. Ein eindrucksvolles Bild, das freilich so mächtig wirkt, dass die Figuren nur schwer zu identifizieren sind. Die Schlussszene mit dem traurigen Ende gerät zu einem vokalen Triumph der Sänger, der allein schon einen Besuch der Aufführung lohnen.

Bedauerlich, dass bereits in der ersten Reprise das Theater kaum zu zwei Dritteln besetzt ist, was sich möglicherweise auch abträglich auf den massiven Orchesterklang auswirkt. Nachzuvollziehen ist das angesichts der musikalischen Höchstleistungen und der immerhin diskutablen Inszenierung nicht.

Pedro Obiera

Fotos: Ludwig Koerfer