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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
4. Dezember 2011
(Premiere)

Theater Aachen


Points of Honor                      

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Nach der Premiere

Es geht nicht um Sex, sondern um die wahren Gefühle, die moralisch aus welchen Gründen auch immer nicht erlaubt sind. Meint Michael Helle und zeigt es uns (3'58).

 

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Ganz in weiß

Die Hochzeit des Figaro noch einmal inszenieren? Ist denn das Thema nicht wirklich erschöpfend behandelt? Michael Helle zeigt in seiner Inszenierung, dass noch längst nicht alles gesagt ist. Viel zu oft ist Una bella giornata ertönt, wird die opera buffa in erotischem Licht gezeigt – was aber ist denn eigentlich mit den Gefühlen der Beteiligten, dem Einzelbefinden? Regisseur Helle hat sich dem gewidmet. Er hat jedes – oder fast jedes Brimborium vermieden, das Umfeld sozusagen ausgeputzt, um sich ganz auf die Befindlichkeit des Einzelnen zu konzentrieren. Die allerdings, wir sind in der Oper, muss sich in der Musik äußern. Im Hintergrund der Bühne eine Wand mit vier Ecken, so dass sich fünf Türen ergeben, ganz in weiß. Davor eine Bühne, die viel Bewegungsfreiheit erlaubt, im letzten Akt gar gestattet, einen überdimensionalen Baumstamm abzusenken. Bis dahin gibt es dort ein paar Stühle, die von den Akteuren zu diesem Zeitpunkt beiseite geräumt werden. Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck wird später auf die außerordentliche Leistung von Edgar Joebges hinweisen, weil er weiß, wie schwer es ist, eine weiße Bühne so gekonnt auszuleuchten, wie es Joebges gelingt. Dieter Klaß hat nicht nur diese Bühne gestaltet, sondern sich auch um die Kostüme gekümmert. Und da kommt er doch wieder – sehr gekonnt – in der opera buffa an. Susanna trägt ein schwarzes Kleid mit der unvermeidlichen Servierschürze und eine blonde Perücke – so, wie der Frauenchor. Das Publikum hat seinen Spaß. Die Herren sind in moderne Anzüge gekleidet, die Damen präsentieren sich ebenfalls in heutiger Bekleidung. Es kommt eben nicht auf die Begleitumstände an, sondern auf die Gefühlswelten.

Da allerdings erlaubt sich der musikalische Leiter Marcus R. Bosch einen Kunstgriff. Sängerinnen und Sänger dürfen die übliche Intonation verlassen – und verleihen so ihren Texten einen neuen und sehr gekonnten Reiz. Geradezu brillant gelingt das Shadi Torbey, wenn er den Figaro zwischenzeitlich fast sprechen lässt, aber eben nur fast. Hrölfur Saemundsson vermag, den Grafen Almaviva genau so auszuspielen, wie es ihm am besten liegt. Ein wenig herablassend, aus der Welt des Kleinadeligen hinabsprechend in die Welt der anderen Leute, die er nicht versteht, die für ihn auch nicht wirklich existieren. Nur so ist doch auch zu erklären, dass er eine Susanna, dargestellt von Jelena Rakić, gar nicht ernsthaft verstehen kann. Rakić fängt mit kleiner Stimme an und steigert sich kontinuierlich, auch, was ihre Darstellung angeht. Sie ist nicht die naive Susanna, die sonst so oft und gern gezeigt wird, sondern steht im Leben. So gibt es für sie auch nicht die bösen Überraschungen, sondern eine konsequente Weiterentwicklung, und das macht richtig Spaß. Gräfin Almaviva präsentiert sich zwar, wenn sie ihre Kostümjacke ablegt, äußerst attraktiv, lässt das aber ganz schnell vergessen, weil sie in Stimme und Darstellung ganz auf die Gefühlswelt der Gräfin abhebt. Und da wird das Aussehen, was bei Katharina Hagopian eigentlich schade ist, zur Nebensache. Ganz und gar zur Hauptsache gerät das Aussehen bei Cherubino, und das meistert Astrid Pyttlik mit Bravour, obwohl ihre Erscheinung eigentlich wenig androgyn ist.

Ob Corinna Heller in der Rolle der Marcellina, Pawel Lawreszuk als Bartolo, Patricio Arroyo, der die Gestalt des Basilio verkörpert, oder Hans Schaapkens, der Don Curzio gibt, ebenso wie Johannes Piorek in der Rolle des Antonio oder Katrin Stösel als Barbarina – sie alle eint, dass sie leichthin kunstvoll singen, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Auge und Ohr wird vom Ensemble verwöhnt.

Ergänzt wird das Ereignis von der fabelhaften Zusammenarbeit von Brosch und dem Sinfonieorchester Aachen. Der Dirigent lässt keine Langeweile aufkommen, lässt die Musik mit ungewohnten Tempowechseln und zarten Hammerklavierwechseln aufleuchten und schreckt auch nicht davor zurück, die beiden selten gespielten Arien von Basilio und Marcellina einzubauen.

Der Chor in der Einstudierung von Andreas Klippert tritt ein wenig abrupt und forsch auf, treibt aber so die Handlung voran und bringt frischen Wind ins Geschehen.

Das Publikum ist begeistert. Reagiert überbordend. Arien und Szenen werden beklatscht. Im Schlussbild schauen Hagopian, Rakić und Pyttlik skeptisch und gespannt, noch ein wenig ungläubig ob der eigenen Leistung. Aber standing ovations sind und bleiben der beste Beweis für die grandiose Leistung aller Beteiligten.

Michael S. Zerban