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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
10. Oktober 2013
(Premiere am 15. September 2013)

Theater Aachen


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Szenen aus einem tristen Bürokraten-Dasein

Eine Saison mit Beethovens Fidelio zu starten, ist immer ein Wagnis. Beethovens nicht sonderlich glückliches Händchen für Stimmen bringt jedes Besetzungsbüro in Verlegenheit. Und vor allem genügt das betuliche Libretto nicht annähend Beethovens Visionen von einer Menschheit in Freiheit. Das Hohelied der Gattentreue, das den Kern der Vorlage von Bouilly und der Bearbeitungen von Sonnleithner und Treitschke beherrscht, steht der politischen Botschaft immer wieder im Wege. Schade, dass Beethoven nicht, wie Richard Wagner, seine eigenen Textbücher schreiben konnte.

Probleme, die auch inspirierte Inszenierungen nicht lösen können. Und erst recht nicht verkrampfte Ansätze wie jetzt im Theater Aachen. Um den Wert der Produktion nicht vorschnell in ein schiefes Licht zu rücken, sollten zunächst die musikalischen Meriten ins Auge gefasst werden. Und da steht den Aachenern mit Emily Newton eine Leonore von einer stimmlichen Kraft und Mühelosigkeit zur Verfügung, die die Klippen der Partie nahezu vergessen lässt. Schade, dass sie in der kahlen Inszenierung nicht annähernd so viel Bühnenpräsenz ausstrahlen kann wie jüngst bei ihrem sensationellen Auftritt als Anna Nicole Smith in Turnages gleichnamiger Oper in Dortmund.

Mit dem jungen türkischen Tenor Ünüsan Kuloğlu konnte das Aachener Theater einen Heldentenor für sein Ensemble verpflichten, der Anlass zu größten Hoffnungen gibt. Als Siegmund schmetterte er unlängst in einer konzertanten Aachener Aufführung des ersten Akts aus der Walküre nicht nur die Wälse-Rufe mit überwältigender metallischer Brillanz heraus. Und auch die wesentlich unbequemere Partie des Florestan bewältigt er nahezu mühelos. Schade, dass er ausgerechnet bei der Premiere gesundheitlich angeschlagen war, so dass sich der Wert seiner Leistung erst im Laufe der folgenden Vorstellungen zeigen konnte.

Auch das restliche Ensemble verdient Beachtung. Sowohl die spielfreudige Jelena Rakić als Marzelline als auch Patricio Arroyo als Jaquino und Woong-Jo Choi als Rocco mit seiner abgrundtiefen Bass-Schwärze. Unter Leitung von Generalmusikdirektor Kazem Abdullah musiziert das Aachener Sinfonieorchester auf dem gewohnt hohen Niveau, das Marcus Bosch seinem Nachfolger hinterlassen hat.

Musikalisch gute Voraussetzungen für eine interessante Produktion, wenn Regisseur Alexander Charim und Bühnenbildner Ivan Bazak für die Lösung der dramaturgischen Probleme des Stücks nicht zu abstrusen Ideen gegriffen hätten, die keiner Fassette des Stücks gerecht werden. Im Bemühen, dem Stück auch die kleinsten Spurenelemente von Freiheits-Pathos auszutreiben und die letzten Eierschalen des biedermeierlichen Singspiels abzustreifen, siedelten sie das Werk in einer tristen Büro- und Fabriklandschaft an, die eher an das öde Dasein frustrierter Finanzbeamte erinnert als an eine Ehetragödie oder gar an eine Staatskrise. Schmucklose Wände, geschmacklose Plastikstühle in noch geschmackloserer Orange-Färbung, Gefangene in grauen Einreihern, die in diesem Ambiente ihren Freiheitswillen allenfalls als Sehnsucht nach einem befreiten Pensionärsdasein auszudrücken scheinen. Auch Pizarro strahlt keine bedrohliche Gefahr aus, sondern wirkt wie ein cholerischer und hoffnungslos überforderter Vorgesetzter. Warum in der Befreiungs-Szene plötzlich alle vier Protagonisten, also, Florestan, Pizarro, Leonore und Rocco eine Pistole zücken, gehört zu den vielen Rätseln der Inszenierung. Vergisst man die Waffen, stellt sich die Oper wie Szenen aus einem tristen Büroalltag dar.

„O Gott! Welch Dunkel hier!“ Treffsicher zum ersten Einsatz Florestans schaltet die Regie alle Lichter an und taucht die enge, mit einem bequemen Bett ausgestattete Zelle des Häftlings in grelles Licht. Das eher belanglose Geplänkel zwischen Marzelline und Jaquino, ein störender Rest aus der ursprünglichen Vorlage, versucht Charim zu entschärfen, indem er Jaquino zum Vergewaltiger dramatisiert.

Es wird viel gesessen und noch mehr gestanden in der Inszenierung. Vor allem, wenn die Dialogtexte von Schauspielern extern eingeblendet werden und die Bühnenfiguren in eine Schockstarre verfallen. Die Absicht, die gestelzten Texte zu entpathetisieren, scheitert, weil auch Schauspiel-Profis die Quadratur des Kreises nicht gelingen kann. Sie vermitteln das Pathos besonders geschliffen. Ein Pathos, das zum Text und zu Beethoven gehört und nicht weiter störte, wenn man sich zu ihm bekennen und es entsprechend umsetzen würde. Aber ein solch großes Vertrauen in das Stück fehlt dem Team, und damit ist ein Scheitern der Produktion garantiert. Als völlig überflüssig erweisen sich die Einschübe aus Marguerite Duras‘ Roman Der Schmerz, die immerhin KZ-Erlebnisse verarbeiten, in diesem Umfeld jedoch erschreckend sentimental wirken.

Ähnlich sieht es das Publikum, bei dem die Regie in den Pausengesprächen überwiegend auf gelassene bis heftige Ablehnung stößt. Letztlich bedenkt es Sänger, Dirigent und Orchester, deutlich abgestuft, mit freundlichem bis begeisterten Beifall.

Insgesamt ist die Inszenierung ein völlig ungeeigneter Versuch, die Probleme der Oper auszugleichen. Ungeeignet, weil man sich nicht auf die Schwächen einlässt, sondern sie zu übertünchen versucht. Schade für die musikalischen Meriten der Produktion.

Pedro Obiera

Fotos: Carl Brunn