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Fakten zur Aufführung 

MÉDÉE
(Luigi Cherubini)
30. Oktober 2014
(Premiere am 28. Oktober 2014)

Opera2Day Den Haag, Zwolle, Theater De Spiegel

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Vom Schatten der Callas befreit

Im letzten Jahr startete in Den Haag das junge Musiktheater Opera2day, das seitdem einige holländischen Provinzen wie ein deutsches Landestheater mit mehr oder weniger vergessenen älteren und möglichst innovativen zeitgenössischen Stücken versorgt. Dass man sich damit in Konkurrenz zur Nationalen Reisopera in Enschede begibt, vom Nederlands Muziektheater in Amsterdam ganz zu schweigen, schreckt die ehrgeizigen und wagemutigen Organisatoren nicht ab. Man bereist Städte, die sonst kaum in den Genuss einer professionellen Opernaufführung gelangen würden, hebt sich auch in der Programmgestaltung von den ohnehin wenigen etablierten Bühnen des Landes ab und versucht mit besonderem Engagement, junge Leute ins Theater zu locken.

Bereits im letzten Jahr errang man mit Luigi Cherubinis Médée in der französischen Originalsprache einen so großen Erfolg, dass man die Produktion auch in der zweiten Saison in acht Städten zwischen Den Haag und Zwolle zeigt.

Dabei kann die Gruppe nahezu alle Rollen mehrfach besetzen. Die Titelpartie teilen sich gleich vier Sängerinnen. Und wenn alle die anspruchsvolle Partie so souverän meistern wie Maribeth Diggle in Zwolle, kann von einer kleinen vokalen Sensation gesprochen werden. Immerhin ist die Rolle eng mit der kultisch verklärten Leistung von Maria Callas verbunden. Doch – ohnehin unsinnige – Vergleiche mit der Diva werden schon im Vorspiel konterkariert, legen es doch sowohl der Dirigent Hernán Schvartzman als auch Regisseur Serge van Veggel nicht darauf an, eine große Oper zu inszenieren, sondern ein intimes Kammerspiel um Enttäuschung, Demütigung und schmerzerfüllter Rache. Große Gesten bleiben da die Ausnahme. Medea, die nach ihrer Demütigung durch den wankelmütigen Jason sogar ihre über alles geliebten Kinder opfert, präsentiert sich nicht als Megäre oder rachsüchtiges Monster, sondern als eine innerlich tief verletzte und um ihre Kinder besorgte Frau und Mutter.

In schlichtes Schwarz gekleidet, sehnt sie sich bereits im Orchestervorspiel nach ihren von Jason entführten Kindern, ergänzt durch eingeworfene Sprachfetzen, untermalt an verschiedenen Zäsuren durch geräuschhafte, von Ezequiel Menalled gemischte Klänge, die die Handlung punktuell anhalten, wenn Medea von ihrer Trauer übermannt wird. Das geschieht unaufdringlich, wobei der Regisseur mit einer sehr detailgenauen, einfühlsamen und rundum professionellen Personenführung überzeugen kann.

Differenziert auch die Gestaltung der übrigen Figuren. Dircé, die neue Braut Jasons, in blendend weißer Haute Couture gekleidet, strahlt keine triumphierende Arroganz aus, sondern wird selbst von Zweifeln und Unsicherheit geplagt. Desgleichen Jason, der von Gewissensbissen gequält wird. Allein Créon, der Vater Dircés und Erzfeind Medeas, zeigt sich als der unerbittliche Herrscher, als den ihn Cherubini darstellt. Auch die Auftritte des Chores rücken das Stück nicht in die Nähe der Grand Opéra. Mit seinen gesprochenen Zwischentexten ist es, wie die Carmen, ohnehin eher der realistischen Ästhetik der Pariser Opéra Comique verbunden als dem repräsentativen Gusto der Grand Opéra. Das spiegelt sich auch in den schlichten, aber pointierten Dekorationen von Herbert Janse nieder. Gespielt wird auf einer schwarz ausgeschlagenen, durch Spiegel- und einige Stellwände räumlich differenziert aufgeteilten Bühne, die den Blick auf die Protagonisten in keinem Moment verstellt.

Eine Aufführung, die auch die Begeisterung von Beethoven, Schumann und Brahms für die weit über Glucks klassizistische Tonsprache hinausgehende Musik Cherubinis verständlich werden lässt. Das fein gestrickte Psychogramm der Titelpartie vermag Maribeth Diggle sowohl darstellerisch als auch gesanglich auf beachtlichem Niveau glaubhaft zu entfalten. Eine jugendliche, biegsame, gleichwohl substanzreiche Stimme, die weder der introvertierten Innerlichkeit noch den Koloraturen an Ausdruckskraft und gesanglicher Sauberkeit Wesentliches schuldig bleibt.

Kongenial Laura Pisani als Dircé, die in ihrem Schmerz trotz ihres glanzvollen Outfits wie eine Schwester Medeas wirkt und ihre kaum weniger anspruchsvollen Aufgaben mit Bravour löst. Erik Slik als Jason verfügt über einen sehr lyrischen Tenor, der seiner Schwäche gegenüber den starken Frauen Nachdruck verleiht, ohne der Rolle ihren männlichen Habitus zu nehmen. Markant wie ein Fels in der Brandung verkörpert Huub Claessens den Créon mit seiner mächtigen Bariton-Stimme. Ohne Fehl und Tadel auch die kleineren Rollen sowie der Chor.

Alles wirkt jung und dennoch tiefgründig. Das betrifft auch das Dirigat von Hernán Schvartzman, der die dramatischen Impulse des Stücks feinnervig aufgreift und mit dem Orchester von Opera2day auf überwiegend jugendliche Musiker zurückgreifen kann, die mit erstaunlicher Versiertheit das historische Instrumentarium bedienen und ein herbes, aber innerlich vibrierendes Klangbild erzeugen, das in seiner Schlankheit und Transparenz den Sängern eine hilfreiche Stütze bietet.

Das Publikum in Zwolle und seinem akustisch nicht idealen Theater De Spiegel reagiert mit verdienter Begeisterung.

Pedro Obiera

 





Fotos: Dayna Casey, Roelof Pothuis