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Fakten zur Aufführung 

STRINGS
(Christian Spuck, William Forsythe, Edward Clug)
10. März 2015
(Premiere am 17. Januar 2015)

Opernhaus Zürich


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Tanz mit Leerlauf

Ballettaufführungen ist ein besonderes ästhetisches Fluidum von Bewegung und Musik eigen. Eine nonverbale Kommunikation, die mit choreografierten Bewegungsabläufen stattfindet. Das unterscheidet sie wesentlich von dem, was sonst auf einer Opernbühne zu erleben ist. Um sich als Besucher in diese Darstellungsform einzufinden, sich zu orientieren, braucht es eine gewisse Zeit.

Was passiert aber, wenn, wie jetzt mit Strings des Ballett Zürich am Opernhaus drei Ballett-Choreografien gezeigt werden, bei denen die Pausen zwischen ihnen länger als ihre Aufführung sind? Pausen von jeweils 20 bis 30 Minuten überdecken schnell den Atem des Künstlerischen mit dem Klirren von Weingläsern und Häppchen-Gesprächen. Am Ende bleibt ein fraktaler, unbefriedigender Eindruck.

Die inszenatorische Klammer des Balletabends ist der Titel Strings. Tänzer und Musiker sind auf der Bühne präsent. Wobei die thematische Stringenz allerdings höchst unterschiedlich ist. Das liegt vor allem daran, dass die drei Choreografien von Christian Spuck, William Forsythe und Edward Clug Ballettentwicklungen von gestern bis heute zeigen.

Forsythe hat mit dem 1998 uraufgeführten workwithinwork seine choreografische Arbeit mehr oder weniger beendet und sich seitdem neuen künstlerischen Ausdrucksformen zugewandt. Mit Das siebte Blau hat Spuck 2000 in Stuttgart seine Idee von Ballett mit Musikern auf der Bühne vorgestellt. Beide haben mit ihren Spuren den neueren Ballett-Kosmos nachhaltig mitgeprägt.

Clug mischt seit einigen Jahren von Slowenien aus die Ballett-Welt auf. Seine Choreografie Chamber Minds ist eine Uraufführung für Strings. Sie macht als umjubelter Schlusspunkt an diesem Abend deutlich, warum er als Magier unter den Choreografen bezeichnet werden kann.

Chamber Minds ist der humorvolle, tänzerisch eindrucksvoll gelungene Versuch, die Flüchtigkeit von Gedanken darzustellen. Aus offenen Bewegungen zueinander verschlingen und verknoten sich die Körper der Tänzer. Das mutet mal zerbrechlich, mal aggressiv an. Für einen Moment scheint die Balance der Tänzer verloren zu gehen, ehe sie danach mit überraschender Leichtigkeit wieder Standfestigkeit finden.

Clug sucht in der Musik seines Landsmanns Milko Lazar häufig einen choreografischen Resonanzboden. Für Chamber Minds hat Lazar eine Ballettsuite für Violine und Cembalo von kraftvollem Temperament komponiert. Im Bühnenbild von Marko Japelj  mit mobil auf- und abwärts bewegten Saiten-Seilen findet Chamber Minds als Inspiration der Begegnung in der Bewegung statt. Keine artistischen Körperdehnungen, sondern mit hintergründigem Witz zu tanzen. Das begeistert vor allem das jugendliche Ballettpublikum – wiederholter Szenenapplaus.

Dieser spielfreudig unterhaltsamen Choreografie geht eine sich avantgardistisch artikulierende Ballett-Ernsthaftigkeit voran. Spucks Das siebte Blau erforscht mit dem Streichquartett Der Tod und das Mädchen von Franz Schubert nach dem gleichnamigen Gedicht von Matthias Claudius choreografische Kommunikationsstrukturen. Claudius‘ Auseinandersetzung mit dem Tod zieht sich verdeckt und widersprüchlich durch sein gesamtes literarisches Werk. Die mehrdimensionale Todes-Figur des Gedichts mit der Musik von Schubert hat Spuck musikalisch mit Hommage á Mihály Andras – 12 Microludes for String Quartet von György Kúrtag sowie mit der Soundcollage Stimmen von Dieter Fenchel ergänzt. Zu sehen ist eine abstrakt strukturierte Choreografie. Keine narrative Struktur, sondern ihre Auflösung im zeitlosen Irgendwo. Der erst noch freundliche Tod „Bin Freund, und komme, nicht zu strafen“ führt letztlich jeden ans endgültige Ziel.

In konvulsivischen Energieschüben tanzt das Ballett Zürich gegen das Unvermeidbare an. Radikalisiert durch die Musik, suchen die Tänzer einen Notausgang. Aber der ist nicht zu finden. Musik und Tanz lösen sich nach und nach auf. Verstummen in Resignation.

Hat eingangs die choreografierte Abstraktion Das siebte Blau die Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungslatte schon ziemlich hoch gehängt, erhöht sich die mit William Forsythe noch weiter. In kongenialer Gemeinschaft und mit programmatischem Anspruch ist sein Ballett mit Duetti per due violini, Vol. 1 von Luciano Berio entsprechend verortet. Dass Forschen immer auch mit Dekonstruieren verbunden ist, braucht Tänzer, die mitdenken können und wollen. Workwithinwork misst einen Tanzraum aus, der das Denken herausfordert. Er reicht bis in den Zuschauerraum. Linien kreuzen sich im Raum und schaffen damit wieder neue Räume. 

Wer die Gelegenheit wahrnimmt, sich die zurzeit im Haus Konstruktiv in Zürich gezeigte Ausstellung (Un)Ordnung. (Dés)Ordre von Vera Molnar anzuschauen, gibt sich eine erweiterte Chance, um sich für die Forsythe-Herausforderungen zu wappnen.

Strings findet insgesamt nicht durchgängig zu dem erhofften Ballett-Flow. Durchgängig überzeugend allerdings die Musiker und Musikerinnen der Philharmonia Zürich: Hanna Weinmeister und Xiaoming Wang spielen die Violine, Valérie Szlávik die Viola; Bruno Weinmeister zeigt sein Können mit dem Violoncello, Naoki Kitaya bedient das Cembalo.

Peter E. Rytz

 

Fotos: Gregory Batardon