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Fakten zur Aufführung 

ROTE LATERNE
(Christian Jost)
8. März 2015
(Uraufführung)

Opernhaus Zürich


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Klaustrophobische Dunkelräume

Nur wenige Stunden, nachdem die letzten Gäste des Opernballsdas Haus verlassen hatten, musste sein normaler Zustand schnell wieder hergestellt werden. Rückbau von der temporären Bühne der Eitelkeiten zur theatralen Opernbühne. Und wenn eine Uraufführung, wie jetzt die Rote Laterne von Christian Jost, erstmals ihre musikalische Belastbarkeit als Oper beweisen muss, kann man sich nicht auf routinierte Abläufe verlassen. Das Opernhaus Zürich konnte dabei einmal mehr beweisen, dass sie beides organisieren kann: Kunst und Charity.

Christian Jost ist seit mehr als zehn Jahre erfolgreich und präsent in der Opernszene. Mit seiner schon achten Oper Rote Laterne gab er am Opernhaus Zürich ein vom Premierenpublikum umjubeltes Debüt als Komponist. Nicht einmal zaghafte Buhs waren zu hören. Überaus bemerkenswert für Neukompositionen, die sich häufig mit großer Skepsis konfrontiert sehen. Ob in der musikalischen Substanz berechtigt, ist nicht immer auszumachen. Neutönendes beansprucht auch einen neuen Platz in der Wahrnehmung der Zuhörenden. Das kann anstrengend, manchmal auch überfordernd sein und setzt auf Offenheit und Bereitschaft dazu.

Der zustimmende Applaus im Zürich ist ein deutliches Indiz dafür, dass es auch anders geht. Avancierte, neue Musik bedarf nicht per se ein artifiziell kostümiertes Neutöner-Kleid, um neue Klangräume anzubieten. Bei Josts Rote Laterne hat man von Anfang das Gefühl, dass er mit seiner Komposition von einer Geschichte erzählt, die unmittelbar Teil seiner Lebensweltorientierung ist. Kein avantgardistisches Komponisten-Posing, sondern musikalische Ernsthaftigkeit mit Bodenhaftung.

Nadja Loschkys Inszenierung merkt man an, dass sie und Jost auf einer narrativ und musikalisch gewachsenen Resonanz kommunizieren. Musikalisch anspruchsvoll ohne avantgardistische Hysterie, stringent ohne exotisches Sentiment eingerichtet. Seit Loschky 2009 Josts Oper Mikropolis an der Komischen Oper in Berlin inszeniert hat, ist ihr der poetische Jost-Opern-Kosmos vertraut.

Mag die Vorlage für das Libretto Rote Laterne aus europäischer Sicht fremdartig anmuten, so liegt es Jost fern, chinesische Kultur zu erklären.  Rote Laterne bedient deshalb keine exotisierenden Urlaubstraumbilder mit einen musikalischen Werbe-Trailer. Anders als die Verfilmung Rote Laterne von Zhang Yimou von 1992, der den Silbernen Löwen in Venedig gewann, der vor allem auf Farbenpracht und schöne Bilder mit starken Gefühlen setzte, ist Jost vor allem an den sozialen Interaktionen der Erzählung interessiert.

Der fehlende Artikel Die von Rote Laterne ist ein semiotischer Stolperstein. Zentral in Josts Komposition ist nicht, wie man nach dem Titel des dem Libretto zugrunde liegenden Romans Wives and Concubines von Su Tong annehmen könnte, eine aufklärerische Analyse von Moral und Gesellschaft in China am Beginn des 20. Jahrhunderts. Rote Laterne ist ein dramaturgischer Licht-Platzhalter. Eine metaphorische Lichtinstallation mit Musik, die als die Laterne nicht gesellschaftliche Zustände im damaligen China oder Bezüge zum heutigen China beleuchtet.

Loschkys Inszenierung ist eine psychologische Studie auf der Opernbühne. Wie verhalten sich Menschen zueinander, die von der Außenwelt komplett abgeschlossen und von einer diktatorischen Willkür abhängig sind?

Der reiche Master Chen heiratet als vierte Frau die junge, schöne, aber mittellose Song-Lian. Sie kommt in eine hermetisch abgeschlossene Welt. Die klaustrophobische Enge, in der das Intrigenspiel der vier Frauen und der Dienerin Yen-Er kammerspielartig einaktig ohne Pause inszeniert ist, findet mit der Bühneneinrichtung sowie mit den Kostümen von Reinhard von der Thannen eine spielorientierte, dynamische Laboranordnung. Blau getönte, an die Farbkissen von Gotthard Graubner erinnernde, verschiebbare Wände schaffen immer wieder kleinteilige Räume. Sie bleiben aber eine torlose Burgfestung für die Frauen. Ihre Selbstbehauptungen sind böse Intrigenspiele um die Gunst des Herrn. Wenn der Weg in die Freiheit nach draußen unmöglich ist, bleibt die Hoffnung auf die kleine, egomane Freiheit, während die anderen verleumdet, erniedrigt sowie psychisch und physisch beseitigt werden.

Jost hat für die einzelnen Figuren nuanciert charakterisierende Stimmlagen komponiert, eingebettet in einen orchestralen Klang, der nicht auf asiatische Stimmung assoziierende Pentatonik zitiert, sondern stark perkussiv instrumentiert ist. Das Klangbild von Rote Laterne bleibt selbst dann in seinen Grundzügen harmonisch, wenn die Tonalität dramatische Akkordsprünge macht. Alain Altinoglu am Pult der Philharmonia Zürich hat ein sicheres Gespür für die Tonsetzungen, Betonungen und Zäsuren der Partitur.

Liliana Nikiteanu, seit fast einem Vierteljahrhundert eine der Alt-Stimmen an der Oper Zürich, wehrt sich als erste, allerdings auch älteste Frau gegen ihre Liebesvernachlässigung durch Master Chen mit dunkel drohendem Timbre. Ihrem gemeinsamen Sohn Yu-Ru gibt der hintersinnig artikulierende Tenor Spencer Lang als Projektionsfläche Mann eine homosexuelle Note, die in diesem Frauen-Intrigenspiel keine Distinktionsmöglichkeit eröffnet.

In giftig grünem Kostüm mit mezzosopranem Raunen und Kieksen signalisiert Nora Gubisch als zweite Frau Zhuo-Yun mit ihren zwei kleinen Töchtern im Schlepptau Falschheit pur. Für die dritte Frau May-Shan, einer ehemaligen Sängerin der Pekingoper hat Jost einen anspruchsvollen Koloratur-Sopran komponiert. Mit ihrem  Gesang in Mandarin, dabei eine Puppe mit ihrem Abbild im Arm haltend, imaginiert sie eine Flucht aus der Wirklichkeit in eine surreale Traumwelt. Claudia Boyle singt die Koloraturen mit einer atemberaubenden Leichtigkeit und Souveränität. Gleichzeitig ist sie die spielerisch prononcierteste Darstellerin in diesem tableau vivants von Master Chen. 

Rod Gilfry verfügt nicht nur über einen voluminösen, in den unteren Langen dunkel grundierten Bariton, der Master Chen sowohl in seinem Habitus als unbestrittener Herr als auch in seiner schwankenden Souveränität ein ausdrucksvolles Timbre verleiht. Zudem ist er ein Mannsbild in Saft und Kraft mit beeindruckender Bühnenpräsenz. Eine ideale Besetzung für diese Rolle.

In diesem komplexen, intriganten Gefüge kommt Anna Goryachova als Dienerin Yen-Er eine besondere Rolle zu. Als Dienende und zugleich als Nebenfrau verfolgt sie ihre eigene Strategie. Wenn es so etwas gibt wie einen Falschheit assoziierenden Mezzosopran, dann wäre Goryachova ein Beweis dafür.

Hauptfigur und zu gleich Außenseiterin, die sich in den Regeln der innerbetrieblichen Festungsordnung nicht auskennt, letztlich auch nicht auskennen will, versucht Song-Lian dagegen zu opponieren. Der lyrische Sopran von Shelley Jackson ist geradezu geschaffen für diese Rolle. Textverständlich artikulierend, sicher in den Wechseln zwischen den Stimmlagen. Verzweifelt aufbegehrend und aufschreiend gegen die Traumbilder der Ängste und die klaustrophobischen Phantasien, moduliert sie ihre Stimmungen. Ihr Stimmumfang reicht vom verhalten klingenden Diskant bis zu tremolierenden  Koloraturen.

In diesem Szenarium lässt Loschky sieben greisenhafte Männer in Kleinkinderkleidchen in Zeitlupe über die Bühne laufen. Es wirkt, als wäre ein zweites, kommentierendes tableau vivant dem ersten an die Seite gestellt.

Jost hat schon im Vorfeld der Inszenierung betont, dass der Ort von Rote Laterne nicht unbedingt in China liegen muss. Einsamkeit, Abschottung, Rückzug sind Verhaltensmuster, die in vielen modernen Milieus zu beobachten sind. Josts Rote Laterne ist ein rotes Signallicht, das Halt mahnt.

Es sollte allerdings kein Halteverbot für Opernbühnen sein. Nach der Zürcher Uraufführung stehen die Signale auf Grün.

Peter E. Rytz

 

Fotos: Monika Rittershaus