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Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
4. Juli 2015
(Premiere am 21. September 2014)

Opernhaus Zürich


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Lohengrin anders

Vieles ist an diesem Abend im Opernhaus Zürich anders. Eine Hitzewelle schlägt die Stadt zurzeit in ihren Bann. Im Publikum kaum Abendgarderobe; wenig Schlips und Kragen. Legere Sommerbekleidung, die nach Entspannung in der relativen Kühle des Opernhauses heischt.
Ansonsten, wie oft beobachtet, viele japanische Touristen mit dem suchenden Blick nach dem Besonderen. Eine Dame zoomt mit ihrer Videokamera Richard Wagner vom Komponistenhimmel an der Saaldecke. Den hat sie schon mal gespeichert. Ihn für sich medientechnisch ins Hier und Heute geholt. Seine romantische Oper Lohengrin steht auf dem Programm. Für viele verbindet sich mit Lohengrin jedes Mal die Erwartung neu, wie das oft parodierte Vorspiel in der Aufführung klingen wird. Für Nietzsche war es viel blaue Musik, für Thomas Mann eine blausilberne Musik, für Baudelaire das mit keinem Wörterbuch Übersetzbare.

Andreas Homokis Lesart des Lohengrin setzt in seiner Inszenierung auf eine ganz andere Dimension des Spiels als viele Interpretationen vor ihm. Er nimmt Wagner beim Wort. Wagners selbstverfasstes Libretto, ein Mosaik aus Märchen, Teilen von Wolfram von Eschenbachs Erzählung und eigener Phantasie mit einem ausgeprägten Sinn für musikalisch-dramaturgische Effekte zusammengefügt, ist von der Überzeugung getragen, dass eine bessere, eine ganz andere Welt möglich sein muss.

„Es gibt ein Glück.“ Wagner beharrt darauf, Elsa erhofft es – „Es gibt ein Glück, das ohne Reu‘.“ – der Vorhang behauptet es. In impressionistischer Farbenpracht erinnern zwei in Rot stilisierte, auf den Vorhang gemalte Herzen an diese Hoffnung. Lohengrin kommt als Bote aus einer anderen, einer idealen Welt des Grals in die reale Alltagswelt von Brabant.

Homoki ist von einem anderen Lohengrin selbstbewusst überzeugt. Das mag angesichts vieler Inszenierungen, inklusive ihren nationalistischen Vereinnahmungen im 20. Jahrhundert arrogant und überheblich erscheinen. Allein seine Sichtweise gibt der Inszenierung eine assoziationsreiche Tiefe und großartige Überzeugungskraft. Er befreit Lohengrin aus dem Dunst eines temporären Aufbruchsgeistes um 1848 mit seinen nationalistischen Untertönen – dem historischen Kontext geschuldet, ideologisch vielfach missbraucht – und bringt seine andere Überzeugung zur Geltung. Wie Wagner überzeugt ist, dass die Welt zwar ist, wie sie ist, aber nicht so bleiben muss, so versteht Homoki Lohengrin als den Anderen. Nur wer ohne Zweifel glaubt, kann Liebe als etwas Höheres erfahren, jenseits dessen, was der Menschenverstand begreifen kann.

„Wagner lässt also die Geschichte von Lohengrin und Elsa vor einem politischen Hintergrund spielen, der einen ganz unmittelbaren Bezug zu seiner Zeit hat. Es ist bemerkenswert, dass die Fragen auch heute höchst aktuell sind“, sagt Homoki.

Der Regisseur befragt die Utopie einer idealen Welt nach ihren realen Verwirklichungsmöglichkeiten. In der höheren Rittersphäre einer unendlichen Gegenwelt gibt es keine Liebe und somit kein Glück. Lohengrin verkörpert die risikoreiche Inkarnation nach Glück und Liebe in einer endlichen Welt. Das Frageverbot „Nie sollst Du mich befragen“ versteht Homoki als „Systemfehler“, einen Versuch, „den Traum Wahrheit werden zu lassen“. Aber wer ist ohne Zweifel, allein glaubend anderen fraglos zu vertrauen?

Um die Lohengrin-Geschichte mit ihrem unbedingten Glauben an das Heilige eine größtmögliche Akzeptanz zu geben, lässt der Intendant den Lohengrin im Gasthaus eines alpenländischen Bergbauerndorfes spielen. Glaube und Heiligenverehrung haben auch heute noch dort ihren religiösen und kulturellen Stellenwert.

Wolfgang Gussmann hat auf einen vom Bühnengrund abgehobenen Gastraum gebaut, der als Guckkasten Nähe und Distanz zugleich schafft. Holzbänke und Tische, umgeben von nüchternen graubraunen Wänden. Als einziger Schmuck hängt die Kopie des Vorhangbildes an der Stirnwand. Am Ende wird Ortrud es beschädigt haben: Es gibt kein Glück.

Etwas unbedingt anders zu machen, hat auch seine Tücken. Dem ätherischen Überzeugungsklang des Vorspiels allein traut Homoki offenbar dann doch nicht. Er bebildert ihn mit Spielszenen. Dazu wird das projizierte „Es gibt ein Glück“ aus- und nach Bühnenumbau wieder eingeblendet. Das ist mit störenden Geräuschen verbunden; verstärkt durch derbe Bergbauernschuhe. Die viel beschworene Musik aus einer anderen Welt ist dadurch nur bruchstückhaft zu hören.

Das kann allerdings der glänzend aufgelegten Philharmonia Zürich unter Simone Young nicht angelastet werden. Young ist neben dem umjubelten Solisten sowie dem von Jürg Hämmerli hervorragend disponierten, spielenden und singenden Chor der Oper Zürich – verstärkt durch, schweizerisch liebevoll formuliert,  Chorzuzüger – der heimliche Star des Abends. Vor Beginn des zweiten Aktes flutet ihr schon begeisterter Applaus entgegen. Der brandet zu Beginn des dritten Aktes so anhaltend auf, dass er sogar die Auftakte für einen Moment zudeckt.

Young zaubert mit der Philharmonia Zürich Klänge von suggestiver Kraft. Es ist, als wolle sie mit der emotionalen Kraft der Wagnerschen Musik das Unmögliche einer zur Wirklichkeit werdenden Utopie herbei beschwören. Zeitweise ist etwas von der überirdischen Klangfülle zu spüren, die den Opern Wagners nachgesagt wird. Auf dem Seitenrang platzierte Trompeten verstärken nicht nur den Raumklang. Sie schichten Tonkaskaden auf, in denen das Lohengrin-Motiv im Forte expressiv mahnt und es dann wieder in einem lyrischen Piano erinnert.

Ist es Young im ersten Akt mit seinem weltlichen C-Dur-Auftakt wichtig, nüchtern sachlich die Vorgeschichte zu erzählen, malt sie nach dem Erscheinen von Lohengrin mit dirigistischem Verve die Kontraste. Die hell leuchtende Verheißungs-Welt des Grals und die dunkle, intrigante Ortrud-Welt. Sie belässt dem märchenhaft Heiligen des Schwans das Geheimnisvolle. Es bleibt selbstreferentiell nicht erklärbar.

Die Rachepläne von Ortrud und Telramund zu Beginn des zweiten Aktes entwickeln sich zu einem fulminanten Kammerspiel des Bösen. Inszenierung, Dirigat und Solisten schaffen hier eine intensive und spannungsvolle Dichte. Petra Lang als Ortrud und Martin Gantner als Friedrich von Telramundsingen nicht nur mit variabler Ausdruckskraft. Sie sind ebenso furios agierende Schauspieler, wie sie Sänger der Extraklasse sind. 

Petra Lang, inzwischen weltweit als Wagner-Sängerin präsent, merkt man an, dass ihre Sopran-Stimme auf einen lyrischen Mezzosopran aufbaut. Ihre Ortrud ist nicht nur eine hinterhältige, böse Intrigantin. Lang singt das Gemeine der Ortrud mit einem brachialen, hinterlistig kontrollierten Sopran von beängstigender Unmittelbarkeit. Sie treibt Telramund vor sich her. Zusammen mit Gantners ausdrucksstarkem, baritonalem Changieren zwischen kämpferischer Attitüde und ängstlicher Verzagtheit hat die Inszenierung zweifellos einen sängerischen und schauspielerischen Höhepunkt.

Ortrud  und Telramund  sind Homokis Protagonisten für das Festhalten am Alten, der Verweigerung eines anderen Neuen. Selbst Telramunds Tod bietet keine Gewähr für einen Wechsel. Am Ende klammert sich der wiedergewonnene, erlöste, aber überforderte Gottfried an seiner Schwester Elsa Beine. Er wird mit der Königskrone das Land nicht in eine andere, lichtere Welt tragen können.

Lohengrin und Elsa können in dieser Konstellation nur Hoffnungsträger für eine geborgte Zeit sein. Elza van den Heever ist eine Elsa von Brabant, die mit der Namensgleichheit einer Steilvorlage gerecht werden muss. Das gelingt ihr sängerisch mit Bravour. Ihr Sopran schillert in den Höhen der Hoffnung, wie er sich im Zweifel dramatisch ab- und aufbaut. Tonale Übergänge geraten ihr manchmal allerdings zu abrupt.

Schauspielerisch scheint sie nicht über die Möglichkeiten von Lang zu verfügen. Allerdings ist ihre Elsa in Homokis Inszenierung eine Frau, die rein glaubend und naiv sein will, es aber nicht durchhält. Von daher ist Langs gemeingefährliche Ortrud in einem dramaturgisch gestaltenden Vorteil.

Bei soviel Anderem überrascht es eigentlich nicht, dass die Aufführung an diesem Abend noch aus einem weiteren Grund ganz anders wird. Klaus Florian Vogt hat sich vor einigen Tagen beim Joggen in Bayreuth das linke Knie lädiert. Leicht hinkend – trotzdem besiegt er Telramund im Kampf – klingt sein Tenor überwiegend so, wie ihm viele attestieren. Eine Stimme wie von einem anderen Stern. Geradezu prädestiniert, Homokis andere Lohengrin-Lesart mit seiner Stimme einzulösen. Trotz aller souveränen Brillanz, mit der er den Lohengrin singt, sind einzelne stimmliche Unsauberkeiten nicht zu überhören. Möglich, dass die körperliche Beeinträchtigung einer durchgehenden Konzentration entgegenwirkt. 

Christof Fischesser fällt in der Rolle des Königs, Heinrich der Vogeler, die Aufgabe zu, anfangs Macht zu zelebrieren. Dunkel dröhnt hier sein Bass in scheinbar unangreifbarer, erhabener Souveränität. Später kaschiert er letztlich Heinrichs Ohnmacht vor dem Gral-Raunen in subtiler Zurückhaltung.

Am Ende ist der Jubel für Orchester, Chor und Solisten zu Recht groß. Wer auf feine Unterschiede bei der Lautstärke aus ist und sie zum Maßstab von Begeisterung nimmt, kann heraushören, dass Simone Young dabei mit ganz vorn liegt.

Peter E. Rytz

 

Fotos: Monika Rittershaus