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Fakten zur Aufführung 

ARIADNE AUF NAXOS
(Richard Strauss)
3. März 2015
(Premiere am 16. Dezember 2006)

Opernhaus Zürich


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In der Zürcher Kronenhalle

Beifall, noch ehe der Vorhang im Opernhaus Zürich nach dem Vorspiel zu Ariadne auf Naxos aufgeht. Die Kronenhalle, seit mehr als hundert Jahren Treffpunkt und Bühne von Künstlern, Geschäftsleuten und Voyeuren gleich um die Ecke vom Opernhaus, lädt ein, Platz zu nehmen. Aber in dem Moment ist sie für viele mehr als nur eine Theaterbühne. Sie ist ein Teil von Zürich. Wenn auch nicht für jeden bezahlbar, verkörpert sie Milieu übergreifenden Bürgerstolz. Ariadne, Zerbinetta und Bacchus erweisen ihr mit ihrem Restaurantbesuch die Ehre. Gleichzeitig finden sie hier ihren Platz, zwischen Leiden und Lebenslust auf dem Parkett der Eitelkeiten zu wandeln und sich zu verwandeln.

Claus Guth hat ein Faible für solche liebevoll verpackten Identitätsangebote. Wie schon bei seiner Inszenierung von Tristan und Isolde, wo die Wesendonck-Villa im Zürcher Rietberg-Park diesen vertrauensbildenden Anker bot, funktioniert die Kronenhalle in Ariadne auf Naxos in gleicher Weise. Christian Schmidt hat einen frappierend authentischen Nachbau der Kronenhalle geschaffen, dass man unwillkürlich das Verlangen spürt, sich zu vergewissern, dass dort noch alles an seinem Platz ist. Bei einem Besuch flüstert ein Kellner verschmitzt, dass alles in der Oper richtig kopiert ist. Aber die Originale der Bilder an den Wänden hätten nur sie.

Der eigentlichen Oper geht ein Vorspiel voraus. Mit ihm haben Richard Strauss und sein langjährig bewährter Librettist Hugo von Hoffmansthal einen Kontrapunkt gesetzt. Mit Beginn des 20.Jahrhunderts schien ihnen, dass die bis  dahin allgemeingültigen Opernformate sowie viele künstlerische Ausdrucksformen neu justiert werden sollten. Sie suchten in einem über Jahre andauernden Arbeitsprozess eine neue Sprache nach Wagner. Einen „Notschrei gegen das Wagnersche Musizieren“ hat Strauss seine Intention einmal bezeichnet. Eine „Menschenoper“ schwebte ihm vor. Nicht die künstlerische Attitüde allein, die sich im Artifiziellen, in manche Sackgasse verlöre, sondern die Lust am Leben mit der Kunst zu verbinden, sollte Orientierung sein.

Strauss und Hoffmansthal schwebte eine Spielform von Theater und Oper, von Text und Musik vor, wo Kunst und Leben, nicht unterschieden zwischen dem Hohen und dem Niedrigem, einen gemeinsam geteilten Platz haben sollten. So ist im Ergebnis Ariadne auf Naxos als „Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel“, in der auch in Zürich gespielten zweiten Fassung von 1916, Ausdruck einer vom Leben mit allen Höhen und Tiefen, mit Leid und Lust überzeugten Haltung. Dass Treue in der Liebe nicht nur nachhaltiges Fundament ist, sondern auch obsolet werden könnte, kann schmerzhaft und gleichzeitig befreiend sein. Rainer Maria Rilke hat das in der Ersten Duineser Elegie als „das verzogene Treusein einer Gewohnheit“ identifiziert. Von den Untiefen eines solchen Treueverständnisses erzählt Ariadne auf Naxos auf verschiedenen Ebenen.

Guth hat für die Zürcher Inszenierung nicht nur den Platzhalter Kronenhalle in seinem Identitätsrepertoire. Mit dem langjährigen Intendanten des Opernhauses Zürich, Alexander Pereira, spricht nicht nur irgendein Haushofmeister für irgendeinen höheren Herrn. Pereira verkörpert in persona Theaterspiel und Theaterpraxis. Größer kann Authentizität kaum sein. Pereira wird zu Recht für seine doppelbödige Sprachkultur mit großem Applaus gedankt.

Dramaturgisch setzt die Inszenierung die kompositorische und librettistische Vorlage kongenial um. Das Vorspiel vor einem faltenreichen Vorhang hat die zeitlose  Struktur, die das Widerstreiten von hoher, heiliger Kunst der Musik und der sogenannten niederen, banausenhaft apostrophierten Unterhaltungsmusik als Ringen um die musikalische Urheberschaft verdeutlicht. Der zweite Teil, die eigentliche Oper, bringt die Mischung von beidem auf den Punkt. Die ferne, wüste Insel im Irgendwo findet im Stadtleben, im Café ihren lebensnahen Platz.

Michelle Breedt, die schon zur Premiere der Komponist war, dominiert im Vorspiel mit einem beschwörend schön artikulierten Mezzosopran. In ihm ist die ganze Bandbreite von kompromissloser Beschwörung der edlen Musikkunst über ihre todessüchtige Verzweiflung zu hören. Eine Verzweiflung an dem, was heute gemeinhin mit Eventisierung in der Kultur bezeichnet wird. Der Komponist ringt um seine künstlerische Souveränität und muss doch, wenn auch nur halbherzig, die ökonomische Realität anerkennen. Künstler zu sein, heißt auch kompromissbereit zu sein. Öffentlichkeit hat ihren Preis, der auszuhandeln ist.

Auf Martin Gantner, der in der Wiederaufnahme an diesem Tag das einzige Mal den Musiklehrer gibt, konnte man besonders gespannt sein. Er singt baritonal temperamentvoll und spielt ebenso überzeugend die Rolle des Vermittlers und des Bewahrers. So lange es geht. Am Ende dankt Ariadne ihm, dass er sie von der Todessehnsucht umlenken konnte.

Dominiert im Vorspiel mit Breedt eine Sängerin mit großer Strahl- und Überzeugungskraft, so nimmt die Oper im zweiten Teil eine Sopran-Tenor-Höhenfahrt auf, die musikalisch höchsten Ansprüchen gerecht wird. Michaela Kaune sinkt erst im Leiden Ariadnes Es gibt ein Reich, wo alles rein ist: Es hat auch einen Namen: Todesreich. dahin und steigert ihren Sopran sukzessiv in einen lyrischen Hoffnungsrausch. Ihr zur Hilfe und Seite sind die Kronenhalle-Serviertöchter-Amazonen Iain Milne, Agnieszka Adamczak und Olivia Vote mit sanfter Sopran-Gewalt.

Immer dann, wenn Ariadne auf der Kippe steht, dem Leben Ade zu sagen, wird die klug choreografierte Statisterie in einen Dornröschenschlaf versetzt. Zusätzlich  kommentiert durch den somnambul über die Bühne schleichenden Komponisten.

Einen geradezu berauschenden Auftritt hat Olga Pudova als Zerbinetta. Doch niemals Launen, immer ein Müssen. Aus dieser philosophisch anmutenden Nachdenklichkeit kommend, überstrahlt ihr kristallklarer Sopran alles Hadern. Ihre Koloraturen sind von einer glockenreinen Klarheit. Ihre Stimme scheint aus einer Sphäre jenseits des zu Begreifenden zu kommen.

Aber damit ist noch nicht Schluss der Stimmgewichtigkeiten an diesem Abend. Roberto Saccà ist Bacchus, Bacchus ist der Tenor Saccà. Strauss hat eine Tenor-Stimme, changierend zwischen zartester Innigkeit und eruptiver Kraft komponiert, die, wenn ein Tenor sie so beherrscht wie Saccà, jedem Tenor Gelegenheit gibt, zu zeigen, was er kann.

Um diesen solistischen Gesangslichtern musikalische Strahlkraft zu geben, steht Fabio Luisi am Pult. Energisch zupackend mit unmissverständlichen Fingerzeig und im nächsten Moment pianissimo zurückgenommen, fordert er nie vergeblich die Philharmonia Zürich zu einfühlsamem Orchesterklang. Immer wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Dirigieren, mitsingend pointierte Einsätze geben, alles verschmilzt zu musikalischem Wohlklang.

Am Ende umarmen sich Ariadne, Bacchus, Musiklehrer und Tanzmeister in der Kronenhalle. Ist es noch die Bühnen-Kronenhalle oder die echte? Opernbesucher und Ensemble sind gemeinsam im Heute angekommen.

Peter E. Rytz

 

Fotos von der Premiere 2006:
Suzanne Schwiertz