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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
5. September 2014
(Premiere)

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus


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In der Dunkelkammer

Das war er also, der Beginn einer neuen Ära der Wuppertaler Bühnen, der hoffentlich keine Signalwirkung auf andere Theater ausüben wird. Mit der Zerschlagung des eigenen Ensembles und dem Rückzug auf todsichere Publikumsrenner will man sich der Finanzmisere entgegenstemmen. Ob die Rechnung aufgehen wird, bleibt abzuwarten. Obwohl Puccinis Tosca zu den top ten des Repertoires gehört, läuft der Vorverkauf für alle Aufführungen schleppend. Sollte man die Identifikation des Publikums mit „seinem“ Theater, zu dem letztlich ein Ensemble und eine profilierte Spielplangestaltung gehören, etwa unterschätzt haben?

Betrachtet man die erste Produktion mit ihrer zusammengewürfelten Besetzung isoliert, unterscheidet sie sich in ihren Stärken und Schwächen nicht von anderen Stadttheater-Produktionen. Licht und Schatten halten sich die Waage, wobei man mit der Verpflichtung des italienischen Regisseurs Stefano Poda, der in Personalunion zugleich auch Bühne, Kostüme und Licht gestaltet, auf einen spektakulären Coup gehofft hat. Poda, Jahrgang 1973, hat es in Europa und Amerika zu einiger Bekanntheit gebracht, gab in Deutschland jedoch erst im letzten Jahr mit einem Don Carlo in Erfurt sein Debüt. Die Tosca hat er bereits 2012 in Klagenfurt inszeniert, was im Vorfeld Befürchtungen auslöste, man müsse sich mit einer Kopie abspeisen lassen. Die Bühnenbilder sind in der Tat kaum zu unterscheiden, doch darf man dem Regisseur glauben, dass er sein Konzept „weiterentwickelt“ habe.

Die Bühnenbilder gehören immerhin zu den beeindruckendsten Stärken der Produktion. Schwarze, große Räume öffnen sich, Grabkammern sind an den Seiten eingelassen, das Zentrum des ersten Akts in der Kirche St. Andrea della Valle beherrscht ein gewaltiges umgestürztes Kreuz, im Finalakt senkt sich ein ganzer Wald ineinander verkeilter Schwerter wie eine Dornenkrone bedrohlich über die Akteure. Und am Schluss lässt Tosca die Mauern der imaginären Engelsburg krachend auf die Schergen Scarpias einstürzen. In grellem Schein geht sie wie eine Lichtgestalt einer ungewissen Zukunft entgegen. Egal ob Nahtod-Erlebnis oder triumphierender Heroismus: Das ist ganz großes Kino.

Sonst bewegt sich die Aufführung eher in schemenhaft verzerrten Schattenreichen. Schwarz dominiert die Szene inklusive der wie Gesellen Draculas in schwarze lange Mäntel gehüllten Bluthunde Scarpias. Die in vermoderten Prachtgewändern wandelnden Priester zelebrieren eine Art Totentanz aus längst vergangenen Zeiten. All das wird durch viel Nebel und schwarze Gaze-Vorhänge noch zusätzlich verschleiert.

Eine eindrucksvolle Bilderschau, die allerdings auch eine latente Kühle ausstrahlt, die Poda mit seiner pauschalen Personenführung nicht mildern kann. Die Figuren profiliert Poda erstaunlich schematisch. Scarpia poltert, strahlt aber kaum die bigotte Intelligenz aus, die seine Gefährlichkeit begründet. Tosca erscheint als herrische, von Eifersucht zerfressene Frau, die ihren Cavaradossi nach Strich und Faden demütigt. Der lässt alles über sich ergehen, und man wundert sich über den Mut, mit dem er später Scarpia gegenübertritt. Dass Tosca ihr Leben gemäß ihrer Arie nur der Kunst, der Liebe und der Kirche geweiht habe, nimmt man ihr in diesem Umfeld auch nicht ohne weiteres ab. Und die Liebe Toscas zu ihrem Cavaradossi glüht erheblich schwächer als ihre Eifersucht. Keine glückliche Konstellation.

So oberflächlich Poda die Protagonisten charakterisiert, so einfallsreich und fast liebevoll widmet er sich den Randfiguren, etwa den schwulen Fieslingen im Umkreis Scarpias oder dem unschuldigen Hirtenknaben. Zu kurz kommen dagegen die glühende Leidenschaft und die menschliche Wärme in der Beziehung des Liebespaares.

So ruppig die Figuren miteinander umgehen, so sehr verzichtet Poda auf brutale Drastik. Blut fließt ganz wenig. Und Toshiyuki Kamioka, seit dieser Saison nicht nur Musikchef, sondern auch Intendant der Wuppertaler Oper, geht noch einen Schritt weiter und packt die Partitur geradezu mit den Fingerspitzen an. Von seinem Dirigat geht wenig dramatische Schlagkraft aus, dafür umso mehr Sensibilität und Leuchtkraft. Eine zu einseitige Sichtweise, die wesentliche Fassetten unterschlägt.

Erstaunlich, wie unausgeglichen sich die Sängerbesetzung präsentiert, wenn man die Rollen schon ohne Rücksicht auf fest engagierte Ensemblemitglieder zusammenstellen kann. Problemzonen bieten nicht etwa die Titelrolle und ihr tenoraler Kavalier, sondern ausgerechnet zwei Baritone. Dass Mikolaj Zalasinski den Scarpia als eindimensionalen Poltergeist darstellen muss, dafür kann er nichts. Dass seine Stimme jedoch schon in mäßigen Höhen regelrecht zerbröselt, dass ihm keine einzige bruchlose Gesangslinie gelingt, das drückt das vokale Niveau der Aufführung beträchtlich. Und Greg Ryerson als Angelotti spottet jeder Beschreibung.

Besser, viel besser ist es um das Liebespaar bestellt. Mirjam Tola bringt mehr als genug Bühnenpräsenz und stimmliche Stabilität für die Titelrolle mit. Durch die kühle Gestaltung der Rolle kommen freilich ihre lyrischen Qualitäten nicht voll zur Geltung und das zahme Dirigat Kamiokas verhindert die letzten Höhenflüge in den Liebesduetten. Grandios präsentiert sich, zumindest stimmlich, Mikhail Agafonov als Cavaradossi mit ebenso metallischer wie angenehmer Strahlkraft. Ein Sänger, der der schwierigen Partie vom ersten bis zum letzten Ton nichts schuldig bleibt.

Buh-Rufe, für wen auch immer, bleiben am Premierenabend aus. Das Publikum reagiert freundlich bis begeistert, einige übereifrige Gratulanten applaudieren sogar mit demonstrativer Begeisterung an den falschen Stellen. Jubel, der über die schweren Zeiten, die der Wuppertaler Oper mit ihrer neuen Struktur bevorstehen, nur mühsam hinwegtäuschen kann.

Pedro Obiera

Fotos: Wuppertaler Bühnen