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Fakten zur Aufführung 

DER TORERO
ODER LIEBE IM AKKORD

(Adolphe Adam)
11. Mai 2014
(Premiere am 19. Januar 2014)

Wuppertaler Bühnen


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Ambitioniert und agil

Wo erleben Sie Oper in einem Ambiente von Produktion und Logistik, wo links und rechts der Bühne Schreibtisch an Schreibtisch klebt, Werkbänke klumpen und sich Magazine voller Elektronik die Wände hochziehen? Etwa bei Spielstätten der Ruhrtriennale in Duisburg oder Bochum? Falsch. Wo eilen Sänger, bunt kostümiert aus Wasch- und Besprechungsräumen in der Ebene über dem Publikum steile Stahltreppen hinab, um sich flugs in die Andeutung eines mediterranen Geschehens zu stürzen? Vielleicht bei einer Produktion der Komischen Oper Berlin, in Szene gesetzt von Barrie Kosky? Ganz falsch. Und wo fungiert, hinter der letzten Stuhlreihe, ein veritabler Formel-Eins-Rennwagen, gefühlt 30 Jahre alt, als Eyecatcher? In der Opéra de Monte-Carlo, meinen Sie? Voll daneben. Oper als Arrangement des Ungewöhnlichen schlechthin ist wohl nur in Wuppertal ein Thema. Beispielsweise dann, wenn sie in einem Unternehmen gastiert, das sich auf die Entwicklung und den Vertrieb von Netzwerken für Medien und Events spezialisiert hat.

Paart sich zudem wie in Wuppertal das Unkonventionelle des Orts mit dem Vergnüglichen einer Opéra comique von Adolphe Adam, dem Spezialisten des Leichten, ist der Bruch der traditionellen Aufführungspraxis ebenso perfekt wie das Erlebnis der Köstlichkeit garantiert. Und vielleicht auch das Marketingkalkül aufgegangen. Wie vergnüglich, kurzweilig und unterhaltsam, mag sich der Zufallsbesucher denken, kann sie doch sein, die große alte Dame Oper, die vermeintlich so strapaziöse Kunst mit ihrer über vier Jahrhunderte alten Geschichte und dem polarisierenden Image!

Der Torero oder Liebe im Akkord , 1849 in Paris uraufgeführt, ist die dritte und wohl vorerst letzte Produktion in der Reihe Oper in der Stadt der Wuppertaler Bühnen. Sie ist ein belebendes Element der unter kulturpolitischen Misstönen ausklingenden Ära des Intendanten Johannes Weigand. Die Kunst lässt sich ein auf den Alltag der Menschen und verlässt sich einmal nicht auf das angestammte Publikum, das ohnehin den Weg zu ihr findet, gerade auch in den zahlreichen deutschen Musiktheatern zwischen Flensburg und Freiburg. Ausgewählt hierfür in der aktuellen Spielzeit hat Weigand ein deliziöses Werk aus der Buffosparte, das – keine Überraschung – erstmals in Wuppertal zu erleben ist. Auf welcher deutschen Bühne, bliebe rhetorisch zu fragen, wäre der Zweiakter auf ein Libretto von Thomas Marie François Sauvage, vor zwei Jahren einmal am Theater Luzern auf dem Spielplan, wohl nicht ein Erstling?

Die einmal mehr in der Opernstadt schlechthin, Sevilla, hier allerdings in Barcelona angesiedelte Story erinnert an Donizettis Don Pasquale. Hier wie dort bringt ein junges Temperament einen alten Zausel aus dem gewohnten Trott und in allerlei erotische Wallungen. Hier wie dort ist dieser am Schluss nur allzu froh, den Status quo retten und in das gewohnte Fahrwasser des Lebens zurückrudern zu können. Während bei Donizetti der alte Hagestolz aus der Tändelei mit Norina lediglich mit Vermögensschäden davonkommt, ist bei Adam der Preis für Don Belflor, Stierkämpfer a.D. und Schürzenjäger, um einiges ärger. Am Ende einer kurzen Episode mit der Tänzerin Caritéa, die nicht in Erscheinung tritt, zumal sie eh nicht singen würde, akzeptiert er die dauerhafte Beziehung seiner jungen Frau Coraline zu ihrem früheren Geliebten Tracolin. Dieser, dankenswerterweise Flötist und somit eine Bereicherung des musikalischen Apparats, hat die Intrige eingefädelt, um so seinen eigenen komfortablen Platz im gemachten Bett der Coraline zu sichern.

Keine 90 Minuten brauchen Sauvage und Adam, um ihre Miniatur-Oper und ihre schwungvoll agierenden Protagonisten zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Eine für Regisseur Björn Reinke im Team mit der Ausstatterin Monika Frenz angesichts des ambulanten Konzepts von Oper in der Stadt willkommene Steilvorlage. Minimales Bühnenbild, einige wenige Requisiten, knallbunte Kostüme und Theaterfiguren, die sich im Stil der Commedia dell’arte bewegen – und schon ist ein Nichts an Oper fertig, das sich mühelos von Ort zu Ort verschieben und transportieren lässt. Die bei dem privatwirtschaftlichen Unternehmen besuchte Aufführung begnügt sich mit einem knallgrünen Wohncontainer, auf dem und in dem die Akteure turteln und sich balgen, allein oder im Ensemble ihre Arien und sonstigen Vokalisen hervorbringen und dabei nicht selten Akrobatisches leisten. Die winzige Spielfläche wird rundum gesäumt von den Musikern des Sinfonieorchesters Wuppertal, die in durchaus respektabler Zahl den Weg zum Ortsteil Uellendahl gefunden haben.

Ein Nichts an Oper? Das vielleicht dann doch nicht, wenn es um die Leistung des Sängertrios geht. In erster Linie brilliert Elena Fink als einst gefeierter Sängerstar Coraline, die es nicht nur faustdick hinter den Ohren, sondern nicht weniger vehement auf den Stimmbändern hat. Ihre vokale Präsenz, Assoziationen an Susanna oder auch Zerbinetta hervorrufend, ist enorm. Ihre Koloraturen sind vom Feinsten und spinnen reizvolle Quasi-Girlanden um den schlichten Wohnkiosk. Dariusz Machej als Don Belflor füllt mit seinem sonoren Bass den ganzen Raum, als sänge er in der Stierkampfarena, dem Schauplatz seines alten Metiers. Nathan Northrup als Tracolin kommt mit seinem spielerisch-gefälligen Tenor nicht nur bei seiner Auserwählten an, sondern auch beim Publikum, das am Ende alle drei ausgiebig feiert. Wie selbstredend nicht zuletzt die Musiker unter Leitung von Tobias Deutschmann. Zehn Musiknummern mit gesprochenen Dialogen, ferner zwei prachtvolle Terzette und jeweils ein spritziges Finale am Ende der beiden Akte umfasst die Partitur. Deutschmann versteht es vorzüglich, das französische Kolorit und den Charme der Adamschen Kompositionskunst auferstehen und sich erfüllen zu lassen. Diese Kunst hat dabei nicht allein in toto Witz und Raffinesse. Speziell das Terzett im zweiten Akt mit Anspielungen auf und Variationen von Mozarts Ah! vous dirai-je, maman verbindet Virtuosität mit der Anstiftung zu guter Laune.

Das Publikum reagiert unter dem Strich äußerst angetan. Einige Besucher führen immer noch Diskussionen, als die Musiker ihre Instrumente schon verpackt haben. Manche bleiben an dem Formel-eins-Oldtimer stehen. Ein wenig von der Formel eins in der Oper haben auch sie erlebt. Oper, in Wuppertal bedroht und umkämpft, lebt – und das nicht nur als Vergnügen der Etablierten in Plüsch, Stuck und Seide oder der kalten Architektur so mancher Musiktheater der 1960-er Jahre. Oper findet Wege zu Menschen, wenn man sie bei den in der Kommune Verantwortlichen in Ruhe und … machen lässt. Stadttheater in der Stadt und mit ihr, wo sonst! Mehr davon.

Ralf Siepmann

 





Fotos: Uwe Stratmann