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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
13. März 2015
(Premiere)

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus


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Skandal im Vereinsheim

Die Zeiten, in denen Wagners Parsifal so andächtig wie eine Eucharistiefeier zelebriert wurde und Dirigenten wie Hans Knappertsbusch darauf bestanden, dass sich am Ende die Taube des heiligen Geistes sichtbar auf den Gral senkt, sind vorbei. Ein wenig kann man sich freilich nach den wunderbar inspirierten Parsifal-Dirigaten des alten „Kna“ zurücksehnen, wenn jetzt Toshiyuki Kamioka den gewaltigen ersten Akt ohne jede spirituelle Energie und klangliche Sensibilität durchhetzt. Mit gut 95 Minuten nähert er sich dem Bayreuther Sprintrekord von Hans Zender aus dem Jahr 1975. Zum Vergleich: Toscanini und James Levine brauchten mehr als zwei Stunden für den Mammutakt. Dabei schwenkten auch die beiden nicht mit dem Weihrauchkessel, nahmen sich aber Zeit für geistig-geistliche Dimensionen, die die Wuppertaler Crew einschließlich des Regie-Teams offenbar radikal säkularisiert, wenn nicht gar eliminiert wissen möchte.

Ein Unterfangen, das – in unheilvoller Allianz mit dem gebotenen, allenfalls durchschnittlichen gesanglichen Niveau – mächtig danebengeht und das Werk auf das Format einer Provinzposse reduziert. Damit verfehlt Intendant und Musikchef Kamioka die selbstgesteckten Ansprüche meilenweit, die von ihm mitverantwortete Zerschlagung des Wuppertaler Ensembles durch erstklassige Produktionen im Stagione-Betrieb auffangen zu können. Dass er das schlingernde Opernschiff im nächsten Jahr auch noch vorzeitig verlässt, verschärft die Krise zusätzlich. Darüber können 140 Bewerber auf seine Nachfolge nur vordergründig hinwegtrösten. Bis jetzt kommt das neue System beim Publikum nicht an. Selbst der Besuch der leidlich geglückten Tosca blieb hinter den Erwartungen zurück. Und auch bei der Parsifal-Premiere bleiben etliche Plätze leer. Und das bei ganzen fünf Aufführungen für eine derart aufwändige Produktion. Kamiokas Klagen über die finanziellen Engpässe sind berechtigt. Aber sind sie angesichts dieser Programmpolitik und seiner Reaktionen auch glaubwürdig?

Sein lieblos dirigierter Parsifal eignet sich nicht zum Bekenntnis für das gebeutelte Opernhaus. Die Akte 2 und 3 wirken zwar konzentrierter, aber die gesanglichen Schwächen werden nicht besser. Thorsten Grümbel erweist sich für den Gurnemanz mit seinem hellen, erstaunlich unsicher, ohne füllige Tiefe und Gestaltungskraft geführten Bass als Fehlbesetzung. Thomas Gazheli setzt als Amfortas seinen Bariton so ungeschliffen und rau ein, als sollte er die Partie, unterstützt von der unglücklichen Personenführung, an den Rand der Parodie rücken. Damit verliert der erste Akt seine vokale Grundsubstanz.

Da auch Andreas Daum und Martin Blasius ihre Aufgaben als Amfortas und Titurel allenfalls unauffällig verrichten, kann man sich glücklich schätzen, dass wenigstens zwei Hauptrollen, die des Parsifal und der Kundry, überzeugend besetzt sind. Das betrifft Tilmann Unger in der Titelpartie mit seinem jugendlich frischen, gesund ansprechenden Tenor und vor allem Kathrin Göring als Kundry mit ihrem samtweichen, in keinem Takt hysterisch ausbrechenden Mezzo und einer sinnlichen Ausstrahlung, gegen die Parsifal im zweiten Akt schon ein starkes Stück an Widerstandskraft aufbringen muss. Das große Duett im zweiten Akt bildete damit den musikalischen Höhepunkt des Abends. Hier fühlt sich auch Regisseur Thilo Reinhardt spürbar wohl. Parsifals von Kundry ausgelöste Erinnerungen an seine Kindheit und die damit verbundenen psychischen Irritationen werden glänzend herausgearbeitet. In der Enge einer kalkweißen Kammer sieht sich Parsifal nicht nur der umwerfend aufreizend gekleideten Kundry – für die Kostüme zeichnet Katharina Gault verantwortlich – ausgeliefert, sondern auch zwei Allegorien seiner schwangeren und seiner verwitweten Mutter. Die Witwe entpuppt sich als kostümierter Klingsor, der durch Parsifals Erkenntnisprozess gewaltlos entmachtet wird. Die einzige wirklich überzeugende Szene, in der Reinhardt an seinen Erfolg mit Korngolds Toter Stadt in Gelsenkirchen vor fünf Jahren anknüpfen kann. Psychodramen sind halt seine Stärke. Doch damit kann Wagner mit seinem Parsifal nur bedingt dienen.

Reinhardt nimmt zwar wahr, dass Wagner das „Mitleid“ ins Zentrum seiner Religion gerückt wissen will anstatt den Menschen, wie die katholische Kirche zumindest zu Wagners Zeit, vor allem als „Sünder“ zu begreifen und ihn mit Buße und Gewissensbissen zu plagen. Wie hartherzig die Menschen mit Sündern wie Amfortas umgehen, das zeigt Reinhardt in plakativer Drastik, aber auch provinzieller Beschränktheit auf der Bühne von Harald Thor. Die Gralsritter erweisen sich als Mitglieder einer elitären, allem Anschein nach studentischen Verbindung, die sich in einer schmucklosen Turnhalle zu blutigen, spätpubertären und natürlich mitleidlosen Intitiationsspielchen treffen. Dazu gehört, dass Amfortas, angetrieben vom sadistischen Seniorchef Titurel, gekreuzigt und mit Lanzen gespickt wird. Das reichlich fließende Blut nährt zwar die soziale Überheblichkeit der Wohlstands-Bubis, nicht aber deren IQ. Die Rolle Kundrys bleibt dabei ebenso schemenhaft wie die Klingsors, der, in einem Spind eingesperrt, im zweiten Akt von Kundry befreit wird. Dass Titurel im dritten Akt im mittlerweile auf rätselhafte Weise völlig verwüsteten Vereinsheim seinem eigenen Sarg munter voranschreitet, gehört zu den weiteren Ungereimtheiten der Inszenierung.

Ein solcher Ansatz führt zu einer Verbiegung des Stücks zu einer Provinzposse im Elite-Club, wenn Wagners Gegenentwurf völlig negiert wird. Denn mit seinen Visionen einer durch „Mitleid“ erlösbaren Welt, die er in 1000 schillernde und wundersame Klänge von unwiderstehlicher Magie taucht, kann Reinhardt ebenso wenig anfangen wie der Dirigent. Das Ende verliert sich in verwirrender Willkür. Eine Erlösung findet nicht statt. Niemand stirbt. Die Menschen sehen rat- und hilflos ins Publikum. Was nun? Ohne Sinn für die Utopien Wagners bleibt es bei einer Farce.

Das Premieren-Publikum reagiert freundlich auf die musikalischen Akteure, gespalten auf das szenische Team. Auch der Chor wird mit Beifall bedacht, der sein Bestes tut, aber aufgrund seiner beschränkten Größe die mehrchörigen Effekte im Schlussakt nur andeuten kann. Das ist aber immer noch mehr, als Rheinhardt und Kamioka insgesamt zu bieten haben.

Pedro Obiera

 

Fotos: Uwe Stratmann