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Fakten zur Aufführung 

MÄNNER GESUCHT!
(Daniel Ris)
10. Oktober 2014
(Premiere am 25. Oktober 2013)

Kontakthof, Wuppertal


Points of Honor                      

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Die Schauspieler gewinnen

Warum ein schwachsinniges Stück wie Männer gesucht von Daniel Ris auf den Kleinbühnen in ganz Deutschland aufgeführt wird, erschließt sich nicht ganz. Schließlich sind auf diesen oft sehr engagierten Bühnen keine Idioten oder Möchtegerns unterwegs, sondern durchaus ernsthafte Schauspielerinnen und Sänger, die ihr Publikum unterhalten wollen. Beim Lesen des Buchs klingt es ja für die „Macher“ möglicherweise zunächst einmal reizvoll: Carola Schultze-Wertheim präsentiert ihren Fit-for-love-Premiumschnupperkurs und das dazugehörige Buch, das während der Aufführung nicht nur mehrfach angepriesen, sondern auch stetig teurer wird. Geschlechterkrieg kommt immer gut. Ihr Assistent – und Ehemann – Rüdiger betreut die drei weiblichen Singles, die auf die Bühne geholt werden: Petra, der robuste Typ, Melanie, die Verklemmte, und Franziska, der Vamp. Sie haben verschiedene Übungen zu absolvieren. Und am Ende steht, welche Überraschung, nachdem Franziska Rüdiger anbaggert und Carola in Eifersucht versinkt, das Happy-End, an dem die Singles keine Singles bleiben, sondern jeder auf seine Weise sein Glück findet. Um das Ganze aufzuhübschen, werden deutsche Cover-Versionen und deutsch-englische Mischmasch-Liedchen eingebaut. Da ersäuft die Bühne in Klischees, werden den Zuschauern überflüssigerweise Zoten und längst bekannte Männer- oder Frauenwitze um die Ohren gehauen. In der Umsetzung allerdings wird es schwierig. Was da an Oberflächlichkeit geboten wird, ist kaum aufzupeppen. Über kurz oder lang wird sich das Publikum solchen Blödsinn nicht mehr bieten lassen.

Es sei denn, man wählt einen ganz anderen Zugang zum Inhalt und sieht es nicht als Theaterstück, sondern als eine bunte Revue, und hat Schauspieler oder Sänger auf der Bühne, die so gut spielen, dass sie die Trivialität mit ihrer Kunst besiegen. Kristof Stößel heißt der kongeniale Glückspilz, dem das gelingt. Er unterhält eine eigene Produktionsfirma in Wuppertal, die unter anderem den Kontakthof bespielt, eine Mischung aus Club, Bühne und Café in einer Seitenstraße des Ortsteils Katernberg. In angenehmer Atmosphäre finden dort um die fünfzig Zuschauer vor einem Podest Platz, der die Bühne darstellt. Ein vergleichsweises junges Unternehmen, das das Zeug hat, sich zu einem hot spot in der Wuppertaler Theaterszene zu entwickeln. Die Bühne ist auf das Notwendigste beschränkt. Drei Barhocker, ein Drehsessel und ein paar Mikrofone reichen aus. Stößel verantwortet neben der Regie die zeitgenössischen Kostüme, spielt auch gleich selbst mit.

Damit wird er zum Teil des Erfolgsgeheimnisses. Die Show beginnt schleppend als Seminar für Singles, und man fühlt sich ein wenig wie bei Ohnsorg in spärlichen Zeiten. Anspieltheater ist ohnehin überholt. Laute Konservenmusik dringt aus den Lautsprechern. Erst allmählich gewinnen die Schauspieler das Publikum für sich. An vorderster Stelle Stößel selbst als Petra, die aus dem Zuschauerraum auf die Bühne stößt, gegen alle Widerstände von Carola. Petra gewinnt, ohne tuntig zu sein, und das ist vermutlich sein Geheimnis, im Handumdrehen die Herzen des Publikums. Die undankbare, weil aufdringliche Rolle der Carola entwickelt Angela Fischer mit großartiger Intonation und wiegenden Tanzschritten in der Choreografie von Annika Päs zur überzeugenden Persönlichkeit. Andreas Strigl steht nicht nur ihr als Assistent Rüdiger zur Seite, sondern zeigt sich auch den Reizen der übrigen Damen auf der Bühne nicht abgeneigt. Er vermeidet den Slapstick und gewinnt. Großartig präsentiert sich Melanie Spielmann als verklemmter Öko-Single. Ihr Spiel ist nuancenreich und so professionell, dass man sich fragt, wie sie noch die Zeit findet, bei solch eher kleinen Produktionen aufzutreten.

Vor der Aufführung steht eine junge Frau neben den Stühlen des Zuschauerraums im „Foyer“ herum. Garantiert fair gehandelte Bekleidung, ein bisschen Öko-Look, darüber eine Handtasche quer über die Brust gehängt. Ihre blaugraugrünen Augen von einer modernen Brille bedeckt. Als die Vorstellung beginnt, setzt sie sich auf den ungünstigsten Platz rechts außen. Ihr Sitznachbar, der diesen Stuhl für sich selbst als unzumutbar befand, weist sie auf eine bessere Sitzmöglichkeit am anderen Rand hin. Sie bedankt sich höflich und betont, dass der Platz ausreichend sei. Wehrt sich so gegen ihre Berufung als Kandidatin auf der Bühne, dass der Sitznachbar ihr fast noch beigesprungen wäre, um sie vor dieser Peinlichkeit zu bewahren. Erst, als sie auf der Bühne zum Mikrofon greift, ist auch ihrem Sitznachbarn klar, dass jeder Schauspieldirektor entlassen gehört, der in Spielmann mit ihrem Mezzosopran nicht das Potenzial für größere Rollen entdeckt.

Safak Pedük gibt die verruchte Franziska zum Verlieben. Da wird die Eifersucht Carolas sofort verständlich. Mit ihrer verjazzten Stimme ergänzt sie die Kollegen auf hervorragende Weise. Pedük beeindruckt nicht nur durch ihre Ausstrahlung, sondern auch mit tänzerischer Ausdruckskraft und Spielfreude.

Ursprünglich ist die Revue mit Live-Musik vorgesehen. Erst am Nachmittag haben die Akteure erfahren, dass Wolfgang Eichler als musikalischer Leiter krankheitsbedingt nicht verfügbar ist. In der Not greifen sie auf die Konserve zurück. Aber bei der Regie-Idee Stößels steht nicht die Perfektion im Vordergrund, sondern das Publikum mitzunehmen, zu ergreifen. Und deshalb funktioniert es auch mit der Musik „vom Band“. Trotzdem ist die Frage zu stellen, warum nicht auch in einem solchen Rahmen ernsthaftere Werke funktionieren. Mit einem solchen Pfund an Darstellern muss Größeres machbar sein. Wenn man sich nur traut.

Das Publikum ist begeistert, johlt und applaudiert nach Kräften, was im kleinen Kreis immer nur unvollkommen gelingt. Der Kritiker aber tritt mit dem Gefühl den Heimweg an, hier einen echten Geheimtipp entdeckt zu haben. Auch wenn die Reise nach Wuppertal immer beschwerlicher wird, weil die Stadt mehr und mehr Straßen für Bauarbeiten sperrt.

Michael S. Zerban

Fotos: Andrea Fischer