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Fakten zur Aufführung 

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)
16. Oktober 2015
(Premiere)

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus


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Tod mit dem Schlachtermesser

Angesichts der starken Konkurrenz aus Essen und Hagen hat die Madama Butterfly am Wuppertaler Opernhaus einen schweren Stand. Wenn die insgesamt brave und wenig profilierte Produktion Aufmerksamkeit verdient, dann ist das allein der feinen Gestaltung der Titelpartie durch die koreanische Sopranistin Hye-Won Nam und dem Procedere um die Nachfolge von Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka zu verdanken. Magere fünf Aufführungen sind für die nächsten Wochen angesetzt, jede davon allerdings mit einem Kandidaten für die heikle Position. Dafür bedarf es einer Persönlichkeit, die nicht nur dirigieren, sondern das Haus aus dem Schlingerkurs in die unbedeutende Provinzialität führen kann. Schließlich setzte die Wuppertaler Oper jahrzehntelang Maßstäbe, was innovative Programmgestaltung und kluge Ensemblepflege angeht.

Die neue Butterfly bekräftigt den Eindruck einer Politik, die meint, mit populären Stücken in biederem Gewand beim Publikum punkten zu können. Irritierend, wie begeistert das Premieren-Publikum Dominik Neuners profillose Inszenierung hingenommen hat. Stehende Ovationen für Maestro Ulrich Windfuhr, der als GMD-Kandidat maßgeblich die musikalische Einstudierung der Eröffnungs-Premiere besorgt hat, zeigen, dass der ehemalige Kieler GMD bei den Wuppertalern ein Stein im Brett hat. Dass er über eine reiche Erfahrung auf dem Konzertpodium und im Orchestergraben verfügt und sich als musikalischer Leiter der Eutiner Festspiele auch administrative Kenntnisse aneignen konnte, sind keine schlechten Voraussetzungen für die schwierige Aufgabe. Und die Premiere dirigiert er in der Tat souverän, pannenfrei, nicht sonderlich sensibel, aber auch nicht uninspiriert. Ein Dirigat mit dramatischer Schlagkraft und manchen lyrischen Lichtblicken. Dass sich beim Wuppertaler Sinfonieorchester ein deutlicher Nachholbedarf an klanglichem Feinschliff angehäuft hat, dass die Balance zwischen Streichern und Bläsern selten stimmt, das stellt den zukünftigen Musikdirektor vor zusätzliche Herausforderungen.

Auf sentimentale Auswüchse verzichtet Windfuhr ebenso wie auch Regisseur und Bühnenbildner Dominik Neuner, den eine langjährige enge künstlerische Partnerschaft mit dem derzeitigen Wuppertaler Generalintendanten und GMD Toshiyuki Kamioka verbindet. Allerdings verzichtet Neuner auch noch auf ein Konzept, mit dem sich die ungebrochen aktuellen Aspekte des Stücks beleuchten könnten. Schließlich geht es um den Konflikt zwischen zwei Kulturen, um unverblümten Rassismus und eine starke Dosis Frauenfeindlichkeit. Aspekte, die Tilman Knabe in Essen messerscharf profiliert und die in Wuppertal allenfalls beiläufig anklingen.

Das spiegelt sich bereits in dem abstrakt weißen Bühnenbild von Neuner, das eine Wandlung Cio-Cio-Sans von der Geisha zur amerikanischen Dame nicht zulässt oder gleich überflüssig macht. Das kühle Wohnzimmer mit zwei engen Treppen an der Seite lässt zwar Raum für fächerwedelnde Statisten in semi-japanischen Gewändern und ein von jeder szenischen Hand unbehelligt vor sich hinfließendes Liebesduett. Das sterile Ambiente rächt sich aber spätestens im völlig misslungenen Schlussakt fürchterlich. Die Rückbesinnung der Butterfly auf ihre japanischen Wurzeln, indem sie etwa ihre traditionellen Gewänder anzieht, bleibt aus. Auch die Bedeutung des rituellen Suizids interessiert Neuner offenbar überhaupt nicht. Das so sorgfältig von ihr behütete und verehrte Messer, mit dem sich ihr Vater umgebracht hat, präsentiert sich als Fleischermesser, das achtlos und offen in einem Regal herumliegt und mit dem sie bereits vor der Schlussszene herumfuchtelt. Norman Bates‘ Mutter lässt grüßen. Die Kehle durchschneidet sich Cio-Cio- San in der hintersten linken Bühnenecke, für einen Teil des Publikums unsichtbar. Das von Puccini raffiniert auf den Punkt gebrachte Timing der Auftritte des Kindes ignoriert Neuner, so dass die starke Wirkung, die die verzweifelte Mutter mit ihrem Sohn auslösen will, verpufft.

Das alles resultiert aus Neuners laschem Umgang mit den kulturellen Konflikten der west-östlichen Tragödie. Dass Neuner Pinkerton vom chauvinistischen amerikanischen Leichtfuß zum übertrieben zerknirscht reuigen Sünder wandeln lässt, wirkt in diesem Umfeld aufgesetzt. Keine der Nebenfiguren, weder der zwielichtige Heiratsvermittler Goro, weder der eindimensional steif gezeichnete Sharpless noch der liebessüchtige Fürst Yamadori oder die Verwandten, nicht einmal die Vertraute Suzuki erhalten ein aussagekräftiges, geschweige denn differenziertes Profil.

Wenn einen die Aufführung dennoch nicht ganz kalt lässt, ist das der verführerischen Musik Puccinis und der Darstellerin der Cio-Cio-San zu verdanken. Hye-Won Nam vermag gleichermaßen die Zerbrechlichkeit und die innere Stärke der Figur glaubhaft zu machen. Stimmlich legt sie die Partie sehr lyrisch an, wobei ihr faszinierend zarte Höhenflüge gelingen. Von einigen scharfen, zu tief intonierten Spitzentönen abgesehen, bereiten ihr auch die dramatischeren Passagen keine Probleme. Zu den vokalen Stärken der Produktion gehört auch der markant singende Heikki Kilpeläinen als Sharpless, der allerdings von der Regie arg vernachlässigt wird. Timothy Richards singt den Pinkerton zwar fehler- und mühelos, aber auch ein wenig glanzlos, wobei natürlich auch er unter der oberflächlichen Inszenierung zu leiden hat. Nichts auszusetzen gibt es vokal an Viola Zimmermanns Suzuki und James Woods Goro. Der von Jens Bingert einstudierte Chor bewältigt seine kleine Partie gediegen, das Wuppertaler Sinfonieorchester hat allerdings einen Aufwärtsschub verdient, zu dem ihm der neue Generalmusikdirektor verhelfen könnte. Ob das Ulrich Windfuhr sein wird, das wird sich frühestens nach den restlichen vier Gastdirigaten zeigen. Zu nennen sind Marc Piollet, William Lacey, Mark Rohde und Philippe Bach, lauter Dirigenten mit größeren praktischen und internationalen Erfahrungen. Die hat die Wuppertaler Oper auch bitter nötig.

Das Publikum reagiert äußerst dankbar, zum Teil begeistert auf die Premiere. Mit Jubel überschüttet wurden vor allem Ulrich Windfuhr und Hye-Won Nam, aber auch Dominik Neuner und sein Team erhielten mehr als freundlichen Beifall.

Pedro Obiera

Fotos: Uwe Stratmann