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Fakten zur Aufführung 

König Roger
(Karol Szymanowski)
14. Juni 2014
(Premiere)

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus


Points of Honor                      

Musik

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Der Ruf der alten Götter

Am Abend der letzten Premiere unter Intendant Johannes Weigand schwingt nicht nur der übliche Abschiedsschmerz mit, der bei einem Intendantenwechsel schon mal aufkommen kann, sondern es mischt sich auch Angst vor dem Ungewissen in die Menge; wird Wuppertal in der kommenden Spielzeit seine überregionale künstlerische Relevanz verlieren? Das heutige Stück steht jedoch noch beispielhaft für Weigands Handschrift: Künstlerische Bandbreite, der Mut, auch unbekannte Opern und Uraufführungen anzupacken und ein geschicktes Händchen in der Besetzung garantieren in nur anderthalb Stunden einen in jeder Hinsicht interessanten Abend.

Die Oper des polnischen Komponisten Karol Szymanowski ist die eines Verlorenen und ewig Suchenden. Der Komponist, der das Libretto mit seinem Cousin Jaroslaw Iwaszkiewicz nach seinen Vorstellungen verfasste, war geprägt vom Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts mit seinen Verirrungen, der politischen Instabilität und der Sehnsucht nach dem Fremden und Exotischen. Er selbst war Reisender, der sich besonders von der kulturellen und religiösen Vielfalt des Mittelmeerraumes fasziniert zeigte. In seinem Werk vereinen sich so viele Aspekte und Diskurse, die nicht jedem Zuschauer bewusst werden können – historische, philosophische, religiöse, psychologische und sexuelle Motive und Gedanken sprechen für die vielseitige Gelehrtheit des Komponisten, die sich auch musikalisch wiederfindet. Der Fokus der Handlung kann auf einen Initiationsprozess mit einhergehender Selbstfindung runtergebrochen werden. König Roger muss tief fallen, um zu sich selbst zu gelangen. Nach dem historischen Vorbild von König Roger II. von Sizilien, der im Mittelalter in einer polykulturellen Gesellschaft regierte, und Euripides‘ Drama Die Bakchen schufen Szymanowski und sein Cousin die Geschichte eines Herrschers, der sich mit einem jungen Hirten auseinandersetzen muss, der sich selber Prophet einer fremden Gottheit nennt und das Volk verführt. Selbst seine Frau, Roxane, verfällt dem schönen Jüngling und folgt ihm. Roger kann mit den üblichen Machtmitteln seiner Regentschaft nichts ausrichten und bleibt hilflos und gebrochen zurück. Zur Seite steht ihm nur sein arabischer Freund und Berater Edrisi. Erst am Ende kann er seine Frau zurück rufen und der junge Hirte erscheint ihnen als sein Gott Dionysus. Der König kann sich von seiner Position und seiner Polarität zum Göttlichen lösen und erkennt sich mit dem Aufgehen der Sonne selbst.

Die Regie richtet den Fokus auf die Initiation und Zerrissenheit des Hauptdarstellers – eine gute Lösung, die sich bei der vorherrschenden Komplexität anbietet. Jakob Peters-Messer aktualisiert dezent, ohne dem Werk seine Vielschichtigkeit zu nehmen, und lässt die Deutungsvielfalt in offener Symbolik aufgehen. Der Versuch, die Handlung durch eine Rahmenhandlung verständlicher zu machen, ist löblich und sinnfällig, aber nicht für jeden zu verstehen. Der Berater Edrisi tritt hier als Psychiater oder Hypnotiseur auf, der den König auf der obligatorischen Chaiselongue durch seinen Selbstfindungsprozess begleitet. Das abstrakte Geschehen auf der Bühne wird dadurch einfacher zugänglich, da das wahrscheinlich nur in der Vorstellung des Königs passiert. Doch ganz klar ist die Deutung nicht – was wiederum der Oper zugutekommt, die ebenfalls von Vielfalt geprägt ist. Etwas platt gestaltet sich die plakative Darstellung der homoerotischen Anziehung zwischen dem Hirten und dem König. Die Grimassen, die der Hirte ziehen muss, seine züngelnde Kussakrobatik und das gruselig übertriebene stille Grinsen mit aufgerissenem Mund muten seltsam an, eine Erklärung fehlt hier. Großartig ist das Bühnenbild von Markus Meyer, das eine Symbiose mit Regie und Kostüm bildet und darüber hinaus deutet. Der Bühnenraum ist ein zylindrisches Röhren-Oktagon, das hinten eine Projektionsfläche hat und an den Seiten mit Spiegeln ausgekleidet ist, was den Effekt hat, dass sich die Videoprojektionen zusätzlich an den Seiten abbilden. Die Spiegel prägen die Inszenierung als Motiv, in dem sich nicht nur Dinge vervielfältigen, sondern auch verzerren, das (Sonnen-)Licht – eingerichtet von Henning Priemer – sich bricht und die den Akteuren die Möglichkeit der Darstellung der dionysisch-narzisstischen Verzückung bietet. Auf der schrägen Spiegelfläche fällt es leicht, sich selber zu küssen und zu streicheln. Aussagekräftig kommen auch die Kostüme von Sven Bindseil daher. Während Psychiater und König im Dreiteiler auftreten, ist der selbsternannte Prophet in reines Weiß gekleidet, im zweiten Akt, in dem sich seine negativen Seiten herauskristallisieren, in eine weiße Uniform mit weißer gebeulter Reithose und weißen, hohen Schnürstiefeln, im letzten Akt allerdings schwarz mit silberner Patina im Gesicht und am Arm. Die Damen sind etwas phantasievoller gekleidet: Vor allem die Diakonissin in strengem Schwarz und einer auffälligen Haube wirkt wie eine Mischung aus traditionell und futuristisch und passt zu der uniformen schwarzen Masse der Gemeinde, auf deren schwarzen Handschuhen weiße Kreuze aufblitzen. Das Militärische der christlich-religiösen Gemeinde wird auch an den transparenten Gummi-Masken deutlich, während die später bekehrten Schäfchen sich in weißer Unterwäsche unbeschwert um ihren Propheten tummeln. Die Königin tritt zunächst als blonde femme fatale mit Pelz und Sonnenbrille auf, im indisch-orientalisch geprägten zweiten Akt dann mit streng nach hinten gelegten dunklen Haaren und indischem Gewand, zu dem sich der König den passenden Mantel umlegt. Im dritten Akt kehrt sie mit geöffneten Haaren und Überwurf mit griechischen Falten zurück. Zusammen huldigen sie und ihr Mann der statuenhaften Verkörperung des griechischen Gottes, dessen sich der König durch geradezu zärtliches Genickbrechen endlich entledigen kann. Verklärt passend wirkt der Schluss, in dem Roger alleine vor schwarzem Hintergrund bleibt und die aufgehende Sonne besingt, die sich erst in den Spiegeln und dann den ganzen Zuschauerraum erhellt. Alles in allem kann der Regieansatz nicht alles ausdeuten und kommt teilweise zu verkopft daher, bietet aber eine große Fläche für eigene Deutungsansätze. Eine ausführliche Lektüre des Programmheftes bietet sich an.

Besonders hervorzuheben ist die musikalische und darstellerische Leistung des Chores, der von Jens Bingert und die Wuppertaler Kurrende von Dietrich Modersohn trefflich musikalisch einstudiert wurden. Musikalisch homogen, aber darstellerisch individuell ist genau die richtige Mischung. Da sitzen Choreografie und Ausdruck. Chor, Statisterie und auch der Kinderchor machen das Bühnenerlebnis real.

Das Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Florian Frannek erzählt eine Geschichte mit geradezu unverschämt klingender Musik, die sich am Ende in strahlendem Dur auflöst. Teilweise ist die symphonische Dichte so präsent, dass die Sänger Probleme haben, sich durchzusetzen, das mag aber auch an der fast überfordernden Komposition liegen.

Welch schöne Passagen der Komponist den Sängern zugedacht hat, wird heute mehrfach deutlich. Banu Böke muss die Roxane zwar etwas pathetisch spielen, kann sich aber im Verlauf immer mehr die Rolle zu Eigen machen und mit metallisch gefärbtem Sopran in allen Lagen überzeugen. Besonders im zweiten Akt ist sie präsent und becirct mit ihrem sehnsüchtigen Lied und ihrem berückenden Tanz. Der Gelehrte Edrisi wird streng und aufmerksam von Christian Sturm verkörpert, der mit seinem schlanken Tenor mehr als gefällt. Ein gegensätzliches und sich deswegen ergänzendes Paar bilden der lockende Hirte alias Dionysos, gesungen von Tenor Rafaeł Bartmiński und Bariton Kay Stiefermann. Während der lockende Ton des Propheten mit dem überraschend dunklen Timbre Bartmińskis eine Liaison eingeht, verspürt man bei Stiefermann den ganzen Schmerz Rogers, er donnert, fleht und hadert, um am Schluss zu triumphieren. Zwar scheint der Tenor bisweilen ganz leicht heiser zu sein, das tut der Schönheit seines Gesangs aber kaum Abbruch. Joslyn Rechter als Diakonissin und Martin Js. Ohu als Erzbischof haben im ersten Akt einen kurzen, aber überzeugenden Auftritt.

Das Publikum jedenfalls kann kaum den letzten Ton abwarten und jubelt dem sichtlich gerührten Stiefermann und seinen Mitstreitern zu. Auch das Regieteam bekommt lautstarken Zuspruch. Ein letztes Mal haben Interessierte in dieser Spielzeit einen Grund, nach Wuppertal-Barmen zu fahren und ein selten gespieltes Stück zu erleben – abzuwarten ist, ob das mit einer Tosca auch noch der Fall sein wird.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Uwe Stratmann