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Fakten zur Aufführung 

THE TURN OF THE SCREW
(Benjamin Britten)
6. Februar 2015
(Premiere)

Theater in der Bibrastraße, Hochschule für Musik Würzburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Schönes Grauen

Eine Oper, die einen packt: Das ist The Turn of the Screw von Benjamin Britten, nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der Story, einer Schauergeschichte nach der gleichnamigen Novelle von Henry James. Die Faszination, die von dem 1954 uraufgeführten Werk ausgeht, liegt eben auch im unerbittlichen Fortgang der Handlung mit den gespenstischen Erscheinungen des mysteriös verstorbenen Dieners Peter Quint und der Erzieherin Miss Jessel und im unerklärlichen, sich immer mehr verstärkenden schlimmen Einfluss der Toten auf die Lebenden, die Kinder Miles und Flora, mit dem Verlust von Unschuld und Ehrlichkeit, wie er sich in dem aufsässigen, spöttischen Wesen der Kinder und ihren versteckten Bosheiten gerade im Spiel äußert. Vor allem aber gibt alles Rätsel auf: Es gibt praktisch keine Antwort darauf, warum das so und nicht anders passiert. Natürlich unterstützt gerade die Musik Brittens diese oft unheimliche, manchmal geradezu heiter überdrehte, manchmal Situationen illustrierende oder Künftiges vorwegnehmende, meist dramatisch sich zuspitzende Stimmung. Doch die Fragen, ob die neue Gouvernante, die eigentlich nur Gutes für die beiden Waisenkinder in ihrem großen alten Landhaus will, überreizten Sinneswahrnehmungen erliegt oder Einbildungen, ob der Vormund dahinter steckt, ob hier bewusst Menschen in einer Art Experiment zugrunde gerichtet werden sollen, ob wir uns selbst in einer Art Scheinwelt, in einer Art Albtraum befinden und in menschliche Abgründe blicken, bleiben offen, ziehen aber den Besucher immer stärker in ihren Bann, wie mit einer Schraube, wie es auch der Titel assoziiert. Britten orientiert sich ausschließlich an der Textvorlage zusammen mit seiner Librettistin Myfanway Piper und betont: „Wir hatten nicht die geringste Absicht, eine Klärung oder Erklärung für James zu geben.“ Wichtig dagegen im neuen Medium Oper ist die Darlegung des Atmosphärischen, der inneren Konstitution der Personen durch die Musik. Da kann der Hörer dann intuitiv das Geheimnisvolle fühlen, hat aber auch intellektuell Momente des Wiedererkennens. Britten gelingt das durch manchmal eingängige, durch illustrierende und auch verwirrende Klänge, auch durch Rückgriff auf eigene Werke, etwa beim Glockenspiel, oder verfremdende Nutzung klassischer Vorbilder, etwa beim Klavierspiel von Miles.

Die ungewöhnlich instrumentierte, sehr reduzierte Besetzung des Orchesters der Würzburger Hochschule für Musik unter der sorgsamen Leitung von Ulrich Pakusch kann diesen verstörenden Zauber, der sich auch in den Zwischenspielen äußert, mit erstaunlicher Präzision und in den verschiedensten Facetten zwingend wiedergeben. So unterstützt das Kammerorchester bestens die außergewöhnlich geschlossene, lebendige und gleichzeitig rätselhafte Inszenierung von Holger Klembt im ausverkauften Würzburger Theater in der Bibrastraße. Diese Arbeit der Opernschule überrascht durch ihre professionelle Darbietung in jeder Beziehung, und die jungen Sängerinnen und Sänger fühlen sich sichtlich wohl in dem eher kargen, durch Stellwände verschiebbaren Raum von Manfred Kaderke mit seinen kahlen, abgeschabten Tapetenwänden, der schon von selbst eine Sphäre des Seltsamen, Überlebten, aus der Zeit Gefallenen suggeriert. Hinter grünen Öffnungen werden die geheimnisvollen Gespenstergestalten von Quint und Jessel zuerst als bedrohliche Schatten wahrnehmbar. Betten, ein paar Stühle und ein paar Video-Sequenzen von Martin Kemner und Armin Fuchs reichen aus, um Situationen anzudeuten, in denen sich die gruselige Handlung vollzieht. Die Kostüme von Anke Drewes führen in eine etwas diffuse bürgerlich-konservative Vergangenheit, unterstreichen aber auch die Rollenprofile. Natürlich müssen der herumgeisternde Quint und seine Gefährtin Jessel, durch irgendein nicht aufgedecktes Geheimnis miteinander verbunden und von unheilvollem Einfluss auf die Kinder, gespenstisch in Schwarz und Weiß auftreten. Das Freudlose einer eigentlich privilegierten Existenz eines vermögenden Hauses wird fühlbar auch durch das Äußere. Im Prolog tritt Quint, der einstige Diener, noch elegant mit dem Buch auf, aus dem er gleich die Geschichte vortragen will, die in den folgenden zwei Akten die bedrückende Entwicklung zum Schlechten hin bestimmt.

Johannes Strauß gibt diesen Diener nach dem fulminanten Klavierauftakt mit hellem Tenor, gut geeignet für lebendige Deklamatorik; später, bei den lockenden Rufen nach Miles, die an Sakrales erinnern, vielleicht etwas zu gerade. Aber er überzeugt vor allem durch seine große Bühnenpräsenz. Seine Geister-Gefährtin, Miss Jessel, stellt mit leicht dunkel timbrierter Stimme die zierliche Südkoreanerin Gahyeon Lee eindrucksvoll, fast Mitleid erregend dar. Ihr gelingt es nicht, die junge Flora in den Abgrund zu reißen. Diese wirbelt in Gestalt der blonden, quirligen Carla Antonia Trescher als unbekümmertes, freundliches Mädchen über die Bühne, lässt aber auch verborgene, ganz andere Seiten ahnen, singt dazu bestechend schön. Darin harmoniert sie bestens mit ihrem „Bruder“ Miles, Anna Lena Müller; sie zeigt ihn sowohl nett wie auch aufsässig und hinterhältig, beeindruckt nebenbei mit ihrem brillanten Klavierspiel und gefällt ebenso mit ihrer schlanken, sicheren Stimme, wenn sie etwa in den „Malo“-Rufen ihre „böse“ Seite zum Vorschein kommen lässt. Der gute, aber recht ahnungslose Geist in der Villa Bly ist die Haushälterin Ms Grose; Theresa Romes gibt sie bieder, treu sorgend und begeistert mit ihrem vollen, wohlklingenden Sopran. Zwischen diesen etwas zwielichtigen Gestalten des Hauses wird die junge Gouvernante zerrieben. Olga Beskhlebnaya ist in dieser Rolle sehr glaubhaft, gutwillig, etwas unsicher, ob sie der Erziehung der beiden Kinder genügt, dann immer mehr von Liebe und Fürsorge für diese erfüllt, und ihr großer, kräftiger, leicht dramatisch angehauchter Sopran bewältigt souverän alle Höhen und Tiefen der Partie ausdrucksstark und mit vielen emotionalen Facetten.

Das Publikum im voll besetzten Haus bejubelt nach dem traurigen Ende, an dem Miles stirbt und die Gouvernante wohl verrückt wird, einhellig diese lebendige, stimmige Inszenierung und die erstaunlichen Leistungen der jungen Sängerinnen und Sänger. Die einzige Frage, die noch bleibt, ist: Warum kann man dieses Werk nicht öfter hören?

Renate Freyeisen

 

Fotos: Andreas Herold