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Fakten zur Aufführung 

SCHNEEWITTCHEN - BREAKING OUT
(Anna Vita, Sebastian Schick)
28. Februar 2015
(Premiere)

Mainfranken Theater Würzburg


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Schönheitswahn gegen Menschlichkeit

Schneewittchen, das bekannte Märchen der Gebrüder Grimm, wird oft tiefenpsychologisch gedeutet als Gleichnis für die Adoleszenz eines Mädchens, das in Konkurrenz tritt zur Mutter. Außerdem beinhaltet es auch eine Warnung davor, in der gefälligen Selbstbespiegelung der eigenen Schönheit die Maßstäbe zu verlieren, denn das wird am Ende grausam bestraft.

In der bejubelten Tanzversion dieses Märchens Schneewittchen – breaking out  am Mainfranken-Theater Würzburg ist davon nur noch wenig zu spüren. Dennoch ist dieses Handlungsballett von Anfang bis Ende schlüssig. Ballettchefin Anna Vita hat aus der Erzählung von der schönen Königstochter mit der Haut weiß wie Schnee, dem Mund rot wie Blut, dem schwarzen Haar und den sieben Zwergen, die das Mädchen vor den Nachstellungen der bösen Stiefmutter retten, ein ungeniert fetziges, mitreißendes, oft witziges Tanztheater geformt. Vital und gar nicht angestaubt, dank der Kombination von neoklassischem Tanzstil und hippem Breakdance, kommt dieses Märchen in neuem Gewand daher. Die böse Stiefmutter, unterstützt von zwei Lovern, führt hier eine Modelagentur, drillt ihre Elevinnen gnadenlos und will die ungeliebte Stieftochter als Konkurrentin um die Schönste im Land ausschalten. Nach dem Tod des Vaters versucht das Mädchen, den Schikanen der Mutter zu entkommen und landet nach der Flucht durch eine feindliche Großstadt in einer WG. Die sieben Jungs dort kümmern sich rührend um die Kleine, die sich prompt in den Pizzaboten verliebt. Doch die Eifersucht auf die schöne Stieftochter lässt die Mutter nicht ruhen. Mit drei Anschlägen, mit einem vergifteten Staubwedel, einem vergifteten Kamm und dem vergifteten Apfel – Symbol sexueller Verführung – von ihr präsentiert als Putzfrau, Kosmetikerin und fesches Dirndl, hat sie kein Glück, denn die WG-ler können immer „ihr“ Mädchen retten. Am Schluss, als die Böse wutentbrannt mit wehenden Haaren wegfegt, sieht sie, was aus ihr geworden ist: eine hässliche Alte. Das ist natürlich eine etwas weniger grausame Version des Märchens als bei den Brüdern Grimm. Anna Vita gelingt es, daraus ein schlüssiges Handlungsballett zu entwickeln und dabei separate Tanzstile zu verbinden. Auch die Auswahl von Musik von Vivaldi, Arvo Pärt und diversen Beat-, Hip-Hop- und sonstigen Sounds – vom Band – passt dazu erstaunlich gut. Was vielleicht als Wagnis angesehen werden könnte, die Kombination eines professionellen Ballett-Ensembles mit semiprofessionellen Break-Dancern aus der Region, klappt hervorragend dank der kongenialen Zusammenarbeit der Choreografin Anna Vita mit dem Breakdance-Trainer Sebastian Schick. Beide ergänzen sich vorbildlich, und zu bewundern ist, wie sich beide Tanzstile, die präzise Ballettarbeit und der durch kurze, spektakuläre Akrobatik geprägte Breakdance verbinden lassen. Gerade dadurch aber werden auch die zwei Welten deutlich, die hier aufeinander prallen, nämlich die auf Schönheit, Äußerlichkeit und Kälte fixierte Modelwelt der Stiefmutter und die lockere, offene, sportliche Welt der Breaker-Jungs. Eine Herausforderung für diese ist sicher, sich nicht nur in kurzen Sequenzen zu präsentieren, sondern in eineinhalb Stunden auf der Bühne Power zu zeigen. Das Publikum aber belohnt ihre tollen Leistungen immer wieder spontan mit Zwischenbeifall. Zum grandiosen Erfolg trägt auch die Ausstattung von Sandra Dehler bei, im Einklang mit dem guten Licht von Walter Wiedmaier. Der Spiegel, in dem die Stiefmutter immer wieder ihre Schönheit bestätigt sehen will, aber meist nur Schneewittchens Gesicht erblickt, besteht hier aus einem dichten Regenvorhang hinter dem Eingang zur Modelschule. Hinter der befindet sich die etwas improvisiert wirkende WG. Die Model-Chefin in Schwarz-Rot mit weißblonder Mähne schwebt meist mit langer, pompöser Schleppe daher, Schneewittchen trägt ein knallbuntes Kleidchen, die Models aber bilden in schicken Outfits optisch beeindruckende Formationen. Besonders köstlich ist die Verkleidung der Stiefmutter samt Anhang in bunter alpenländischer Tracht beim letzten Mord-Anschlag. Doch die sieben WG-ler in ihrer Alltagskleidung können diesen im letzten Moment verhindern.

Herausragend aus dem sehr einsatzbereiten, homogenen Ensemble ist das muntere Schneewittchen der Camilla Matteucci und vor allem die hoch elegante, bis in die letzten Fingerspitzen gefährlich intrigante Stiefmutter von Caroline Matthiessen. Einzelrollen tanzen die hübschen Lover, Leonam Santos und Gianlucca Sermattei, und der lange Pizzabote, Timothy Szczepkowski-Collins.

Das Publikum im ausverkauften Haus ist total begeistert und feiert alle Beteiligten ausgiebig mit standing ovations und einhelligem Jubel. Dieser Tanzabend ist ein Muss für Alt und Jung und vermag auch Leute anzulocken, die sonst eher das Theater meiden.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Lioba Schöneck