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Fakten zur Aufführung 

HIPPOLYTE ET ARICIE
(Jean-Philippe Rameau)
11. Juli 2014
(Premiere)

Theater in der Bibrastraße, Hochschule für Musik Würzburg


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Sommerliche Gefühlswirrungen

Ein verspieltes Sommermärchen kommt nach anfänglichen Verwicklungen zu einem heiteren Ausgang. Das führt das gut gelaunte Opernstudio der Hochschule für Musik Würzburg im Theater in der Bibrastraße mit Jean-Philippe Rameaus tragédie lyrique Hippolyte et Aricie vor, in der 1733 uraufgeführten ersten Oper des damals schon 50-jährigen Komponisten. Das Besondere an diesem Werk ist nicht die sehr verwirrende Handlung, sondern die Musik, die eigentlich die verschiedensten Emotionen, Affekte und Stimmungen in der Natur und auch im Menschen ausdrückt. Diese Gefühlsregungen werden auf der Bühne von den mythologischen Gestalten getragen. Doch heute sind sie dem Zuschauer kaum mehr präsent, schon gar nicht die komplizierten Beziehungen dieser Götter, Helden und ihrer Untergebenen. Deshalb ist es auch heute am angenehmsten, wenn das Bühnengeschehen, das sich im Wesentlichen um Liebe, Eifersucht, Hass, Trauer und Freude dreht, möglichst vereinfacht in die Gegenwart transportiert wird.

Regisseur Holger Klembt tut also gut daran, in der von ihm zusammen mit Andreas Herold entworfenen Ausstattung mobile Paravents zu verwenden. Auf diesen verschiebbaren Elementen kann er dank wechselndem Licht verschiedene Stimmungen zaubern und Schauplätze andeuten. Mit ein paar wenigen Requisiten ist das erreicht. Im Tempel der Diana im ersten Akt finden sich Stelen, auf denen irgendwelche durchsichtigen Plastiken etwas Weihevolles zitieren, wie etwa in einer Galerie, und die Priesterinnen der Diana sind dabei wie höhere Angestellte gekleidet, sollen Aricie in ihren Dienst einweisen; die Unterwelt im zweiten Akt befördert auf einem schwarzen Treppenpodest Pluto als Mafiaboss, begleitet von seinen servilen Handlangern, und Merkur, Bote des Meeresgottes, erscheint in diesem Umfeld vorsichtshalber als Security-Mann, um die Direktiven seines „Chefs“ zu verkünden und so zur Eskalation der Lage beizutragen, während Tisiphone, ein schlägernder Base-Ball-Stürmer, ständig für Unruhe sorgt. Im Palast des Theseus präsentiert sich danach die auf ihren Stiefsohn scharfe Phèdre, also Phädra, auf einer Couch mit Sektkühler in Reichweite. Doch die Rache für solche abwegigen Neigungen folgt im vierten Akt, als ein Unwetter im Wald, angedeutet durch Tücherwallungen, Hippolyte unsichtbar macht und seine Stiefmutter verschlingt. Dass das alles auch mit einer gewissen ironischen Distanz gesehen werden darf, zeigt der fünfte Akt: Diana, hoheitsvoll, wie man sich eben so eine Göttin vorstellt, erscheint, nimmt aber im Schaukelstuhl Platz, um das nach der langen Warterei endlich vereinte Liebespaar zusammenzuführen; derweil flattern zur Arie der Aricie Verliebte Nachtigallen weiße Vögelchen vom Himmel, während die Musik besonders mit der Flöte solche Bewegungen nachzeichnet, und das Paar entschwindet in Freizeitkleidung, behängt mit Blumengirlanden und Koffern mit der Aufschrift „Just married“ in die Flitterwochen vulgo in den Zuschauerraum. Auch wenn die Handlung rein fiktiv ist und eine antike Vergangenheit zitiert, die uns längst fremd geworden ist, zeigen die verschwimmenden Video-Projektionen auf den Vorhängen zu Beginn des jeweiligen Akts an, wo alles spielt oder spielen soll.

Während die Handlung also schon etwas Patina angesetzt hat, sich im konventionellen Schema der Barock-Opern bewegt, bewahrt die Musik Rameaus, gespielt vom Barockorchester der Würzburger Hochschule für Musik, aufmerksam geleitet von Jörg Straube, auch heute noch ihre Frische und ihre zupackende Präsenz. Das Orchester besticht durch Präzision und Musizierfreude, etwa wenn es einen Sturm illustriert oder am Schluss ein liebliches Idyll beschwört. Auch die jungen Sängerinnen und Sänger geben ihr Bestes, wobei nicht vergessen werden darf, dass hier Studierende auf der Bühne stehen. Doch einige unter ihnen begeistern schon jetzt durch darstellerische und stimmliche Gestaltung, allen voran Hoyeon Song als Thésé, also Theseus; der koreanische Sänger verfügt über einen reich bemittelten, sicher sitzenden, modulationsfähigen Bariton und überzeugt damit sehr. Auch seine Frau Phèdre, also Phädra, findet in der Griechin Lida Dimitriadi die passende Verkörperung, wenn sie glaubhaft und nie angestrengt mit ihrem angenehm flexiblen, warmen Mezzosopran die rachelüsterne Königin darstellt. Mit dem lyrischen Tenor Jeonyeop Seok aus Südkorea ist die Rolle des verliebten Prinzen Hippolyte passend besetzt, denn sowohl von der Gestalt her wie auch mit seiner großen, jugendlich glänzenden Stimme kann er seiner Aufgabe gerecht werden. Seine angebetete Aricie, Anna Feith, beeindruckt zwar durch ihre attraktive Erscheinung, aber ihr heller, tremolobehafteter Sopran, oft etwas scharf in den Höhen, kann erst am Schluss richtig überzeugen, wenn die Nachtigallen als Liebesbotinnen besungen werden. Als Diana macht die Mexikanerin Graciela Rivera Quiroz eine gute Figur und gefällt auch mit „runder“ Stimme, und Mooyeol Yang verkörpert mit seinem etwas flachen, trockenen Bass sehr passend einen kalten Mafia-Boss Pluto; sein gewalttätiger Gehilfe Tisiphone wird von dem japanischen Bariton Tohru Iguchi mit viel Spielfreude gestaltet; Anders Veiteberg verleiht der kleinen Rolle des Götterboten Mercure mit angenehm heller Stimme die nötige Aufmerksamkeit. In den kleineren Partien, die auch für die Chorsoli zuständig sind, gefällt die stimmliche Harmonie; auffallend schön singt dabei Dominique Dethier als Oberpriesterin.

Das Publikum im leider nicht ganz voll besetzten Haus feiert alle Mitwirkenden lange. Spielfreude und bemerkenswerter Ensemblegeist machen aus einem so „vergangenen“ Stoff ein rundum vergnügliches, gelungenes Musikerlebnis.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Andreas Herold