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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
24. Januar 2015
(Premiere)

Mainfranken Theater Würzburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Freiheitsdrang gegen bürgerliche Ordnung

Da treffen zwei nicht kompatible Lebensentwürfe aufeinander, der unbedingte Freiheitsdrang einer Frau, von Carmen, romantisierend als Zigeunerin ohne Bindungen gesehen, und die angepasste Bürgerlichkeit eines Mannes, des Brigadiers Don José, eingebunden in Familie, Staat und Religion: Dieser Konflikt ist der Stoff der Oper Carmen von Georges Bizet aus dem Jahr 1875. Der Komponist entwirft hier eine Fantasiewelt für ein bürgerliches Publikum, das sich delektieren darf an „romantischen“ Vorstellungen von einem freien, scheinbar bindungslosen, abenteuerlichen Leben von Zigeunern, Schmugglern und heroischen Stierkämpfern, sich aber am Ende durch den tragischen Schluss darin bestätigt fühlt, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. Die Jagd nach dem unbedingten Glück endet im Tod. Alles steht und fällt dabei mit der Gestalt der Carmen und dem Umfeld, in dem sie sich aufhält.

Regisseurin Sabine Sterken lässt ihre Inszenierung am Mainfranken-Theater Würzburg in einem zeitlich und örtlich nicht genau festgelegten Raum spielen. Zusammen mit ihrem Ausstatter Martin Rupprecht deutet sie an, dass alles heute stattfinden könnte. Ein Sonnenschirm mit Plastikstühlen und Bierkästen darunter sowie kleine, aus durchsichtigem Plastikabfall gebaute Häuschen lassen an heißes Klima und ärmliche Verhältnisse denken. Die Soldaten in schwarzen Uniformen sind allerdings keinem bestimmten Land zuzuordnen. Die muntere Kinderschar des Unterstufenchors des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Würzburg wuselt in heutiger Alltagskleidung zwischen der Brigade herum, stört die Soldaten, äfft ihren Drill nach. Aber schon hier ist manchmal ein Hang zur Übertreibung, zur Überdeutlichkeit zu spüren, wenn etwa die Kinder plötzlich alle Masken tragen. Dass die angeblich Männer mordende Zigeunerin Carmen jedoch so wenig aufreizend trotz schwarzer knapper Kleidung auftritt, wenig Glut in ihren Bewegungen ausstrahlt, kaum dem Vorurteil einer enthemmten Erotomanin entspricht, schmälert ihre suggestive Wirkung auf die Männerwelt und damit die dramatische Logik und Spannung. Dagegen muss ihre „Konkurrentin“ um die Liebe von José, die brave und gottesfürchtige Micaela, ständig in einem unförmigen, durchsichtigen Regenmantel aus Plastik herumtappen und immer einen Schlafsack oder etwas Ähnliches hinter sich herschleifen; das wirkt komisch, zumal sie später kitschig überhöht wird wie das unschuldige Sterntaler-Mädchen unter einem Goldflitter-Regen oder durch eine rückwärtige Beleuchtung als Heldin stilisiert wird. Andere Szenen wiederum scheinen gelungen, so wenn es in der Kneipe von Lillas Pastia, einer Art billigem Kiosk, hoch hergeht oder wenn das Volk vor dem Stierkampf, in bunten Sommerkleidern und nur mühsam zurückgehalten durch ein Band, seinem Matador frenetisch zujubelt. Weniger sinnvoll, ja manieriert wirkt das Bild im letzten Akt, als José und Carmen jeder eine Art goldenes Gestänge ersteigen, um von dort aus ihre Gefühle zu äußern, und Carmen in der Pose der amerikanischen Freiheitsstatue den Arm reckt. Ob immer wieder eine Alte an Stöcken über die Szene humpeln muss, vielleicht als Warnung vor dem Tod, bleibt fraglich. Auch an der Sternenprojektion im Nacht-Bild oder der blutigen Spur auf dem Boden ebenso wie an den Kreide-Aufschriften links und rechts von der Bühne hat man sich schnell satt gesehen. Die gesprochenen Dialoge in einer Mischung aus Französisch, Englisch und Deutsch zeigen an, dass alles im Heute angesiedelt ist. Gesungen wird allerdings auf Französisch.

Was aber aus dem Orchestergraben zu hören ist, versöhnt mit vielem, was etwas ungereimt scheint. Denn Enrico Calesso führt das Philharmonische Orchester mit viel Temperament und Gefühl für innere Spannung, für federndes Musizieren, tänzerische Beweglichkeit und farbige Melodik, so dass das – angeblich – spanische Kolorit von Anfang an aufleuchtet. Auch Chor und Extrachor, einstudiert von Michael Clark, gefallen sehr durch fein abgerundeten Klang, weiche Höhen, Flexibilität und lebendige Bewegung.

Zwiegespalten aber muss das Urteil über die Gesangssolisten ausfallen. Zwar fordert die Winterszeit oft ihren Tribut bei der stimmlichen Disposition, doch dem ist nicht alles zuzuschreiben. So muss Bruno Ribeiro als Don José zwar gesanglich passen, doch kann er immerhin stumm auf der Bühne agieren. Allerdings hätte man sich dabei etwas mehr Gestaltung gewünscht. Mit dem hervorragenden brasilianischen Tenor Ricardo Tamura aber steht in der Premiere für ihn an der Rampe mehr als ein Ersatz zur Verfügung; seine wunderbar gefühlvoll und mit großer Stimme vorgetragene Blumenarie fordert das begeisterte Publikum an diesem Abend zu langem Zwischenbeifall heraus. Auch der eigentlich für den Escamillo vorgesehene Bryan Boyce als Torero Escamillo kann erkrankt nicht auftreten; Adam Kim kann ihn mehr als ersetzen mit seinem sicheren, starken Bariton. In den übrigen Männerrollen bewähren sich vor allem Herbert Brand als brutaler Leutnant Zuniga, David Hieronimi als Moralès, sowie die grotesk aufgemachten Schmuggler Dancairo, Daniel Fiolka, und Remendado, Joshua Whitener. Zwei spielfreudige und auch gesanglich bestens disponierte Zigeunerinnen – eher drogensüchtige Damen des leichten Gewerbes – geben Anja Gutgesell als Frasquita mit ihrem hell glänzenden Sopran und Sonja Koppelhuber als Mércèdes mit ihrem vollen, angenehm runden Mezzosopran. Dagegen enttäuscht ausgerechnet Laura Brioli als Carmen. Sie kann die Rolle der leidenschaftlich sinnlichen, lasziv erotisierenden Zigeunerin gestalterisch einfach nicht überzeugend ausfüllen, und ihr in den Tiefen etwas brüchig, hohl wirkender Mezzosopran gibt diese innere Glut nicht annähernd wieder. Dazu passt, dass sie in der Pause ihre Indisposition erklären lässt, wobei sie danach allerdings mit stimmlicher Fülle in der Höhe und der Mittellage aufhorchen lässt. Eindeutig am meisten gefällt die Micaela der Silke Evers. Sie zeichnet ihre Figur mit solcher Innigkeit, mit so vielen Farben ihres runden, großen, strahlenden Soprans, dass man darüber ihre scheußliche äußere Aufmachung glatt vergisst.

Das Publikum bei der ausverkauften Premiere feiert gerade sie und den so genannten Ersatz-Tenor sowie Chöre und Orchester mit großem Jubel, versieht aber das Regieteam mit Beifall, Pfiffen und ein paar Buhs.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Falk von Traubenberg