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Fakten zur Aufführung 

ALESSANDRO NELL'INDIE
(Baldassare Galuppi)
20. Juni 2015
(Premiere)

Mainfranken-Theater Würzburg

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Liebe in Zeiten ständiger Kriege

Die Anspielungen auf heutige Ereignisse sind vielleicht manchem Besucher im Würzburger Mainfranken-Theater zu deutlich bei einer Oper, die schon über 250 Jahre auf dem Buckel hat. Erstaunlicher Weise aber verträgt das Dramma per musica Alessandro nell’ Indie von Baldassare Galuppi aus dem Jahr 1755  Aktualisierungen ganz gut. Denn hier geht es um einen rücksichtslosen, charismatischen Eroberer, der in exotische Gegenden vordringt, Kriege hineinträgt und dort die Verhältnisse völlig durcheinander bringt. Nur – solche barocken Wirrungen, Verkleidungen, Verwechslungen und Täuschungen, vermischt mit ständigen Liebes- und Eifersuchtsdramen, dazu die Dauer von sechs Stunden mit ermüdenden Da-capo-Arien kann man dem Publikum heute kaum mehr zumuten. Authentisch im Sinn einer Handlung über ein historisches Sujet ist der Plot ohnedies nicht; auch wenn Alexander der Große und der indische König Poros in der Schlacht am Hydaspes im 4. Jahrhundert vor Christus wohl wirklich aufeinander trafen. Dem Librettisten Pietro Metastasio aus dem 18. Jahrhundert ging es bei seinem erfolgreichen Stoff – auch Händel und Gluck vertonten ihn – nicht um geschichtliche Genauigkeit; vielmehr verknüpft er damit moralische Fragen wie die Legitimation eines guten Herrschers oder das Verhalten der Menschen in der Gesellschaft und ihre Rolle darin.

Ein Anreiz für die Regie von Francois De Carpentries mit seiner Ausstatterin Karine Van Hercke , das Geschehen in das heutige Krisengebiet an der Grenze Afghanistans zu legen, ist sicher der Ort, an dem Alexander und Poro beim Kampf aufeinander gestoßen sind, nämlich der Fluss Idaspe in der Gegend zwischen Afghanistan und Pakistan; seit alters her schaffen hier verschiedene zivilisatorische Konzepte ständig Konflikte, gestern wie heute. Deshalb sind keine barocken Kostüme und Dekorationen nötig. Allerdings erinnert der Bühnenhintergrund immer wieder an ein zerklüftetes, unwirtliches Gelände; Schatten von Panzern fahren darüber hin, Gewehrfeuer und dumpfe Einschläge sind zu hören, und auch ein Gefechtsunterstand oder ein besseres Gebäude sind nur angedeutet. Bevor es überhaupt losgeht, sind Texte auf Griechisch und – Indisch? – zu hören; sie berühren Fragen wie Ehre und den Sieg über „schwache“ Völker durch eine zivilisatorische „Elite“, vertreten durch den Griechen Alexander in heller, schicker Freizeitkleidung, ausgerüstet mit Handy, assistiert von einem Berater mit mobilem Büro im Koffer. Die gegnerische Seite repräsentieren Poro und Cleofide, beide Regenten aus „Indien“, exotisch-folkloristisch gekleidet, was dem Fernsehzuschauer durchaus vertraut ist; Poro erinnert äußerlich stark an den ehemaligen afghanischen Präsidenten Karsai, die Königin in ihrem blauen, glitzernd bestickten Gewand an eine Schönheit aus dem fernen Hindukusch. Die Schwester des Potentaten, Erissena, wird als Gefangene in weißer Burka hereingeschleppt, bevor sie sich wie fast alle Übrigen in kriegerischer Uniform aufrüstet. Doch Schlachten und Kämpfe sind ein Geschehen am Rande. Im Mittelpunkt stehen emotionale Verwerfungen, die ständige Eifersucht von Poro auf seine Geliebte Cleofide, die ihrerseits politisch taktiert und Alexander in seiner männlichen Eitelkeit an der Nase herumführt. Witzig die Dialoge der beiden Verlobten, wenn sie ihn mit kleinsten Gesten provoziert, er sofort darauf wütend reagiert und ihr so einen inneren Triumph gewährt. Die geschickte Personenregie lockert so auch die langen Arien auf. Galuppis Musik unterstreicht mit feinen lautmalerischen Momenten den Text, etwa das unterdrückt Aufbrausende bei Poro oder das Wiehern der Pferde, wenn er sich wie ein Schlachtross fühlt. Alexander aber darf in seinen Arien den strahlenden Eroberer markieren, Erissena die unglücklich in ihn Verliebte, die noch dazu das Los einer Frau in ihrer Gesellschaft beklagt und sich wünscht, als Amazone geboren zu sein. Dass Galuppi, der von 1706 bis 1785 lebte, einst als international gefeierter, erfolgreicher Komponist geschätzt wurde, wird beim Hören schnell klar. Die äußerst verwickelten Opernhandlungen aber verlangten nach der damals modischen Dramaturgie ein lieto finale, also ein glückliches Ende. Das lässt der Regisseur in seiner aktuellen Inszenierung zwar aufscheinen, aber erst nach einem düsteren Ende, als nämlich Königin Cleofide per Sprengstoffgürtel bei der erzwungenen Heirat mit Alexander dessen System der überlegenen Aggressoren in die Luft gejagt hat. Nach einem kurzen Moment völliger Dunkelheit folgt dann der „gute“ Schluss Galuppis: Poro lebt, bittet seine geliebte Cleofide wegen seiner Eifersucht um Verzeihung, und Alexander lässt Gnade walten. Ist das glaubhaft? Jedenfalls bekommt Alexander einen Anruf auf seinem Handy und eilt mit „We leave Europe“ von dannen. So erhält die typisch barocke Wendung hin zum Versöhnlichen doch noch eine ironische Note. Dass Galuppis Oper wieder vermehrt auf den Spielplänen erscheint, ist dennoch anzuzweifeln. Seine Musik jedenfalls hätte es verdient.

Enrico Calesso, der die Oper geschickt gekürzt hat, lockt aus dem Philharmonischen Orchester Würzburg, das in kleiner Besetzung in erhöhter Position spielt, mit beschwörenden Handbewegungen und steter Umsicht geradezu plastische Qualitäten, differenzierte Feinheiten, viel Elan und Spannung heraus, und das trotz eines manchmal äußerst flinken Tempos.

Die größte Bewunderung aber verdient die ausgezeichnete sängerische Leistung. Als Alessandro mimt Joshua Whitener nicht nur sehr glaubhaft einen attraktiven Jungdynamiker, einen smarten, berechnenden Egomanen und in Liebesdingen beiden Geschlechtern zugetan, was bei einer dezenten Andeutung die einzigen Buhrufe provoziert, der Tenor prunkt auch ungeniert mit der Strahlkraft seiner hellen, in den Höhen glänzenden Stimme. Sein Gegenspieler Poro wird von Denis Lakey ebenso überzeugend verkörpert als misstrauischer orientalischer Potentat, und mit seinem fülligen, erstaunlich weichen Altus meistert er mühelos alle Höhen und Tiefen eines kämpferischen, machtbesessenen Mannes. Irgendwie kann man seine Eifersucht schon verstehen, denn Silke Evers als Königin Cleofide ist eine umwerfend reizvolle, selbstbewusste Frau mit überlegenem Verstand, in Liebesdingen souverän, und sie kann die langen Gesangslinien dynamisch gestalten, die Koloraturen locker dahin laufen lassen und dabei mit ihrem vollen, klaren, strahlenden Sopran alle Männer, und nicht nur die, bezirzen. Als Erissena muss Sonja Koppelhuber eine eher tragisch umflorte Figur spielen, und ihr dunkel timbrierter, fülliger Mezzosopran passt dazu mit seinen melancholischen Facetten bestens. Sie wird geliebt von Gandarte; Anja Gutgesell bewährt sich in dieser Hosenrolle mit ihrem beweglichen, ausdrucksstarken Sopran, während Maximiliane Schweda als Timogene zwar geschäftig als Vertrauter Alexanders agiert, ihren hellen Sopran aber in den Höhen manchmal noch etwas eng führt.

Das Publikum im nahezu ausverkauften Haus bejubelt die Premiere lang, auch wenn einigen das Bühnengeschehen doch etwas fremd erscheint. Musikalisch aber gefällt die Aufführung sehr.

Renate Freyeisen

 



Fotos: Falk von Traubenberg