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Fakten zur Aufführung 

L'INGANNO FELICE
(Gioachino Rossini)
23. Juli 2015
(Premiere am 17. Juli 2015)

26. Belcanto-Opera-Festival Rossini in Wildbad, Königliches Kurtheater


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Crescendo-Kunst am Bergbau-Schacht

Es wird gearbeitet im Königlichen Haus zu Bad Wildbad. Nicht dass die Renovierung des kleinen schmucken Kurtheaters nicht abgeschlossen wäre. Im Gegenteil: Jetzt lässt sich das Theater endlich wieder mit vollem Licht bespielen, wie von Intendant Jochen Schönleber zu erfahren ist. Zu sehen ist eine Szenerie im Bergwerksmilieu, so ein Torso von einem Turm, der sich als ehemaliger Förder-, vielleicht auch als Wachtturm deuten lässt. Es ist übrigens der Ex-Bühnenturm des Kurhauses. Ihn besteigt eine Gestalt, um den Stand irgendwelcher Arbeiten zu inspizieren. Am Boden und auf Gerüsten liegen Sandsäcke, die einst auch als Kohlensäcke gedient haben können. Die Seitenbegrenzung der Szene wird durch Wandteile markiert, die wie Fabrikmauern aus Beton wirken. In diese Gemengelage von Minen- und Militärelementen wird ein offener Jeep gesteuert, der in Wahrheit ein Bundeswehr-Mungo ist. Er ermöglicht den spektakulären Auftritt des Tenors alias Herzog Bertrando, begleitet von einem Adjutanten, der sich auf das Spiel der Flöte versteht. Später sind die Symbole des Bergbaus verschwunden. Sie machen einem Bootswrack Platz, das wenig Gutes verheißt. Offenkundig gibt es keine Hoffnung auf Entrinnen. Viel Arbeit, wie gesagt, während und vor der Produktion des Rossini-Einakters L'inganno felice. Zu viel für gerade drei Abende? Die Aufführung zeigt es: Der Aufwand lohnt.

Unter den zehn Werken, die Rossini zwischen 1809 und 1813, dem Jahr des Durchbruchs mit Tancredi am La Fenice für die Opernhäuser Norditaliens komponiert, sind allein fünf Einakter, darunter L’inganno felice.1812, im Jahr der Uraufführung der farsa per musica im Teatro San Moisè in Venedig, erlebt der Hitzkopf aus Pesaro geradezu einen Energieausbruch. Es gilt, binnen nicht einmal 15 Monaten ein halbes Dutzend Aufträge für neue Opern zu erfüllen. Die Unterstellung, Rossini habe es sich unter dem Druck der Auftragslage bei der einen oder anderen Komposition leicht gemacht, etwa bei der Glücklichen Täuschung, geht freilich fehl. Ebenso wie die mögliche Annahme, die Klassifizierung des Werks als farsa erlaube den Rückschluss auf eine der gängigen Opere buffe. Benannt wird mit diesem Terminus ausschließlich der Typus der einaktigen Kurzoper.

Schönleber, Regisseur des Stücks, und Ausstatter Robert Scharg haben viel Mühe im Detail aufgebracht, den Stoff der farsa, die eben alles andere ist als komisch, einigermaßen nachvollziehbar zu transportieren. Fürwahr, das Libretto von Giuseppe Maria Foppa, die krude Lebensgeschichte der jungen Fürstin Isabella in einem fatalen Netzwerk von zwei Bösewichten, ist anders als beim späteren Barbiere, kein literarisches Schwergewicht. Eine junge Adlige wird zuerst verkannt und verstoßen sowie auf offener See in einem Boot ausgesetzt. Sie überlebt bei empathischen Menschen und wird am Ende nach einer glücklich überstandenen neuerlichen Intrige ihrer Widersacher in Liebe mit dem Herzog, ihrem Ehemann, wieder vereint. Immerhin findet Giovanni Paisiello den Stoff so reizvoll, dass er ihn vertont, übrigens vor Rossini. Was der Komposition des gerade einmal 19-jährigen Rossini ihren prominenten Stellenwert im frühen Werkverzeichnis allerdings sichert, ist der schon hohe Grad an musikalischer Innovations- und Variationskraft, der sich in den nur sieben Nummern zwischen Sinfonia und Finale aufbaut und entfaltet. Melancholie, Euphorie, Furcht, Zagen und Hoffnung – für all diese Empfindungen findet der Komponist eine adäquate Musiksprache.

Erstmals erkennbar bewusst experimentiert Rossini hier zudem mit dem Stilmittel, das für seine weiteren Schöpfungen, speziell seine später unnachahmlichen grandiosen Aktschlüsse typisch werden soll: dem Crescendo. Unter der musikalischen Leitung Antonino Foglianis finden die Virtuosi Brunenses einmal mehr ganz wundervoll in die Italianatà dieser Kunst. Wie sie gleich zu Beginn der Ouvertüre – Sinfonia – aus der Verhaltenheit des Anfangs den Aufstieg zu einem ersten perlenden Sturm der Instrumente entwickeln, verrät die gereifte Klasse eines Orchesters, das seine Bezeichnung wohl zu Recht trägt.

Die Sängerdarsteller, allen voran Silvia Della Benetta als Isabella, bringen großes Belcanto-Format auf die Waage reinen Opernglücks. Ihr Sopran, technisch in der Lage, die größten Theater zu beherrschen, nimmt es in jeder Sekunde auch mit den heikelsten vokalen Perlschnüren auf, die Rossini in die Partitur gewebt hat. Spätestens mit ihrer Kabaletta Se pietade in seno avete hat sie das Publikum ganz und gar gewonnen. Unter den Sängern gehört dem Bassbariton Tiziano Bracci als Batone die Palme des Abends. Và taluno mormorando, das Duett zusammen mit dem Wildbad-Haudegen Lorenzo Regazzo als Tarabotto, geht insbesondere wegen seines Impetus schlicht unter die Haut. Baurzahn Anderzhanov als Ormondo stellt seine wachsende Vertrautheit mit großen Bassbariton-Partien unter Beweis, von denen Rossini einige zu bieten hat. Sein Gesang ist vital, imposant und selbstbewusst. Zum Glück wird er nur im Libretto auf ewig verdammt, dem Belcanto-Festival wird er wohl erhalten bleiben. Eine äußerst positive Überraschung bildet Artavazd Sargsyan mit angenehmem Timbre in der irritierenden Partie des Herzogs, die aber seinem Tenorschmelz einigen Freiraum eröffnet. Im Finale Tacita notte oscura verströmen die singenden Akteure Belcanto pur. Wie in der Geschichte für Isabella rundet sich alles zum Besten. Ein Chor wird nicht vermisst, wie übrigens in der ganzen farsa. Rossini hat ihn auch erst gar nicht gewollt, um die Aufführungsbedingungen berechenbarer zu halten.

Starker Applaus und Bravi-Rufe schlussendlich. Darin mag auch Anerkennung für den Regietrick Schönlebers mitschwingen, dem Publikum bei sommerlichen Temperaturen selbst bei einer Kurzoper eine Pause gegönnt zu haben. Der Festspielchef nutzt einen, wie er meint, natürlichen Break: „Wenn man die Farsen Rossinis genau anschaut, haben sie in der Mitte oft eine starke Zäsur. Ich finde es geradezu hilfreich, wenn man sie mit Pause spielt.“ Niemand unter denen, die so unverhofft zwischendurch an der Enz entlang schlendern können, nimmt das übel. Im Gegenteil.

Ralf Siepmann

 



Fotos: Patrick Pfeiffer