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Fakten zur Aufführung 

ORPHEUS UND EURYDIKE
(Christoph Willibald Gluck)
28. Juni 2015
(Premiere am 25. Juni 2015)

Hessisches Staatstheater Wiesbaden


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Im Tod vereint

Operngänger verhalten sich gegenüber Gluck eher distanziert. Unbestritten ist sein Rang als Opernreformator, doch seine Werke hören, sehen? Aktuell belegt das das Publikum im Staatstheater Wiesbaden. Viele Plätze bleiben unbesetzt, wenn Konrad Junghänel den Taktstock zur ersten Aufführung nach der Premiere hebt. Am Ende outen sich die Besucher. Frenetisch applaudieren sie. Orpheus und Eurydike, dargeboten in einer Verbindung aus historisch zu begründender Klang-Askese und tragischer Kälte, erfüllen ihre Erwartungen. Der inszenierte Selbstmord von Orpheus berührt sie nicht.

Dramaturgin Katja Leclerc deutet in ihrem Essay zur Wiesbadener Aufführung „Ehekrach“ und „schwere Despression“ als die Kernthemen in dieser Gluck-Oper. Tatsächlich reden Eurydice und Orpheus in der entscheidenden Phase ihrer Begegnung auf dem Weg aus der Unterwelt konsequent aneinander vorbei. So lange diese Szene abläuft, verzweifelt der Zuschauer. Sie sehnt sich nach Liebesbeweis, er setzt auf Vertrauen, beide vertreten ihre Position unverrückbar, uneinsichtig, zum Scheitern verurteilt. Orpheus muss sich gar nicht umdrehen. Das zeigt Regisseur Ingo Kerkhof.

Sein Orpheus ist ein moderner Bohemien, der in einem luxuriösen, klassizistisch angehauchten Altbau lebt. Die Bühne hat Gisbert Jäkel angerichtet. Der unerwartete Tod seiner geliebten Eurydice hat Orpheus in tiefe Depression gestürzt. Leere Kartons vom Pizzaservice stapeln sich neben offenen Weinflaschen auf Tisch, Gesims und Boden. Es ist düster und kalt. In diesem Umfeld vegetiert Orpheus vor sich hin, verfällt in seinen Wahn, stirbt unbemerkt, verwest. Das Aufräumkommando in Schutzkleidung – die Kostüme verantwortet Stephan von Wedel – im zweiten Akt weckt solche Assoziationen auf das Ende seiner Geschichte, in Zeiten der Single-Haushalte ein spannender realer Bezug. Gluck sah das in seiner Version nicht vor.

Tragische und klassizistische Reinheit strebte Christoph Willibald Gluck an, als er seine Zusammenarbeit mit dem Abenteurer und Theaterdichter Ranieri de’ Calzabigi begründete, um der italienischen Oper Mitte des 18. Jahrhunderts etwas ganz Neues entgegenzustellen. Bis dahin ein unentwirrbares Knäuel aus Intrigenhandlungen und Koloraturen, schuf Gluck zum Sujet, das hauptsächlich aus Metamorphosen von Ovid besteht, und mit einer konsequenten Reduktion auf schlichte Melodik seine Reformoper Orpheo ed Euridice im Zeichen von Klarheit und Ebenmaß, Schlichtheit und Dichte.

Orpheus, Inbegriff des edlen Sängers, klagt um seine Eurydice. Mit der Sprache der Musik überwindet er, was menschenunmöglich erscheint. Gott Amor höchstpersönlich erteilt ihm eine Ausnahmegenehmigung. Er darf Eurydice aus der Unterwelt ins Leben zurückführen. Einzige Bedingung: Auf dem Weg darf er sich nicht umdrehen. Das gelingt ihm nicht. Noch einmal überzeugt der klagende Sänger und erhält dafür seine Eurydice.

Dieses „lieto fine“ ist in Kerkhofs Inszenierung nicht möglich. Orpheus schluckt eine Überdosis Tabletten, die ihm nicht helfen, seine trostlose Traurigkeit zu vertreiben. Am Ende schließt sich der Kreis. Bevor er in den endlosen Schlaf versinkt, legt er sich in gleicher Haltung, wie er seine tote Eurydice in der täuschend ähnlichen Verwandlung des Amor im ersten Bild fand, auf den nackten Bühnenboden. Das ist sein Weg zur Wiedervereinigung mit der Geliebten.

Weil Gluck der italienischen Oper seinen Orpheus entgegensetzen wollte, schuf er eine erste Fassung in italienischer, danach eine zweite in französischer Sprache. Der Unterschied besteht in der Besetzung der Titelpartie. In der italienischen Fassung sah Gluck einen Alt-Kastraten vor, in der französischen schrieb er die Titelpartie für einen Tenor.

Wiesbaden entscheidet sich für die ältere, 1762 in Wien uraufgeführte Fassung. Den Orpheus singt eine Frau, Franziska Gottwald. Sie setzt auf zartes Timbre und differenzierte Tongestalt im Willen um bedingungslos makellosen, schönen Gesang. So löst sie sich aus dem berauschend satten Klang des Chores in der Einstudierung von Albert Horne am Anfang und schildert düsterste Betrübnis bis zur Kapitulation im dritten Akt mit der weltberühmten Arie Che farò senza Euridice. Die beabsichtigte Wirkung greift nicht.

Konrad Junghänel scheint dem Orchester keinen Grad an Schönheit und Wärme zuzugestehen. In jedem Moment wirkt der Orchesterklang zu laut, zu scharf, zu manieriert, in der Intonation trübe, vordergründig aufgesetzt im Klang. Eurydike-Darstellerin Heather Engebretson kann das zwar übersingen, erzeugt dabei jedoch ebenfalls eine unangenehme Schärfe. Stella An in der Rolle des Amor ist ihr stimmlich wie optisch allzu nahe. Das Werk an sich verleitet zu asketischer Wiedergabe. Junghänel jedoch übertreibt und reißt alles mit sich.

Christiane Franke

Fotos: Paul Leclaire