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Fakten zur Aufführung 

THE TEMPEST
(Thomas Adès)
24. Juni 2015
(Premiere am 14. Juni 2015)

Wiener Staatsoper

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Üppige, magische, aber auch unterhaltende Bilder

Wahrscheinlich ist The Tempest von Thomas Adès eine der erfolgreichsten modernen Opern der letzten Jahre. Denn nicht nur die Uraufführung dieser seiner zweiten Oper 2004 in London Covent Garden war beim Publikum ein großer Erfolg, sondern auch die späteren Aufführungen in mehreren Städten noch dazu in so erstaunlich kurzer Zeit. So wurde das Musikdrama des heute 44-jährigen und viel aufgeführten Komponisten bereits in Straßburg, Kopenhagen, Santa Fe, Frankfurt, Lübeck, Québec, New York und jetzt als österreichische Erstaufführung an der Wiener Staatsoper gezeigt. Wobei die Opéra de Québec ebenso wie die Met als Koproduzent dieser Produktion auftreten. Die Kritik war jedoch entzweit: Während das angelsächsische Feuilleton den Briten zum Nachfolger von Benjamin Britten ausriefen, rümpften die deutschen Kritiker fast einhellig die Nase über den „zeitgenössischen Wohlfühlkomponisten“.

Meredith Oakes verfasste das Libretto, das auf William Shakespeares gleichnamigem Schauspiel Der Sturm basiert und dem Original inhaltlich bis auf einige Kürzungen, Umstellungen und dramaturgische Akzentverschiebungen ziemlich genau folgt.

Der kürzliche Erfolg basiert aber auch auf der einnehmenden, detail- und ideenreichen Regie von Robert Lepage und Ex Machina,einer innovativen, multidisziplinären Kompanie, mit denen der kanadische Regisseur viel und weltweit erfolgreich zusammenarbeitet, die sich gemeinsam reichlich in der theatralischen Trickkiste bedienen. So wird auf der Insel des Prospero, wo er seine Rache an seinen, ihm Böses zufügenden Feinden nehmen will, die Mailänder Scala nachgestellt. Das Bühnenbild, das von Jasmine Catudal stammt, zeigt das renommierte italienische Opernhaus in verschiedensten Perspektiven: Einmal von der Bühne in den Zuschauerraum, einmal genau umgekehrt und im letzten Akt als Querschnitt. Dadurch verschwimmen die Ebenen: Alle Personen sind zugleich Opfer von Prosperos Zerstörungswut, aber auch Zuschauer einer faszinierenden Theaterwelt. Was die Produktion aber außergewöhnlich werden lässt, sind die aufwändige Üppigkeit, die magischen und poesievollen Bilder und die feine Sinnlichkeit, mit denen Lepage verzaubert: Gleich zu Beginn dreht sich zum aufziehenden Sturm ein riesiger Kronleuchter, in dem Ariel in immer durchchoreographierten, artistischen Posen hängt. Ein riesiges, stark wallendes Tuch wird in Windeseile über die Vorderbühne gezogen, reißt das kleine Holzschiffchen weg und symbolisiert den heftigen Sturm. Aus dem sich aufblähenden Stoff tauchen immer wieder die mit den Wellen kämpfenden Passagiere auf. Es sind überhaupt immer wieder die ganz besonderen Auftritte dieses Luftgeistes, die beeindrucken: Mehrmals von einer Brücke, eine Art Schnürboden der Scala, wo er am Geländer herumbalanciert, einmal von fast unsichtbaren, schwarzen Händen aus der Versenkung der Hinterbühne emporgehoben, dann wieder wie ein schwebendes, furchterregendes Mittelding von Raubvogel und Spinne und immer ganz in Silber kostümiert und geschminkt. Apropos Kostüme: Diese sind ungemein fantasievoll und ästhetisch und stammen von Kym Barrett. So ist etwa der Zauberer Prospero halb wie ein Insulaner bemalt oder halb mit zersausten Uniformresten wie eben der ehemalige Herzog von Mailand gewandet. Die ganze schiffbrüchige Hofgesellschaft ist mit edlen Abendroben ausstaffiert worden. Das einzige, woran an diesem zeitgenössischen, effektvollen, bunten Unterhaltungstheater herumgemäkelt werden könnte: Hin und wieder wird mehr auf Ausstattung denn auf eigentliche Personenführung Wert gelegt.

Die Sänger stellt Adès vor aberwitzige Aufgaben, sowohl was Rhythmik, aber auch die extreme Tessitura betrifft, die aber das Ensemble mit bewunderungswürdiger Souveränität löst: Man kann es nicht glauben, dass man solche Höhen bis zum dreigestrichenen e und solch extreme Intervalle überhaupt und sauber singen kann, die Adès für den Luftgeist Ariel erdacht hat. Aber Audrey Luna ist nicht nur schwindelfrei und kann sich nicht nur vollendet wie eine Tänzerin bewegen, sondern auch zwitschern und tirilieren wie ein Vogel und die stratosphärischen Koloraturkaskaden mit phänomenaler Bravour erklimmen. Adrian Eröd singt den Prospero mit edlen, eleganten und warmen Tönen und muss das Baritonregister auch völlig ausreizen. Thomas Ebenstein gibt den wie ein borstiges Fantasietier ausgestatteten, bösen und intriganten Caliban, der mit seinem Tenor auch in ungeahnte Höhen vorstoßen kann. Als Tochter des Prospero, Miranda, ist die im Spiel leicht überzeichnende Stephanie Houtzeel zu erleben, die aber mit wunderbar sanften Bögen und feinen Phrasierungen singt. Ihr Geliebter Ferdinand, ertrunken geglaubter Sohn des Königs von Neapel, dem Erzfeind von Prospero, singt Pavel Kolgatin mit schönem lyrischen, aber etwas zu kleinen Tenor. Als sein Vater, der König, singt Herbert Lippert einen gefühlvollen Trauergesang. Der böse Bruder von Prospero Antonio, der am Komplott gegen diesen federführend mitgewirkt hat, singt Jason Bridges etwas blass. Sorin Coliban ist ein stimmgewaltiger, gütiger Diener Gonzalo, der Prospero seinerzeit das Leben gerettet hat, indem er ihm unerlaubt und ohne Wissen der anderen viel mehr Proviant und Bücher ins Boot gepackt hat. David Pershall ist ein solider Sebastian, Dan Paul Dimitrescu ein gemeinsam mit seinem Saufkumpanen Trinculo ständig betrunkener, aber gut singender Stefano. Der Chor der Wiener Staatsoper, der von Thomas Lang wieder profund einstudiert wurde, singt sehr homogen.

Nicht nur weil es vielleicht als schick gilt, zeitgenössische Oper zu mögen, wurde Adès‘ Oper so erfolgreich. Der geschickte Musikhandwerker bedient sich dabei in der gesamten Palette der Operngeschichte.  Man erlebt Anlehnungen an barocke Formenwelten bis hin zu grellen Dissonanzen. Er bedient und mischt Farben und Stile nach Belieben bis zu schillernder Polystilistik. Er instrumentiert brillant und hat offenbar Theaterinstinkt: Denn er kann mit wenigen Strichen Situationen erklären, Emotionen erzeugen und auch dramaturgische Eskalation betreiben. Er kann aber auch zarte, behutsam skizzierte Passagen von zerbrechlichen Seelen erzeugen, wie etwa bei der aufflammenden Liebe von Miranda und Ferdinand. Dazwischen gibt es aber auch einfache Untermalungsmusik, die auch ins Geräuschhafte abschweift. Wie schon bei anderen Aufführungen steht Thomas Adès selbst am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper, die das alles mit Bravour, Sensibilität und großer Differenziertheit erklingen lassen.

Großer Jubel des Publikums erklingt vor allem für Prospero und Ariel, Orchester und den dirigierenden Komponisten.

Helmut Christian Mayer

 



Fotos: Michael Pöhn