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Fakten zur Aufführung 

LA STRANIERA
(Vincenzo Bellini)
26. Januar 2015
(Premiere am 14. Januar 2015)

Theater an der Wien


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Eine nur musikalisch wertvolle Belcanto-Rarität

Es gibt etliche Opernlibretti, die sind unlogisch, ja hanebüchen und verworren. Und dann gibt es welche, die sind einfach nur noch dumm. Jenes von La Straniera von Felice Romani zählt zweifellos zur letzteren Kategorie. Denn die Geschichte von Gräfin Agnes, die ein Leben mit dem französischen König Philippe-Auguste aufgeben musste, weil sich dieser nicht scheiden lassen durfte und jetzt als Alaide in der Bretagne in der Verbannung als Fremde leben muss und dort vom Grafen Arturo vergeblich geliebt wird, ist einfach nicht mehr nachvollziehbar. Zudem will der unglücklich verliebte Edelmann seine Braut Isoletta noch am Tag seiner Hochzeit verlassen. Er ersticht sich dann doch noch nach geschlossener Ehe, als er erfährt, dass der jetzt plötzlich frisch verwitwete König seine einstige Geliebte nun doch auf den Thron hebt. Zu allem Überfluss glaubt Arturo noch seinen Freund und vermeintlichen Nebenbuhler Valdeburgo in einem Duell getötet zu haben, der sich dann aber als quicklebendiger Bruder der Fremden erweist. Alles logisch und klar?

Trotz dieser Absurditäten und der Tatsache, dass das Libretto keine Schlüssigkeit anstrebt und sich der Komponist nur für die außergewöhnliche Situationen und die Psyche der handelnden Personen interessierte, hatte die vierte der insgesamt zehn Opern von Vincenzo Bellini bei der Uraufführung 1829 in Mailand großen Erfolg. Sie wurde 1831 bereits in Wien und Graz mit deutschem Libretto nachgespielt und brachte es im 19. Jahrhundert auf rund 180 Produktionen. Es ist die radikalste Partitur Bellinis, der hier die Grenzen zwischen Rezitativ und Arie zugunsten eines Dauer-Ariosos verwischt hat. Schließlich geriet das Werk aber bald in Vergessenheit.

Wegen der immensen Anforderungen an die Titelrolle ist es wie geschaffen für eine Primadonna des Belcantos. Deswegen nahm sich Edita Gruberova dieser Rolle an, führte sie schon 2013 konzertant im Wiener Konzerthaus und anschließend in Zürich in der Regie von Christoph Loy szenisch auf, eine Produktion, die jetzt im Theater an der Wien zu erleben ist.

Der Regisseur, der hier am Haus schon mehrfach und erst letzten Herbst Tschaikowskys Charodeyka inszeniert hat, unternimmt auch gar nicht den Versuch, die Handlung zu entwirren und Logik in die verworrene Handlung hineinzubringen. Er deutet die Geschichte als Reihe traumatischer Ereignisse und konzentriert sich auf die Gefühle der völlig verstörten Protagonisten, zeigt sie alle als Grenzgänger, die in schwarz-graue und nur manchmal weiße Kostümen von Ursula Renzenbrink gesteckt werden, die an das 19. Jahrhundert, der Entstehungszeit der Oper, gemahnen. Überall hängen in dem braunen, hölzernen Einheitskasten, denn Annette Kurz bauen ließ, Seile herab. Es sind offenbar die vielen Fallstricke des Lebens, aber auch der Intrige, die der Schurke Osburgo von der Seite her immer wieder herablässt. Er scheucht immer wieder den Chor und die Statisten etwas künstlich wirkend herum, offenbar, um mehr Agilität zu erzeugen. Sonst hantelt sich Loy routiniert durch den Abend. Wie auch sonst soll man so einen Plot inszenieren?

Ein Kapitel für sich ist immer noch die „slowakische Nachtigall“, wie sie von ihren Fans genannt wird, Edita Gruberova, die Anfang nächsten Monats in der Wiener Staatsoper mit einem Galakonzert ihr 45-jähriges Bühnenjubiläum feiern wird. Wenn auch bei der mittlerweile 68-jährigen Primadonna mehr schärfere Töne speziell in der Höhe zu hören sind, wenn auch ihre Piani nicht mehr so ungetrübt aus dem Nichts kommen, wenn auch so manche Intonation zu tief angesetzt ist, so kann sie immer noch mit ihrer phänomenalen Koloraturtechnik, absoluter Höhensicherheit und intensiver Ausdruckskraft begeistern und ihren singulären Ausnahmerang sichern.

Nach ihr fasziniert auch Franco Vassallo als ungemein warmstimmiger Barone Valdeburgo mit seinem auffallend schönen, noblen, kultivierten und höhensicheren Bariton. Dario Schmunck als verzweifelt liebender Arturo, Conte di Ravenstel, der nicht einmal eine eigene Arie singen darf, zeigt mit seinem nicht allzu großen Tenor ungetrübte Höhen. Die junge Therese Kronthaler singt die sitzengelassene, fahrige Braut Isoletta mit Agilität und Leidenschaft. Der intrigante Schurke Osburgo wird von Vladimir Dmitruk mit kräftig-hellem Tenor gesungen. Aufhorchen läst auch Stefan Cerny mit mächtigem, schönem Bass als Prior, der seinen Auftritten viel Nachdruck und Eindringlichkeit beschert. Ungemein spielfreudig und ausgewogen erlebt man wie immer der wunderbaren Arnold-Schoenberg-Chor unter der Leitung von Erwin Ortner.

Bellinis Musik atmet neben der Schilderung von Naturschönheiten vor allem Melancholie und tiefe Beschwernis. Paolo Arrivabeni am Pult lässt das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien, das mit auffallend vielen perfekten Soli in den eigenen Reihen glänzt, nur manchmal mit überbordender Lautstärke spielen. Klangschönheiten und Dramatik sind spürbar, aber zu wenig Spannkraft, Elastizität und intimer Charme.

Das Publikum im bis auf den letzten Stehplatz ausverkauften Theater an der Wien lässt sich bei allen Aufführungen zu Jubel und unvorstellbaren Ovationen hinreißen.

Helmut Christian Mayer



Fotos: Monika Rittershaus