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Fakten zur Aufführung 

DIE NASE
(Dimitri Schostakowitsch)
28. September 2015
(Premiere am 22. September 2015)

Neue Oper Wien


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Skurrile Suche

Unwillkürlich spürt und denkt man einen störrischen Juckreiz in der Nase, wenn die ersten Töne des Vorspiels erklingen: Mit jugendlicher Unbekümmertheit hat der erst 22-jährige Dimitri Schostakowitsch bei seiner Erstlingsoper Die Nase – die Uraufführung fand 1930 in Leningrad, die österreichische Erstaufführung 1978 beim Carinthischen Sommer in Villach statt – scheinbar alles frech durcheinander gewirbelt, was ihm gerade so zuflog: Schräge Polkas und Märsche, sakrale Gesänge, folkloristische Elemente, atonale Reibereien, Lautmalereien, kühne Instrumentationen und all das bei ständigen Taktwechseln wie auch das erste ausgedehnte Schlagwerk-Intermezzo der Opernliteratur überhaupt. Insgesamt ist es ein autonomer Musikstil mit ironischer Dialektik und auch mit einer präzise an Webern orientierten Reihentechnik.

Diese komplexe, turbulent sarkastische Partitur weiß das Amadeus-Ensemble Wien, das hinsichtlich der Originalbesetzung des Komponisten nur bei den Streichern reduziert ist, unter dem rührigen Leiter Walter Kobéra ungemein präzise und doch mit spaßiger Lockerheit zu präsentieren.

Schostakowitsch hat sechs Opern geschrieben, Die Nase ist seine erste und heißt auf Russisch Nos – verkehrt gelesen heißt es Son, und das bedeutet Traum. Ist es nun Traum oder Wirklichkeit, was sich da abspielt? Denn eigentlich gilt die absurde Farce mit ihren 16 grotesken Szenen nach Nikolaj Gogol als erstes surreales Prosastück. Sie handelt von Platon Kusmitsch Kowaljow, seines Zeichens Kollegienassessor, einem speziellen Beamten, der eines Tages ohne Nase erwacht. Die hat sich in der Zwischenzeit selbstständig gemacht, spaziert abenteuerlich herum und taucht letztlich doch wieder im Gesicht des ursprünglichen Besitzers auf.

Das Werk, das die Absurditäten und Inkompetenz der Beamtenwelt in der Zeit Zar Nikolaus II anprangert und kritisch beleuchtet, ist unterhaltsam und pointiert. Es wird von Matthias Oldag abwechslungsreich, rasant, mit herumwirbelnder, ja geradezu wilder, witziger Personenführung und Charakterzeichnung immer wieder unter Einbeziehung des Zuschauerraums und des Balkons gezeigt. Die kleine Kammeroper am Fleischmarkt, die diesmal als Spielstätte für die Neue Oper Wien dient, wird dadurch fast zu eng. Schnell verwandelbar ist der Bühnenraum, wobei eine Art großes Regal als Hauptausstattungselement dient. Es ist das Bett, aus dem der Nasenlose hervorkriecht. Es ist liegend die Zeitungsredaktion, auf der die Redakteure mit ihren Laptops arbeiten. Es ist aber auch die Kirche. Die Bühnenszene, die gesamte Ausstattung stammt von Frank Fellmann, ist mit einem riesigen Artikel über den Ukraine-Konflikt ausstaffiert. Man lacht, leidet mit und staunt über die sorgfältig herausgearbeiteten Details.

An die 60 Partien umfasst die Oper, die von einem guten, alle bis auf den Hauptdarsteller in mehreren Rollen agierenden und alle mit abgepickter Nase singenden Ensemble präsentiert wird. Dabei gelingt es den Protagonisten, diesen mehr oder weniger skurrilen Charakteren eigenständiges Profil zu verleihen: Allen voran ist Marco Di Sapia, Ensemblemitglied der Volksoper,  ein nasenloser Kowaljow, der mit wohlklingendem, teils etwas kehligem Bariton seine wahrlich Mitleid erregende, verzweifelte, ja albtraumhafte Suche nach dem abhanden gekommenen Organ aufnehmen muss. Lorin Wey singt seinen wunderbar komischen und höhensicheren Diener Iwan. Igor Bakan ist ein sehr präsenter Barbier. Alexander Kaimbacher ist die glänzend singende, riesige goldene Nase in Gestalt eines Staatsrates mit „Amtskappl“. Pablo Cameselle singt mit einem durchdringenden Tenor und ist unter anderem ein Kommandant einer Polizeisondereinheit, die wie Soldaten mit Helmen auftauchen und mit Sturmgewehren herumfuchteln. Georg Klimbacher, Ethel Merhaut und Megan Kaths wie auch der Wiener Kammerchor unter der Leitung von Michael Grohotolsky  beeindrucken.

Großer, uneingeschränkter Jubel herrscht in der Kammeroper. Die erfolgreiche Produktion wird außerdem in Budapest, Bozen und Trient gezeigt.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Armin Bardel