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Fakten zur Aufführung 

LA JUIVE
(Jacques Fromental Halévy)
7. März 2015
(Premiere am 23. Oktober 1999)

Wiener Staatsoper


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Die Rolle seines Lebens

Sie ist zweifellos keine Oper, bei der man sich entspannt oder bequem zurücklehnen kann, vielmehr ist sie von der Thematik her derart aufwühlend, dass sie niemanden kalt lässt. Denn wie kein anderes Werk des 19. Jahrhunderts thematisiert La Juive von Jacques Fromental Halévy den Konflikt zwischen Juden und Christen so eindringlich und radikal wie diese 1835 in Paris uraufgeführte Oper. Und obwohl die Inszenierung von Günther Krämer bereits aus dem Jahr 1999 stammt, wirkt die Wiederaufnahme jetzt an der Wiener Staatsoper ungemein frisch und mitreißend.

Dem Regisseur gelingt das mit einer optisch intelligenten Schwarz-Weiß-Zeichnung: Weiß für die Welt der Christen, schwarz für jene der Juden. Und einer eben solchen räumlichen Trennlinie von oben und unten. Auf der oberen Ebene, allerdings in Schieflage, bewegen sich die Christen, unterhalb derselben die Juden. So wird die helle Oberwelt der Habsburger mit der dunklen Unterwelt des Goldschmiedes Eléazar kontrastiert. Erstere sind mit hellen, älplerischen Trachten, mit Dirndln und Lederhosen ausstaffiert und winken immer wieder Fähnchen schwingend herum, was zeitweise etwas nervig wirkt, letztere tragen schwarze, strenge Gewänder. Die Ausstattung stammt von Gottfried Pilz und Isabel Ines Glatbar. Zweifellos ist La Juive Günther Krämers eindringlichste Wiener Regiearbeit, wenn auch von der Premiere die Personenführung nur noch rudimentär vorhanden ist. Vor allem schafft es Krämer, das Finale zu einem packenden Opernthriller werden zu lassen.

Zugeschnitten ist die Inszenierung auf eine Person, die schon bei der Premiere im Oktober 1999 den Eléazar verkörperte, auf Neil Shicoff. Und der machte es diesmal ziemlich spannend. Denn der Tenor sagte die ersten beiden Termine der aktuellen Wiederaufnahmeserie an der Wiener Staatsoper wegen einer Kehlkopfentzündung ab, den ersten Termin noch dazu so knapp, dass für diesen sogar eine Programmänderung notwendig war, weil so kurzfristig kein Ersatz gefunden werden konnte. Man spielte statt La Juive Donizettis Liebestrank. Doch nun ist er da, gesund, und bekommt gleich frenetischen Auftrittapplaus, und er haut sich, wie immer, in seine Rollen voll hinein. Wahrscheinlich ist der Eléazar die Rolle seines Lebens. Denn wie er den Juden singt und gestaltet, ist wohl einzigartig. Er spielt ihn eigentlich gar nicht. Er ist es! Und das mit einer sagenhaften Bühnenpräsenz. Obwohl schon 65 Jahre alt, bringt er trotz eines vorsichtigen Beginns und einiger rhythmischer Eigenheiten und doch schon einiger stimmlicher Verschleißerscheinungen die Verbitterung und den Zorn des gedemütigten Goldschmiedes packend über die Rampe. Besonders seine Schlussarie Rachel, quand du Seigneur, die seine Zerrissenheit zwischen Vaterliebe und Rache widerspiegelt, sein beklemmendes Selbstgespräch von Schuld und Vergebung, wird zum Ereignis. Es ist diese unbeschreibliche Klage, wenn der zum Tod verurteilte Jude Eléazar zwischen Rache, Gerechtigkeit und Milde, zwischen Hass und Liebe hin- und hergerissen ist: Soll er seine Tochter Rachel vor der Hinrichtung bewahren, indem er ihr und der Welt verrät, dass sie in Wahrheit von christlichen Eltern abstammt und er sie nur aufgezogen hat? Oder schlägt endlich die Stunde der Vergeltung, da doch der Ankläger, Kardinal Brogni, Rachels leiblicher Vater ist und einst Eléazars Söhne hat töten lassen?

Ihm zur Seite steht die junge Olga Bezsmertna als seine vermeintliche Tochter Rachel, die mit Innigkeit und Sensibilität begeistert, deren Höhen jedoch etwas an Schönklang einbüßen. Die blutjunge Einspringerin Hila Fahima gibt eine mädchenhafte, glockenreine und koloraturensichere Prinzessin Eudoxie mit kleinem, aber sehr schönem Sopran, wenn auch etwas blassem Ausdruck. Dan Paul Dimitrescu ist ein stimmgewaltiger, balsamisch weich singender Kardinal Brogni, der Gegenspieler von Eléazar, bleibt aber dabei immer ein sehr menschlicher kirchlicher Würdenträger. Jason Bridges schöner, lyrischer Tenor in der anspruchsvollen Partie des Léopold ist für das Haus zu klein. Gabriel Bermúdez gibt einen kernigen Ruggiero. Ohne Tadel singt Marcus Pelz den Albert. Klangschön und darstellerisch in uniformierter Bigotterie und blankem Antisemitismus erlebt man den Staatsopernchor, der von Thomas Lang bewährt einstudiert wurde.

Frédéric Chaslin vermag am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper alle Fassetten der raffinierten Partitur auszuloten und die Zuhörer schon vom ersten Ton bis zum Finale mit großer Spannung anzupacken.

Das Publikum jubelt über 15 Minuten allen Protagonisten zu und steigert sich beinahe ins hysterisch Frenetische, als Shicoff erscheint und sichtlich gerührt die vielen bravi und Blumen entgegennimmt.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Michael Pöhn