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Fakten zur Aufführung 

HERZOG BLAUBARTS BURG/ GEISTERVARIATIONEN
(Béla Bartók, Robert Schumann)
23. Juni 2015
(Premiere am 19. Juni 2015)

Wiener Festwochen,
Theater an der Wien

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Die seufzende und blutende Burg

Es ist ein völlig rätselhaftes Werk: die einzige Oper Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók, 1911 entstanden und sechs Jahre später in Budapest uraufgeführt. Denn eigentlich ist es nicht nachvollziehbar, warum Judith diesem verstockten, schweigsamen Macho Blaubart in dessen geheimnisvolle, dunkle Burg ohne Erker und Fenster folgt. Was kettet sie an ihn, und was hat sie erlebt, dass sie selbst so verhärmt ist? Warum hält Blaubart seine sieben Türen verschlossen?

Deswegen ist es ungemein schwierig, dieses etwa einstündige, symbolträchtige, abgründige Werk, in dem die Liebe zuvor noch nie so verstörend gezeigt wird und dessen Libretto von Béla Balász einem alten Märchenmotiv folgt, wegen seiner fehlenden Handlung wirkungsvoll in Szene zu setzen. Zumal der ungarische Komponist auf die eigene Vorstellungskraft des Betrachters setzt. Alle visuellen szenischen Umsetzungen, wie eindrucksvoll oder evokatorisch sie auch sein mögen, schränken somit die Assoziationskraft der eigenen Phantasie ein.

Es ist eine Oper, die sich hellen Stimmen verweigert und nur mit einem Mezzosopran und einem Bass auskommt. Es ist auch eine Oper über verschiedene Räume, die sich hinter sieben Türen geheimnisvoll verbergen, keine realen Orte, sondern Seelenräume, die in das Innerste der Protagonisten blicken lassen. Wie überhaupt die immer wieder mystisch seufzende – was von den Musikern des Orchesters gekonnt besorgt wird – und blutende Burg eigentlich die Seele selbst darstellt. Deshalb ist es für Andrea Breth besonders reizvoll, in der Freud-Stadt Wien, in der sie schon lange lebt und schon Schauspiele, etwa von Schnitzler und Ibsen inszeniert hat, jetzt ihre erste Opernproduktion – sie hat Oper bis dato nur woanders gemacht – bei den Wiener Festwochen in Szene zu setzen.

Das Grauen beginnt in völliger Finsternis, erst ganz langsam erscheint das bleiche Gesicht von Blaubart. Dann nach geraumer Zeit beginnt er, seinen Monolog zu sprechen, und wieder dauert es lange, bis die Musik einsetzt. Die Regisseurin lässt sich den ganzen Abend über im Theater an der Wien viel Zeit. So dauert es auch bis man die grauen Räume der Bühne, die von Martin Zehetgruber stammen, und die graue Kostüme der Darsteller, die Eva Dessecker erdacht hat,  erkennt. Kaum setzt Judith den ersten Schlüssel an die erste Türe, beginnt die Drehbühne jäh ihr Werk und gibt nacheinander verschiedene Schreckenskammernfrei. Es sind hässliche, graue Räume, an einen Kerker erinnernd, in denen sich immer wieder schweigende, seltsame, hässliche Figuren befinden. So liegt bereits im ersten Raum, in der Folterkammer, eine Leiche, und ein alter Mann versucht ständig, Blut von einem Tisch abzuwischen. Personen mit großen Uhren in den Händen befinden sich im zweiten. In der Schatzkammer, die wie ein schmuckloser Tresorraum einer heutigen Bank wirkt, behängt sich Judith exzessiv mit billigem Modeschmuck. Im prachtvollen Garten wird gerade jemand beerdigt. Blaubarts Weites Land ist ein schmutziger Haufen Erde, auf dem sich die beiden Protagonisten hinlegen. So wird vieles bewusst gegen Text und Musik inszeniert und ohne den Geschlechterkampf zu thematisieren. Blaubart scheint auch immer wieder die Kontrolle über sich verloren zu haben: Er rennt immer wieder gegen Wände oder hält sich die Ohren zu oder wippt sitzend vor und zurück. Es sind dunkle, kalte Aktionen und geradezu giftige Bilder, die sich festkrallen, und aus denen es kein Entrinnen gibt. Dann im sechsten Bild, ein See der Tränen,wobei das Wasser immer wieder suggestive Zeichnungen auf die Wand wirft. Die Musik dieses Bildes hat Bartók später zu seinem Herzstück für sein Konzert für Orchester verdichtet. Und schließlich kommen die früheren Frauen aus dem siebenten Raum, die gemeinsam mit Judith leblos zu Boden fallen. „Du warst eine schöne Frau“, sind die letzten Worte von Blaubart, bevor die Nacht hereinbricht und alles wieder wie zu Beginn in Dunkelheit versinkt. Breth inszeniert mit beklemmender Direktheit einen symbolträchtigen Stationenweg, eine albtraumhafte Reise durch dunkle Seelenlandschaften.

Bartók ignorierte auch sonst bewusst die meisten zeitgenössischen Opernkonventionen. Neben der kaum vorhandenen Handlung sind auch die beiden Stimmen keineswegs auf herkömmlich opernhafte Weise geführt. Herzog Blaubart wird von Gabor Bretz mit wunderbar schönem, markantem Bass mit makelloser Diktion und Phrasierung gesungen. Er ist ein dunkler Finsterling. Nora Gubisch singt die Judith mit glühendem Mezzosopran, expressiv und fassettenreich.

Das eigentliche Drama spielt sich jedoch im Orchester selbst ab.  Blaubarts innerstes Selbst wird langsam Schicht für Schicht durch eine Reihe von konkreten und sprachlichen Symbolen enthüllt. Zugleich entwirft der Komponist im Orchester eine Reihe von musikalischen Bildern, die im Laufe der Oper eine phantastisch gefärbte Traumwelt und somit eine einzigartige Synthese von Musik und Drama schaffen. Oszillierendes ist aus dem Graben zu hören. Dort erlebt man das Gustav-Mahler-Jugendorchester unter dem zukünftigen GMD von Hamburg, Kent Nagano, mit hochsensiblen Klängen und Farben, die die vom Komponisten gewünschte Klangfarbensymbolik unterstreicht, und großem Detailreichtum, der die beklemmende Kälte, aber auch schneidende Schärfe hervorhebt.

Nach einer intensiven Stunde wird man allerdings auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Viele Plätze bleiben nach der Pause leer. Diese Besucher dürften gewusst haben, was kommt. Einige Besucher verlassen dann noch während der Aufführung den Zuschauerraum. Denn Breth koppelt Bartóks genialen Einakter mit keiner weiteren Oper, sondern mit Robert Schumanns Geistervariationen, einem etwa zwölfminütigen Klavierstück, seinem letzten Werk vor seiner Einlieferung in eine Nervenanstalt. Das ist allerdings erst nach etwa 40 Minuten von Elisabeth Leonskaya wunderbar von der Hinterbühne durch eine offene Türe ziemlich verhangen zu hören. Davor erlebt man eine eigene Schöpfung von Breth – eine Fortsetzung der Oper? Jedenfalls wirkt der Abend recht künstlich gestreckt: Fliegengesurre, ein bellender Hund, ständig sich wiederholende Gesten. Man sieht die gleichen Darsteller wie zuvor, die in einem Altersheim oder in der psychiatrischen Klinik in einem hohen, holzgetäfelten Raum herumsitzen, Radiatoren putzen und völlig unzusammenhängend, nicht immer verständlich, Sinnloses vor sich hinbrabbeln. Während des Klavierstücks verlischt das Licht unendlich langsam, bis es wieder stockdunkel ist wie zu Beginn.

Trotzdem viel Applaus des Publikums ohne Widerspruch.

Helmut Christian Mayer

 



Fotos: Bernd Uhlig