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Fakten zur Aufführung 

HANS HEILING
(Heinrich Marschner)
18. September 2015
(Premiere am 13. September 2015)

Theater an der Wien


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Missbrauchsdrama ohne Märchenhaftigkeit

Zehn Jahre führt Roland Geyer nun schon sehr erfolgreich das Theater an der Wien und hat dieses in der österreichischen Bundeshauptstadt recht bald als bedeutend wahrgenommenes, zusätzliches Opernhaus etabliert. Dabei hat er sich bei seiner Programmauswahl, um nicht mit der Staats- oder Volksoper im Repertoire in Konkurrenz zu geraten, überwiegend auf die barocke Ära, die Moderne und ansonsten auf Raritäten spezialisiert.

So eine selten aufgeführte Oper ist Heinrich Marschners Hans Heiling, dessen Uraufführung 1833 unter Leitung des Komponisten erfolgreich in Berlin stattfand und die er zu Beginn seiner Jubiläumssaison angesetzt hat. Und er beweist noch mehr Mut, denn er vertraut die Inszenierung einem recht unerfahrenen Regisseur an, der zuvor erst einmal eine Oper, nämlich Hoffmanns Erzählungen, wegen kurzfristigen Ausfalls eines Regisseurs aus der Notheraus, inszeniert hat, nämlich sich selbst. Das typisch romantische Werk mit vielen übersinnlichen Schauereffekten spielt teils in der Geistersphäre und teils in der Menschenwelt. Das Libretto von Eduard Devrient ist kein Meisterstück. Er packt alles an Versatzstücken und erdenklicher Schaurigkeit hinein, was in der Epoche zu finden war und es wirkt dabei recht naiv und aufgesetzt. Es basiert auf einer alten böhmischen Sage aus dem 14. Jahrhundert und handelt von einer Erdenkönigin, die mit einem Menschen einen Sohn zeugt, der sich wiederum zu einem jungen menschlichen Mädchen Anna hingezogen fühlt. Und wie zu erwarten, endet das ganze fatal.

Aber Intendant Geyer begnügt sich nicht, die schaurige Geschichte einfach zu erzählen, sondern räumt alle Märchenhaftigkeit beiseite, lässt sie als Rückblick abspulen und stülpt auch noch eine inzestuöse Missbrauchsgeschichte drüber. Das erkennt man schon bei der Ouvertüre, einer der wenigen bekannten Teile der Oper, die Marschner, von dem man vielleicht noch die Oper Der Vampyr aus 1829 kennt, der aber zu dieser Zeit als der bedeutendste deutsche Opernkomponist galt, ungewöhnlicherweise nach dem Prolog eigentlich wie ein Zwischenspiel angesetzt hat: In immer wieder kurz aufflammenden Lichtspots sieht man das Aufwachsen des Titelhelden bei seiner Mutter vom Lustknaben bis zum Liebhaber inklusive angedeuteter, sexueller Inzesthandlungen. Die Chöre der Erdgeister, immer einheitlich uniformiert einmal wie die Mutter, dann wie Anna und schließlich Hans Heiling selbst, werden zu inneren Stimmen umfunktioniert. All das wird mehr oder weniger mit sparsamer, konventioneller Personenführung zwischen hässlichen Ziegelmauern mit Metallstiegen, die Herbert Murauer kreiert hat, gezeigt. Die nicht besonders ansprechenden Kostüme stammen von Sibylle Gädecke.

Bei den Sängern fasziniert einmal mehr Angela Denoke als Königin der Erdgeister mit enormer Präsenz, packendem Spiel und expressivem Gesang mit etwas zu starkem Tremolo. Michael Nagy kann den verhaltensgestörten Titelhelden mit exzessivem Spiel und Gesang der kraftvollen, markigen, aber auch noblen Lyrik seines Baritons überzeugend darstellen. Aufhorchen lässt der junge Peter Sonn als sein Gegenspieler Konrad mit wunderbar lyrischem Tenor mit viel Glanz, der von Heiling in wütender Eifersucht erstochen wird. Katerina Tretyakova, das junge Mädchen, um das sich alles dreht, ist eine hübsche Anna, die allerdings in der Höhe zu schrillen Tönen neigt. Bei den kleineren Rollen überzeugt noch Stephanie Houtzeel als ihre Mutter, die ganz besessen ist, dass ihre Tochter den finsteren, humorlosen Heiling, weil er eine so gute Partie ist, heiratet. Mit großer Stimmgewalt und Homogenität, aber auch Spielfreude ist einmal mehr der von Erwin Ortner geleiteten Arnold-Schoenberg-Chor zu hören.

Marschners Musik, die als Bindeglied zwischen Weber und Wagner zu sehen ist, ist typisch romantisch und lässt schon immer wieder den Fliegenden Holländer durchklingen. Der Gegenüberstellung zweier Sphären, der übernatürlichen, dunklen, mysteriösen Geisterwelt und der geborgenen, hellen Menschenwelt werden von Marschner auch musikalisch Rechnung getragen. Stilistisch schlägt sich diese Polarität zwischen ausgesprochen romantischem Gestus und Singspielton nieder. Sie ist bei dem jüngeren, aufstrebenden Dirigenten Constantin Trinks und dem ORF-Radiosymphonieorchester Wien in den besten Händen. Da wird sehr nuanciert, akzentreich und wie aus einem Guss musiziert.

Das Publikum ist von der Produktion sehr angetan, es spendet reichen Applaus, wenngleich das Haus bei weitem nicht ausverkauft ist.

Helmut Christian Mayer

 



Fotos: Herwig Brammer