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Fakten zur Aufführung 

ELEKTRA
(Richard Strauss)
29. März 2014
(Premiere)

Wiener Staatsoper


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Mörderischer Aufzug zur Hölle

Dunkel, bedrückend, heruntergekommen ist das Souterrain eines Palastes mit einem Kohlenkeller und einem angedeuteten, verdreckten Bad. Genau hier könnte der Mord an Agamemnon passiert sein. Denn hier hackt Elektra das Beil in die Wand, hier würgt sie ihre Mutter, hier werden nackte, blutverschmierte Frauen, offensichtlich Noch-Sympathisantinnen von Agamemnon, von uniformierten KZ-Aufseherinnen des herrschenden Regimes gequält, verprügelt und mit dem Schlauch brutal abgespritzt. In diese Hölle, dem Keller eines Diktators, kommt man von den derzeit Herrschenden aus den oberen Etagen nur mit einem eleganten Aufzug, einem Paternoster, die Bühne stammt von Rolf Glittenberg. In diesem schwebt Klytämnestra erstmalig herab, hier geschehen auch die schaurigen Morde.

In der ersten Regie von Uwe Eric Laufenberg an der Staatsoper zeigt er eine Elektra weit weg von jeglicher Antikisierung und lässt die kongeniale erste Zusammenarbeit von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss zu ihrer Entstehungszeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, spielen, als die Psychoanalyse Freuds schon im Kommen war. Er zeigt eine in sich schlüssige Konzeption, eine expressionistische Familiengeschichte mit glaubhaften Menschen, denen allerdings mehr aktive Personenführung gut getan hätte. Trotzdem gelingt es ihm, auch trotz der langen Szenen, deren Gefühle und Schwankungen darzustellen. Elektra, in einem Hosenanzug wie ein Mann gekleidet, ist die zentrale Figur in seiner Deutung. Er zeigt ihre Besessenheit von Hass, Rachegelüsten und Fanatismus ideal. In einem beinahe heilig gehüteten Koffer bewahrt sie wie Reliquien die Uniform des Agamemnon, seine Pistole, ein blutverschmiertes Tuch wie auch das ihm den Tod bringende Beil auf. Wenn er allerdings zum Finale dann unzählige verstümmelte Leichen im Aufzug auf und abfahren lässt, übertreibt er maßlos und wird zu plakativ. Zum Finale werfen die Aufseherinnenschnell ihre Uniformen weg und flüchten. Junge Menschen freuen sich schließlich tanzend über das Ende der Schreckensherrschaft. Elektra stirbt nicht, sondern ist plötzlich verschwunden.

Mit dieser Leistung steht sie jetzt zweifellos in der ersten Reihe der Interpretinnen: Nina Stemme ist wahrscheinlich derzeit als Elektra konkurrenzlos. Mit welchem Durchhaltevermögen, welcher Kondition und welchen, noch so extremen, mörderisch schweren Spitzentönen sie die Partie bei der neuen Produktion jetzt an der Wiener Staatsoper singt, ist schon sagenhaft. Sie weiß ihrem Sopran viele Farben, Fassetten abzugewinnen und speziell in der Erkennungsszene mit Orest intensiv zu berühren, wobei beide beinahe beischlafartig übereinander herfallen. Darstellerisch ist Stemme immer präsent, nie extrovertiert, sondern eher von innerer Verkrampftheit geprägt. Zu Recht ergießt sich ein Beifallsorkan über sie.

Ricarda Merbeth ist weit mehr als eine Einspringerin für die erkrankte Anne Schwanewilms. Sie singt die Chrysothemis blühend und durchschlagskräftig und wird nur manchmal von den Orchesterwogen zugedeckt. Anna Larsson als morbide Klytämnestra im Rollstuhl besticht mit messerscharfer Autorität, Wortdeutlichkeit und einem differenzierten Rollenporträt. Falk Struckmann ist ein ungemein bühnenpräsenter und stimmgewaltiger, etwas knorrig klingender Orest. Norbert Ernst im Outfit eines Diktators ist ein idealer Aegisth. Auch das übrige Ensemble ist tadellos und teilweise mit Ildikó Raimondi als 5. Magd und Wolfgang Bankl als Pfleger des Orest, der hier zum Mörder an Aegisth wird, luxuriös besetzt.

Mikko Franck, Ersatzmann für Franz Welser-Möst, der das Dirigat schon vor einiger Zeit zurückgelegt hat, dirigiert mit packendem Zugriff und energischen Gesten. Es gelingt dem finnischen Dirigenten, im Orchester der Wiener Staatsoper die vom Komponisten gewünschte mitreißende Spannung und archaische Mystik zu erzeugen. Und die Musiker entfalten eine luxuriöse Klangpracht, deren Phonzahl nur manchmal zu hoch ist.

Die Sänger, allen voran Nina Stemme, werden mit Ovationen gefeiert. Der Dirigent hat einige unverständliche Buhrufe einzustecken. Der Buh-Orkan, den Laufenberg zu erdulden hat, ist völlig überzogen.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Michael Pöhn