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Fakten zur Aufführung 

CHOWANSCHTSCHINA
(Modest Mussorgski)
30. November 2014
(Premiere am 15. November 2014)

Wiener Staatsoper


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Gefangen im Paternoster des Grauens

Am Anfang ist man schon schwer beeindruckt: Wenn die beiden hintereinander situierten, riesigen Eisenkonstruktionen hochfahren und bis auf drei Ebenen Personen hochhieven, dann macht das schon Wirkung. Noch dazu sind diese mit angebrannten Holzteilen verkleidet und mit vielen Kreuzen bewehrt. Dieses Bühnenbild, die Ausstattung stammt von Alexander Borovskiy, von Modest Mussorgskis Chowanschtschina an der Wiener Staatsoper soll wohl als Metapher für das Eingesperrtsein und die Hilflosigkeit der Masse sein, die sich in den engen Kobeln der Fahrstühle kaum bewegen kann, wie auch für die völlig undurchsichtigen politischen und religiösen Machtverhältnisse und grausamen Kämpfe im Russland in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts: Die Fürsten und anderen Machthaber sind oben, das einfache Volk sitzt unten im Keller.

Nur fünf Akte und fast viereinhalb Stunden lang fadisiert dieser Paternoster des Grauens. Zudem lässt er kaum Bewegung oder gar Spiel und kaum Interaktion zwischen den Personen zu. Die jeweiligen Auftritte finden nur von unten statt und sind jeweils geprägt von großer Statik. Ja, die gesamte, monotone, streng vertikale Inszenierung von Lev Dodin hat eigentlich oratorienhafte Züge. Diesen Eindruck kann auch nicht ein peinliches Ballett von persischen Sklavinnen verbessern, die in Burkas gewandet, auf engstem Raum, in der Choreographie von Yuri Vasilko einen Striptease vollziehen. Zudem gibt es lähmende, unnötige Zwischenvorhänge und Lichtpausen. Besonders schlimm wird es im fünften Akt, wenn sich das Volk mit dem Führer der Altgläubigen Dossifei der kollektiven Selbstverbrennung hingibt und fast zwanzig Minuten lang in schlabbriger Unterwäsche regungslos dastehen muss.

Zugegeben, die Geschichte zu dieser unvollendet gebliebenen Oper ist kaum durchschaubar. Wer mit wem oder gegen wen gerade ist, wer die Macht oder schon wieder verloren hat, ist nicht zu eruieren. Und es ist auch schwierig, den einzelnen Figuren zu folgen. Aber ein Minimum an szenischer Ausführung oder Deutung dürfte man schon erwarten.

Besänftigt wird man durch die musikalische Realisierung. Bei den Sängern gibt es eigentlich keine Schwachstelle. Ferruccio Furlanetto singt den Fürst Iwan Chowanski, den Anführer der konservativen Strelitzen, sehr nobel, eindringlich und hochemotional, dass es unter die Haut geht. Ain Anger als Dossifei, dem Anführer der Altgläubigen, hat sich mit seiner phänomenalen Leistung wohl endgültig in die erste Reihe der großen Bässe der Gegenwart gesungen. Ungemein mächtig und prächtig klingt sein Organ. Aber auch der Denunziant und Intimus der Zarewna Andrzej Dobber fasziniert als wohltönender, kraftvoller Schaklowity, der Iwan Chowanski letztlich umbringen lässt. Für die eher kleinere Rolle des Andrej Chowanski, der Sohn des Fürsten, hat man sich mit Christopher Ventris eine Luxusbesetzung geholt. Herbert Lippertals etwas fortschrittlicher Fürst Golizyn singt sehr expressiv.Auf den Spuren von Heinz Zednik wandelt Norbert Ernst als wunderbarer Schreiber. Elena Maximovahört manals intensive aber auch innige Marfa mit herrlichen Piani. Lydia Rathkolbals Susanna und Caroline Wenborneals Emma singen solide. Sehr homogen und stimmgewaltig erlebt man die vereinigten Chöre der Wiener Staatsoper, deren Einstudierung Thomas Lang besorgte, wie auch dem SlowakischenPhilharmonischen Chor, der von Jozef Chabron einstudiert wurde.

Und im Graben schwelgt und glänzt das Orchester der Wiener Staatsoper unter Semyon Bychkov, der wie einst der unvergessliche Claudio Abbado bei der letzten hier gespielten Premiere dieser Oper 1989 – das Werk wurde nunmehr seit 20 Jahren nicht im Haus am Ring gespielt – die Fassung von Schostakowitsch verwendete, jedoch nicht mit dem leisen Schluss von Strawinski. Der russische Maestro erzeugt packende Emotionen, lässt alle erdenklichen Farben erblühen und schillern, rollt dabei auch einen dunklen Teppich aus.

Großer Jubel beim Publikum im vollen Haus, bei der Premiere hat es heftige Ablehnung in Form von Buhs gegen den Regisseur gegeben.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Michael Pöhn