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Fakten zur Aufführung 

BLUTHAUS
(Georg Friedrich Haas)
15. Juni 2014
(Premiere am 21. Mai 2014)

Wiener Festwochen,
Theater an der Wien


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Musik

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Gefangene im Seelenkäfig

Blut ist in den Wänden eingeschrieben…“ – Da nützt auch die weißeste Farbe, die man unfertig aufgetragen auf den Mauern sieht, nichts mehr, denn das Allerschrecklichste lässt sich nicht übermalen. Und dieses Allerschrecklichste ist ein blutiger Kriminalfall, der sich hier in diesem Haus zugetragen hat. Denn hier wurde Nadja Albrecht von ihren eigenen Vater sexuell missbraucht. Als die Mutter das entdeckte, hat sie ihren Mann erstochen und sich selbst die Kehle durchgeschnitten. Das Haus atmet mit jeder Faser immer noch diese Tat. Und die Eltern geistern als Untote herum und sind allgegenwärtig, aber nur die Tochter kann sie wahrnehmen. Deswegen will Nadja es ja auch loswerden. Potenzielle Käufer erscheinen und flüchten, nachdem sie die Wahrheit erfahren haben. Da kann der Makler sich noch so sehr um einen Verkauf bemühen. Und Nadja bleibt Opfer, denn auch der Makler beginnt mit ihr ein sexuelles Verhältnis. Am Ende lässt sie sich im Haus, das im tiefsten Niederösterreich liegt, einsperren, denn die Geister der Vergangenheit lassen sie nicht los. Ein Inzestdrama also, für das es auch reale Beispiele in Österreich gibt.

Deswegen nennen die Autoren ihre Oper Bluthaus. Die Musik stammt von Georg Friedrich Haas, einem Steirer, der in Vorarlberg aufgewachsen ist, das Libretto schuf der Tiroler Klaus Händl. Uraufgeführt 2011 bei den Schwetzinger Festwochen, wurde das knapp zweistündige Musikdrama vom Komponisten neu überarbeitet und jetzt im Theater an der Wien im Rahmen der Wiener Festwochen als Uraufführung dieser neuerlichen Fassung präsentiert. Wobei bei der Handlung durchaus Assoziationen zu The Turn of the Screw von Benjamin Britten oder The Fall of the House of Usher von Philipp Glass, dessen Musiksprache auch immer wieder deutlich zu hören ist, wach werden.

So aufregend der Plot klingen mag, er hat auch seine Längen. Es fehlt ihm der lange Atem. Eine komprimierte Werkmitte und ein Verzicht auf so manche Nebenfigur hätten der Innenspannung besser getan. Regisseur Peter Mussbach, der auch ausgebildeter Psychiater ist, ist bei dieser Geschichte in seinem Element. Er vermeidet alles Plakative und allzu sexuelle Deutlichkeit. Er vermittelt zwischen Realem und Irrealem, setzt sensibel auf viele subtile Details und auch auf die Wirkung seines eigenen zweigeschossigen Bühnenbildes, das durch die Weite des weitläufigen, offenen Hauses, aber auch die klaustrophobische Enge eines goldenen Kubus, in dem alle Protagonisten plötzlich gefangen zu sein scheinen, als die Wahrheit über das Haus zu Tage tritt, immense Stimmung erzeugt.

Den Text kommt in rasendem Staccato und in kurzen Sätzen daher. Wörter, Phrasen, Halbsätze fallen wie Dominosteine herab. Händl hat dieses Rede-Mosaik aus regen Mündern meist auf mehrere Personen aufgesplittet, was nicht unbedingt zur Verständlichkeit beiträgt, zumal den vier Sängern plus drei Sängerknaben mit Hundemasken noch 13 Schauspieler, bei denen Franz Josef Köpp und Carmen Wiederstein als Ehepaar Schwarz hervorstechen, gegenüberstehen, die auch teilweise gleichzeitig singen und sprechen. Erstaunlich, mit welcher Präzision der Text abläuft.

Die Protagonisten, alle von Andrea Schmitt-Futterer in heutige Kleidung gesteckt, leisten Erstaunliches. Besonders die Sänger, die sich alle als Singschauspieler ersten Ranges erweisen: Allen voran Sarah Wegener als missbrauchte Tochter Nadja Albrecht mit expressiven Tönen, der man mit ihrem Kleidchen und ihren Söckchen einen starken infantilen Anstrich gibt und in ihrem Spiel eine verletzte Kinderseele spiegeln lässt. Berührend wie fulminant ist, wie sie das Psychogramm einer bis ins innersten Zerstörten liefert. Aber auch Otto Katzameier singt ihren Vater mit geschmeidigem, verführerischem Bariton. Ihre Mutter ist die ausdruckstark singende Ruth Weber. Der Makler wird von Daniel Glogger mit lispelndem und völlig unverständlichem Countertenor wiedergegeben.

Durch die mikrotonale Klangsprache, die feinsten Klangpartikel, die filigranen Schichtungen und entrückten Klangschwebungen mit Clustern lotst der souveräne Peter Rundel das exzellente und hochkonzentrierte Klangforum Wien. Durch die viele Wiederholungen wird eine starke meditative Wirkung erzeugt, teils werden Erinnerungen an die deutsche Pioniergruppe für elektronische Musik, Tangerine Dream, wach.

Der Applaus kann durchaus stark, wenn auch nicht unbedingt als begeistert bezeichnet werden.

Helmut Christian Mayer



Fotos: Ruth Walz